Etwas schöneres kann es nicht geben: traumhaftes Wetter, ein superschönes Wochenende, ein Heimsieg der eigenen Mannschaft und die Gewissheit, dass es besser ist, schwach anzufangen und stark aufzuholen als andersrum. Nur eines fehlte, um komplett glücklich zu sein: ein Eis. Ein zu verschmerzender Verzicht, der Sommer beginnt ja erst richtig.

Wieder begann das Wochenende schon am Freitag. Leider genieße ich nicht den Luxus des Prinzips “Freitag nach eins macht jeder seins”, ein halber Urlaubstag wurde verbraucht um mich bereits halb 3 von meinem Büro in der Leipziger Südvorstadt abholen zu lassen. Ich liebe es, wenn Stammfahrer Reinhart mit dem großen Mercedes Viano vorfährt – es hat etwas von einer großen Tour, die man macht. Und auch wenn es nicht gerade 3000 Kilometer quer durch Europa sind, so ist die Reise ins Ländle mit knapp 500 Kilometern eine der unbestritten schönsten Strecken, die ich jedes Mal gerne wieder antrete – in diesen Wochen mehr denn je.

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Strahlender Sonnenschein, was könnte schöner sein? Strahlender Sonnenschein auf dem Stuttgarter Frühlingsfest mit meinem Felix natürlich! Der Tag begann für uns am frühen Nachmittag, als wir gemeinsam über den Cannstatter Wasen schlenderten. Seine Vorstellung von tollen Fahrgeschäften deckt sich unglücklicherweise nicht unbedingt mit meiner eigenen, aber das ganze kann man in die Schublade “Kompromiss” schieben. Fürs erste fuhren wir nichts, stärkten uns aber zum Mittagessen, bevor es zum benachbarten Stadion ging, wo wir bereits erwartet wurden.

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Aus einer alternativen Beschäftigung, der ich nachging, wenn keiner meiner anderen Leute zugegen war, wurde innerhalb der letzten Monate eine Tradition: das lustige Beisammensein mit den Jungs und Mädels von den “Boys in Red”. Liebe Grüße an Philipp, der einer meiner größten Blog-Fans ist und immer fleißig Bewertungen abgibt, sowie an Jonas, der auch mal wieder greifbar war.

“Alle mit dem Brustring nach Hoffenheim” heißt das Motto – Nostalgie-Shirts wurden produziert, ausgelobt und verteilt, für sagenhaft günstige 15 Euro. Meine Ernüchterung, als Größe M bereits weg war, ist kaum in Worte zu fassen. Was bleibt, ist die Hoffnung, beim Heimspiel gegen Mainz noch eines abzustauben, denn Hoffenheim steht ebenfalls auf meiner “Ja, würde ich gern mitfahren”-Liste. Und selbst wenns nicht klappt, ist man um ein schönes Kleidungsstück reicher.

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Mannschaftsaufstellung

Abschied nehmen ist selbstredend schwer, selbst bei gerade einmal 45 Minuten. Felix ließ ich in den B-Block gehen, während ich zum vorletzten Mal in meinem Leben den Weg zum Block 37 in der Cannstatter Kurve, so wie ich sie kennengelernt habe, antreten würde. Wehmut folgte mir wie ein Schatten, meine erste Dauerkartensaison neigte sich langsam dem Ende, so wie die legendäre Cannstatter Kurve, die mir ein neues Leben geschenkt hat. Ein vorletztes Mal die Treppenstufen hinauf und das Treiben im Stadion beobachtet. Heute war ich früh dran, beobachtete still und leise, wie sich das Stadion mehr und mehr füllte. Die Choreographie, welche schon vor 2 Wochen ihren Anfang nahm, sollte heute ihre Fortsetzung finden mit dem zweiten von drei Teilen.

Stuttgart ist viel schöner als Leverkusen – für mich unbestritten. Auch der Gästeblock füllte sich, die Minuten vergingen wie im Flug. Erinnerungen wurden wach bei “So schießt man Tore gegen…Leverkusen”, das 1:0 von Andreas Beck einst in der Saison 2007/2008 – nie werde ich vergessen, wie ich mit einer Mischung aus Freude, Euphorie und Hysterie meine Leipziger Stammkneipe zusammenschrie. Es war weder das erste, noch das letzte Mal, dass ich für eine entlaufene Irre gehalten wurde.

Langsam konnte es aber auch wirklich losgehen. Die Schals wurden hoch gehalten zum traditionellen “You’ll never walk alone”, die Mannschaftsaufstellung war begutachtet, wir waren startklar für das vorletzte Heimspiel der Saison 2009/2010. Die Spannung wuchs stetig, als die Einlaufmelodie abgespielt wurde und mir klar war, ich sollte jetzt besser die Treppenstufen hinunter an den Rand des Innenraumes laufen, um eine bessere Sicht auf die heutige Choreographie zu haben.

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Video von www.lostboys99.de

Einige bekannte Gesichter sah ich unter den zahlreichen Helfern, die nun endlich die Historienbanner als einen Teil der dreiteiligen Abschieds-Choreographie hochhalten durften. Mit ihnen erstrahlten weiße und rote Fähnchen. Letztes Heimspiel gegen Gladbach war “HE” zu lesen, nun erkannte man schon “HEIM”, ohne Frage wird es definitiv in 2 Wochen das Wort “HEIMAT” zu lesen geben. Eine tolle Athmosphäre, dachten sich auch die zahlreichen Besucher die ohne Unterlass ihre Digitalkamera oder das Fotohandy zückten.

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Anpfiff zum Spiel, endlich ging es los. Schnell flüchtete ich die Treppenstufen wieder nach oben, dort warteten bereits Marc und Micha auf mich, Andi und Martin fehlten wieder einmal. Ob wir nächstes Heimspiel zum ersten und zum letzten Mal nach langer Zeit alle vollzählig wären? Fürs erste war es mir egal, freute ich mich doch sehr, nach einiger Zeit mal wieder die bekannten Gesichter neben mir sitzen zu haben. Wären sie doch auch nur so unerschütterlich wie die Jungs und Mädels vom Fanclub “Schwabenstolz”, die in den Reihen vor mir sitzen.

Die ersten Minuten des Spiels liefen bereits. stets präsent im Hinterkopf waren die grausigen, alptraumhaften Erinnerungen an das Hinspiel, dass wir (wie so viele Spiele in der Hinrunde) mächtig vermasselt haben. 4:0 zeigte damals die Anzeigetafel in der Leverkusener BayArena. Und ihr wisst ja: ich bin nicht nachtragend, ich vergesse nur nichts. Das Wort “Wiedergutmachung” stand somit definitiv auf der Tagesordnung.

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Der 1:1-Ausgleich durch Cacau in der 29. Minute

“Wie süß! Habt ihr gut hinbekommen!” – mit weiblichem Multitasking verfolgte ich sowohl das schnelle Spiel, das auf dem Rasen entstand, als auch die Bildergalerie von Michas neugeborenem Sohn. Das Hauptaugenmerk lag jedoch definitv eher auf dem Spielfeld, oder vielmehr “aufm Platz!”, doch entzückte es mich nicht unbedingt, und für große Jubelstürme war die Zeit ebenfalls noch nicht gekommen. Im Gegenteil – ein frühes Gegentor nach nur 13 Minuten. Das kann doch nicht wahr sein.

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Warum ich meine Brille an Spieltagen zu Hause lasse, weiß ich nicht genau. Mit ihr hätte ich vielleicht besser erkennen können, was sich in der Stuttgarter Hälfte nur 6 Minuten später abspielte: Platzverweis. Nur für wen? Sofort wechselte Leverkusen, erst später erfuhr ich, dass Tranquilo Barnetto vom Platz flog und wir etwa 70 Minuten in Überzahl spielen durften. Selbstredend die Hoffnung, man würde daraus Kapital schlagen und das Spiel doch noch zu unseren Gunsten drehen können.

Erfreulicherweise ging das schneller als erwartet. Eine halbe Stunde war gespielt, die Augen gebannt auf das Spielfeld gerichtet, ständig mit der Kamera in der Hand, es könnte ja etwas aufregendes passieren?! Ungeachtet dessen, dass man auf meinen zahlreichen Torvideos die Treffer vor der Untertürkheimer Kurve (auch bekannt als “Baustellen-Tor”, welches bis Dezember 2009 scheinbar verflucht war) ohnehin kaum etwas erkennen kann, hielt ich drauf und wurde belohnt. Eine Flanke, vorbei an Freund und Feind, doch Cacau, der den Verein zu diesem Zeitpunkt verlassen wollte, stand als letzter anspielbarer Mann genau dort, wo er stehen musste. Einfach mal den Kopf hingehalten, Tor, Ausgleich, Jubel, Trubel, Heiterkeit. Es kann manchmal doch so herrlich einfach sein.

Der Rest der ersten Halbzeit verlief weitgehend unspektakulär, bis auf eine Situation, die noch einmal in der 36. Minute für eine Adrenalinstoß sorgte. Man mag ja von Jens Lehmann halten, was man möchte, man kann ihn mögen wegen seiner Direktheit und Verrücktheit, man kann ihn nicht mögen für die vielen Ausraster im Laufe der Jahrzehnte. Doch in einem beweist er immer wieder, dass er weltklasse ist: mit seinen Paraden. So auch in der 36. Minute, als er ein sicheres Gegentor mit einer Hand scheinbar mühelos noch über die Latte lenkte. Puh, danke Jensenmann!

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Bis zum Halbzeitpfiff hat sich der Puls wieder beruhigt und ich konnte das tun, auf dass ich mich diebisch freute, seit ich gesehen habe, dass Andi nicht da ist. Einen freien Platz neben mir zu verschwenden wäre doch ein Skandal, also holte ich meinen Felix rüber. Die beiden schönsten Dinge, vereint unter dem Dach des Neckarstadions. Dazu traumhafte Temperaturen, und alles, was im Moment noch fehlte, war der Siegtreffer. Und ein Eis, aber das erwähnte ich ja bereits.

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Der 2:1-Siegtreffer durch Cacau in der 85. Minute

Wiederanpfiff, gespielt wurde nun wie üblich in Richung der Cannstatter Kurve. Vor heimischer Kulisse bei guter Stimmung wurden unsere Jungs von den Fans nach vorne gepeitscht, unablässig feuerten wir die Mannschaft an, um sie nach vorne zum Sieg zu tragen. Die Spannung blieb konstant hoch, viele Chancen auf beiden Seiten. Es wurde gedrückt, gepresst und geschoben, keinem wollte fürs erste das entscheidende Tor gelingen. Felix sah dem ganzen optimistisch entgegen: “Wir gewinnen das noch!”, ein VfB-Fan in der vorderen Reihe beantwortete soviel Optimismus nur mit einem traurigen Kopfschütteln.

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Ole Ole Ole Ole Ole Ole Ola!

Quälend lang wurden die Minuten, da beginnt man, das Vorhandenensein eines beruhigenden Händedrucks zu schätzen. Nur noch 5 Minuten, die Zeit wurde immer knapper, in der ein einziges Tor entweder zum Himmelstor wird oder zum Dolchstoß ins Herz. Nur noch 5 Minuten, die am Ende über Sieg oder Niederlage, internationales Geschäft oder graues Mittelmaß entscheiden würden. Nur noch 5 Minuten, in denen mir die Luft selbst unter freiem Himmel auf einmal doch etwas knapp wurde.

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Sieg!

Sollte man sich vielleicht zur Abwechslung mit einem 1:1-Unentschieden zufrieden geben? Wenn man wie wir von der Mannschaft seit einigen Wochen verwöhnt wird, und nach dem Abstiegskampf in der Hinrunde nun gegen Ende der Rückrunde um die internationalen Plätze kämpfen würden, dann gibst du dich damit nicht zufrieden, du kämpfst, fightest und grätschst bis zum Krampf in den beinen. Und was machen die Fans? Die geben alles für ihre Mannschaft, ein letztes Mal Vollgas bis zum Abpfiff.

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Ooooh wie ist das schön!

Momente wie diese gehen dir unter die Haut. Wie eine Zeitlupe kam es mir vor, als ich die Kamera einschaltete und aufs Spielfeld hielt, als Pavel Pogrebnyak, von mir liebevoll “Russenkampfpanzer” genannt, den Ball in die Mitte gab. Leverkusen klärte aber nicht genug, so landete der Ball beim Ausgleichstorschützen Cacau, mit einer schnelle Drehung schloss er ab, bevor auch nur irgendjemand reagieren konnte. Zu schnell für das Auge der Leverkusener Abwehr, zu schnell für das Auge meines Landsmanns Rene Adler, der wie ich aus Leipzig kommt. Jedoch nicht zu schnell für meine Kamera, die dieses Tor ebenfalls festhielt – fast schon aus Tradition.

In diese Augenblick brachen alle Dämme, aus 40.000 einzelnen VfB-Fans wurde ein einziges euphorisches Knäuel, bestehend aus Jubel und Begeisterung. Man erkannte nicht mehr, welches Körperteil zu wem gehört, lag man sich kollektiv in den Armen und ließ der Freude einfach freien Lauf. Momente wie diese vergisst du nicht so schnell, wenn du nach einem frühen Rückstand kurz vor Schluss in Überzahl das entscheidende Siegtor in der Fankurve miterlebst. Momente wie diese rauben dir den Atem, und für ein paar Sekunden fragst du dich, ob du wach bist oder noch träumst.

Im Eifer der Begeisterung vergingen die letzten Minuten dann auch wie im Flug, ich bekam kaum noch mit, dass Leverkusen noch die eine oder andere Chance zum Ausgleich hatte. Der Abpfiff klang wie Musik in meinen Ohren. “Take me down, to the paradise city” – für mich war mein geliebtes Wohnzimmer, bewohne ich es auch erst seit 2 Jahren, an diesem Tag ein wahres Paradies. Und Adam und Eva? Die freuten sich natürlich sehr darüber.

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Danke Fans!

Ein paar Minuten verweilten wir noch im Stadion, genossen die Welle mit den Fans und zogen es dann auch vor, zu gehen, wartete man bereits weiter vorne am B-Block auf uns. Während wir außen um das Stadion herum liefen, ertönte 2 Mal ein lauter Jubel. Wolfsburg verlor die Partie gegen Bremen, und wir rückten auf den 6. Tabellenplatz vor, welcher derzeit zum internationalen Geschäft berechtigt.

An dieser Stelle noch einen lieben Gruß an den geschätzten Blogger-Kollegen Marcel vom Brustring, der mich mit der Überschrift “Spieledreher schlagen Pillendreher” sehr zum Lachen gebracht hat. Nicht weniger lustig als die Tatsache, dass sich Bayer Leverkusen den oft mit ihnen in Verbindung gebrachten Wort “Vizekusen” hat markenrechtlich schützen lassen.

Ein nervenaufreibendes Spiel ging zu Ende, wieder ein 2:1, wieder gedreht. Natürlich wäre es mir lieber, wieder einmal mit einem gepflegten 3:0 oder 4:0 zu gewinnen, doch wenn es am Ende der Saison um alles geht, ist es dir dann letztendlich auch egal, wie du die Punkte einfährst. Ob euphorisch mit begeisterndem Fußball, oder dreckig und glücklich. Eine Woche später würde keiner mehr danach fragen. Mit einem tiefen Seufzer, 3 Stadionheften in der einen Hand, Felix an der anderen Hand, ging mein Spieltag zu Ende. Tage wie diese sind für mich die wahre Sonnenseite des Lebens. Ob mit oder ohne Eis, hauptsache mit 3 Punkten und anderen wichtigen Dingen.

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