Wohin nur mit all diesen Emotionen? Darauf war ich absolut nicht vorbereitet. Was wir gestern im Neckarstadion zu sehen bekamen, entbehrt normalerweise jeglicher Logik, fassungslos standen wir ein weiteres Mal da, doch nicht vor entsetzen, sondern gar vor Freude. Wer hätte es denn ahnen können? Am Tag danach, den ich unfreiwillig ausgeschlafen begann, sollte man eigentlich meinen, diese Zeilen würden sich so einfach schreiben lassen wie noch nie in dieser Saison. Ein Trugschluss, wie ich gut zwei Stunden nach dem Aufstehen feststellen musste.
Nass wie ein begossener Pudel. Als wir des Nachts heimkehrten, erinnerte mein Anblick an den VfB selbst, wie er zwischenzeitlich auf dem neu ausgelegten Rollrasen stand. Eine gefühlte Ewigkeit später war ich endlich aus den nassen Klamotten heraus. Stiefel, Socken, Jeans, zwei Pullis und meine Thermo-Strumpfhose, alles wurde lustlos in der Wohnung verteilt. Eine kleine Last fiel von mir ab, selbst wenn in einigen Wochen niemand mehr danach fragen würde, wie das Viertelfinale erreicht wurde.
Wo ist sie hin, diese Unbeschwertheit aus vergangenen Tagen? Wo ist es hin, dieses Vertrauen bei jedem einzelnen Spiel, dass die Mannschaft das allerbeste geben würde, wozu sie fähig ist? Wo ist sie hin, dieser unbeirrbare Glaube daran, dass alles am Ende gut wird? Ich kann nicht genau sagen, wann genau ich den Glauben verloren hatte – die Jahre des Abstiegskampfs ließen mich schon längst verbittert zurück, inmitten einer Cannstatter Kurve, die nach wie vor immer alles für den Verein gibt, auch wenn die Spieler auf dem Feld, die unsere Trikots tragen, schon längst nicht mehr deren würdig sind.
Das Ringen um Worte ist mir nicht fremd. Wie oft saß ich in den letzten Jahren genau an dieser Stelle, an meinem Rechner im Arbeitszimmer unserer Cannstatter Wohnung, starrte auf den Bildschirm, atmete schwer und wusste nicht, was ich schreiben soll. Oder schlimmer noch, nicht zu wissen, wie ich mich motivieren sollte, etwas zu schreiben, was ich am liebsten gar nicht erst erlebt oder genauso schnell wieder vergessen hätte. Zu oft saß ich hier, hineingefallen in ein dunkles Loch voller Frust.
Mit weit ausgebreiteten Armen drehte er ab und hinterließ in der Cannstatter Kurve das Bildnis der Verwüstung. Küsschen, Küsschen! Küsschen für das leidgeprüfte Publikum, Küsschen für die Teamkameraden, die alles andere als eine souveräne Leistung darboten, Küsschen für alle, vielleicht sogar auch für Alexander Zorniger. Küsschen, Küsschen, lieber Timo Werner! Beinahe nichts ist schöner als der Moment der endgültigen Erlösung, zwischen nervöser Panik, in den letzten entscheidenden Konter zu laufen und jenem herrlichen Glücksgefühl, wenn du weißt: „Das Ding ist durch!“, ein Schuss ins Glück, mitten ins Herz.
“Ohje, bist du erkältet?” fragte man mich, als ich am Montagmorgen das Büro betreten hatte. “Nein, nur ein wenig zu viel rumgeschrien”. Noch im gefühlten Halbschlaf legte ich meine Sachen ab, schlurfte zum Wasserkocher und machte mir Wasser für meinen Zitronentee, auf dass es dem Halse gut tun würde und setzte mich schließlich an meinen Rechner. “Und? Wie haben sie gespielt?” fragte mich erwartungsvollen Blickes meine Kollegin Renate. “Nicht so gut…”, ihre Miene verfinsterte sich kurz, “…aber sie haben gewonnen!”.
Um 19:28 Uhr schrieb ich via WhatsApp meinem Chef, seines Zeichens ebenfalls VfB-Fan: “Ich weiß net mal, was ich sagen soll.” – “Verdient?” – “Natürlich nicht.” – “So wie immer also.” Während ich die Bilder von der Speicherkarte auf meinen Rechner kopierte, schaute ich wortlos auf den Bildschirm und beobachtete den Fortschrittsbalken im Statusfenster. So wie immer also. Besser konnte man es wohl kaum ausdrücken. Sollte man einfach nur traurig sein? Oder ist der Punkt sogar schon längst überschritten und zur Wut übergegangen? Ich kann es nicht einmal beantworten.
Was wäre, wenn das erste Heimspiel gegen Köln anders verlaufen wäre? Was wäre, wenn der eine oder andere Spieler seine hochkarätigen Möglichkeiten genutzt hätte? Was wäre, wenn wir einfach befreit aufspielen könnten? Was wäre, wenn man sich nicht jeden Tag fragen müsste, was nur falsch gelaufen war. Fußball ist bisweilen schlichtweg grausam, das haben wir schon mehr als einmal in dieser Spielzeit erleben müssen. Jammern auf hohem Niveau? Mag sein. Doch sollten wir uns mit dem zufrieden geben, was der neutrale Zuschauer und die populistischen Gazetten von uns erwarten, nämlich am Abgrund zu sein?
Es tut weh. Nicht, dass man gegen Frankfurt zuhause verloren hat. Auch nicht, dass man nach drei Spieltagen mit zehn Gegentoren nicht einen einzigen Punkt geholt hat. Erst recht nicht, weil noch so viele Spiele zu spielen und so viele Punkte zu vergeben sind. Es tut weh, mit anzusehen, wie das, wo man so viele Hoffnungen hinein investierte, vielleicht gar nicht funktioniert. Das Konzept des Trainers mag durchaus das richtige sein – aber passt es zu genau dieser Zeit zu genau dieser Mannschaft? Erste Zweifel werden wach, ob das wirklich gut gehen kann.
Fußball kann so unheimlich grausam sein. An dem einen Tag bist du noch quietschvergnügt, erfreust dich an den Geschehnissen rund um deinen Herzensverein, blickst optimistisch in die Zukunft – und auf einmal stehst du da, mit einem Hauch von Nichts in der Hand. Der Frust türmte sich hoch auf in mir, bewog mich zu Aussagen, die ich nun zwei Tage später relativieren muss. Was bleibt vom Saisonauftakt gegen Köln? Die Enttäuschung, dass es zu mehr nicht gereicht hat. Doch auch: ein Hoffnungsschimmer. So ist es unser VfB, der gerade dabei ist, sich neu zu erfinden.
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