Ein paar Fragen an meine VfB-Leser: wie oft wart ihr schon in Berlin? Wie oft seid ihr ohne Punkte und mit hängenden Köpfen wieder heimgefahren? Wie oft habt ihr gehofft, der Fluch möge brechen um dann doch wieder angesichts der Niederlage mit dem Schock in den Gliedern im Gästeblock des Berliner Olympiastadions zu stehen? Ich bin mir sicher, dass einige von euch nun diese Worte lesen und den Kopf nicken, ihr wisst, was ich meine.

Nach 19 langen Jahren des Wartens schrieben wir nun Geschichte, mit dem ersten Sieg seit 1991. Ich war damals 5 Jahre alt und der einzige Bezug zum Fußball war ein mit Luft aufgepumpter Gummiball, mit dem ich mir die Wohnungseinrichtung vorgenommen habe, sehr zum Leidwesen meiner Eltern. Währenddessen haben jedes Jahr aufs Neue viele Brustringträger den Weg in die Hauptstadt gefunden, teilweise mit Anfahrtswegen von 700 Kilometern und mehr, alles für den Verein, den wir lieben.

Für mich ist das Auswärtsspiel in Berlin eher ein Heimspiel, ist es mit weniger als 200 Kilometern das näheste von allen Vereinen der 1. und 2. Bundesliga, ein Klacks im Vergleich zu den 500 Kilometern, die ich für jedes Heimspiel nach Stuttgart fahre. Und nicht nur das, hier in Berlin hat alles seinen Anfang genommen. Hier stand ich, als am 18.08.2007 das weiß-rote Virus von mir Besitz ergriffen hat. Mein Verein hat mich gefunden, und ich habe ihn gefunden.

Mein Wecker ist ein A… – das trifft zumindest an Nicht-Spieltagen zu. Als er mich um 4:15 aus meinem etwa 3-stündigen Schlaf riss (Mama würde sagen: “Geh doch früher ins Bett, Kind!”), verzieh ich es ihm gerade nochmal so und bereitete mich vor auf meine Fahrt nach Berlin, die vermutlich ebenso enden würde wie die beiden Saisons davor, sowohl 2007 als auch 2008.

Kalt war es draußen in Leipzig, als ich halb 6 den Fußmarsch zum Hauptbahnhof antrat, dick eingepackt, mit Handtasche und Wegproviant, Treffpunkt war 5:45 Uhr am Leipziger Hauptbahnhof. Per Mitfahrgelegenheit fuhr ich per Bahn mit einem Wochenend-Ticket, dass ein Fahrer als Angebot ins Internet stellte. Als der Zug um 6:11 Uhr endlich losfuhr, schlug mein Puls kurzzeitig schon bis zum Hals. Es gibt kein Zurück, wenn der Zug rollt. Doch warum auch, ich freute mich unglaublich auf dieses Wochenende – und das lag ausnahmsweise diesmal nicht an dem Spiel allein.

Umsteigen in Lutherstadt-Wittenberg – Erinnerungen wurden wach an den Sommer vor 3 Jahren, als mich mein erster Stadionbesuch zu einem Länderspiel nach Hamburg führte. Der Wind pfiff mir eiskalt um die angewärmten Ohren, Treppe runter, Treppe hoch, und wieder rein in den nächsten Zug. Der zweite von drei Fahrtabschnitten bis ich endlich am Berliner Olympiastadion eintreffen würde.

Zuhause lag er gut, mein guter alter Berliner Stadtplan inklusive U-Bahn-Netz. Somit hatte der Plan vorgesehen, erst am Berliner Hauptbahnhof in die U2 einzusteigen, ein heißer Tipp kam jedoch von einer der Mitfahrerinnen, so stieg ich schon am Potsdamer Platz aus, lief ein paar Meter und hüpfte in die U2, die mich zum Stadion brauchte. Nach 6 scheinbar endlosen Tagen konnte ich auch meinen Felix wieder in die Arme schließen, er holte mich am Stadion ab. Zusammen mit Patti, Sven (alias “Disco Pogo”) und Jens vom Fanclub “Boys in Red” ging es Richtung Innenstadt. Unser Ziel: der Fernsehturm am Alexanderplatz. Nicht neu für mich, aber alle Jahre wieder eine Reise wert.

Bevor wir den Ausblick von oben genießen konnten, hieß es erst einmal Tickets kaufen für 10,50 Euro. Mindestens eine halbe Stunde hätten wir ohnehin warten müssen, also erst einmal ein Käffchen nebenan. Herzlich gelacht wurde dabei unter anderem über Jens, der von seinen 2 Lieben berichtete: “Dem FC und Köln…äh, VfB mein ich!”. Im Fahrstuhl nach oben sind die dummen Kommentare der Hertha-Fans natürlich nicht ausgeblieben, der Betreiber des Fahrstuhls war felsenfest davon überzeugt, wir würden die Dienstreise für umsonst machen. Froh war ich also, als wir einmal oben waren und den Ausblick genossen. Ein kleines Stück Ostdeutschland.

Später wurde noch lecker gegessen und getrunken im Brauhaus Mitte, bevor wir uns aufmachten zum Stadion, viel Zeit war schon vergangen. Wettertechnisch zeigte sich Berlin auch nicht gerade, es regnete leicht, hatte aber schon aufgehört, als wir am Olympiastadion aus der S-Bahn stiegen. Sei es hilfreich oder nicht, ich weiß jetzt, dass ich im Stehen einschlafen kann.

Von Anfeindungen seitens der Herthaner war keine Spur, schnurstraks ging es zum Gästeblock. Der Regen hatte sich schon verzogen und Platz gemacht für die Frühlingssonne, wir waren bereit für ein weiteres Spiel in Berlin, für mich sollte es der dritte Anlauf bei der Hertha sein. So manche wären froh, das Leid bisher nur zwei Mal erlebt zu habe. Andere wiederrum waren das erste Mal in Berlin.

Ein letztes Mal atmete ich tief durch und fragte mich für einen Bruchteil einer Sekunde: “Moment, was machst du hier eigentlich?” – ein kurzer Blick nach links oben gab mir den Mut, den Gang in den Block anzutreten, noch einmal kurz abtasten und hinein ins Stadion. Die Hoffnungen, hier und heute 3 Punkte mitzunehmen, lagen nach den Erfahrungen der letzten Jahre allerdings eher brach. Sollte es wieder nicht reichen, blieb mir schon vor Anpfiff der Partie die Gewissheit, keinen allzu weiten Weg gemacht zu haben und immernoch ein schönes Rest-Wochenende haben zu können.

Tags zuvor wurde ich bereits informiert, dass das Commando Cannstatt sich für 15 Minuten Schweigen zu Beginn des Spiels entschieden hat, um damit gegen Sippenhaft und Kollektivstrafen zu protestieren, gleichnamig auch das große Banner, welches dann auch eine Viertelstunde lang hochgehalten wurde. Wir suchten uns im Gästebereich ein schönes Plätzchen und machten es uns gemütlich, es war schließlich noch ein bisschen hin bis zum Anpfiff der Partie.


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Währenddessen ließ ich den Blick durch die Menge gleiten, entdeckte hier und da ein bekanntes Gesicht, hier ein freundliches Nicken, da mal ein fast schon hysterisch gut gelauntes Winken. Auch Kumpeline Jenny, die ich seit einigen Monaten von der Community myLaola kenne, machte per SMS auf sich aufmerksam, zum Gespräch kam es leider nicht, aber das wird schnellstmöglich nachgeholt, ich versprechs dir, Jenny!


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Für strahlende Gesichter sorgten auch die Herrschaften von den Härtsfeld Crocodiles, die ich in Barcelona kennengelernt hatte. Als ich gerade im Gespräch vertieft war und in einigen Metern Entfernung von mehreren Leuten plötzlich meinen Namen hörte, drehte ich mich sofort um. Auch eine Form des Männerchores. Da winkten mir die Krokodile, die es sich auch bereits im Gästeblock gemütlich gemacht hatten. An dieser Stelle entsende ich erneut herzliche Grüße nach Härtsfeld, freu mich auf ein Wiedersehen mit euch.


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Der Gästeblock füllte sich, laut offiziellen Angaben vom VfB waren 1.500 Fans aus Nah und Fern angereist. Klingt viel, ist es aber nicht wirklich bei Berücksichtigung von insgesamt 3.000 verfügbaren Tickets. Das ist jedoch nichts zu dem, was die Hertha-Fans erdulden mussten. Nachdem vor etwa 4 Wochen ca. 100 Fans nach einer Niederlage in letzter Minute den Platz stürmten, schritt der DFB ein und sperrte ca. 7000 Fans komplett aus – die Ostkurve fehlte, ein äußerst ungewohnter Anblick. Diese Strafe berührte indirekt auch das Gästekarten-Kontingent: personalisierte Tickets und der Wegfall von Tageskassen, somit kaum eine Chance für Nicht-VfB-Bestandskunden und Kurzentschlossene.


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Die ausgesperrten Berliner Fans verfolgten das Spiel einige hundert Meter weiter auf den Rängen der Waldbühne. Auch wenn es wir Stuttgarter nicht sonderlich halten mit der Hertha, so ist man sich doch aus Prinzip einig, dass Kollektivstrafen ärgerlich sind, um es vorsichtig auszudrücken. Unter anderem auch deswegen die Aktion mit dem viertelstündigen Schweigen.

Schnell vergingen auch die letzten Minuten bis zum Anpfiff, es konnte losgehen. In beinahe schon stiller Harmonie verfolgte ich die ersten Minuten, so ganz ohne Support beim Auswärtsspiel ist es schon eine eigenartige Athmosphäre. Auf dem Spielfeld gab es auf beiden Seiten die ersten Chancen der Partie, noch durfte keine der beiden Seiten jubeln. Stille, sowohl von uns als auch von der nicht vorhandenen Ostkurve. Fast schon verstörend.

Nach 14 einhalb Minuten erhob man sich von den Plätzen und als die beiden Anzeigetafeln “15:00” anzeigten, erstrahlte der Gästeblock in einem weiß-roten Fahnenmeer, untermalt von den ersten lauten Gesängen, die wir uns zum Zwecke des gemeinschaftlichen Protestes aufgespart hatten – getreu dem Motto: “Jetzt erst recht”. Nun wurde es auch die Stimmung, die ich erwartet hatte. Ich war zwar nicht mittendrin an vorderster Front, doch beteiligte ich mich am Support so gut es ging, alleine würde es die Mannschaft nicht schaffen, den “Lauf der Dinge” zu ändern.

Noch vor einigen Wochen dachte ich, dass ich einzig und allein für die Jungs und Mädels von der Cannstatter Kurve Berlin in die Hauptstadt kommen würde, wäre ein Sieg beim Spiel doch allenfalls das I-Tüpfelchen gewesen. Im November lernte ich den Fanclub aus dem größten schwäbischen Exil Deutschlands kennen, 3 Tage später war man gemeinsam in Glasgow unterwegs und ich genoss eine wunderbare Zeit mit neuen und vor allem netten Leuten. Aufgrund kurzfristig geänderter Planungen musste ich jedoch darauf verzichten, ein großes Treffen mit den Leuten fest einzurechnen, das Wiedersehen mit einem sowohl überraschten als auch lachenden Markus (traf ihn im Rahmen meiner Barcelona-Reise auf dem Flughafen) sowie mit Daniel und Jens war einfach toll, alle erkundigten sich, wie es mir ergangen ist. Ein grinsender Blick nach rechts oben: “Bestens, danke.” An dieser Stelle viele Grüße an die Leute vom Fanclub, ich hoffe, man sieht sich doch noch irgendwann in größerer Runde in einer nicht allzu entfernten Zukunft wieder.

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Danke Fans!

Meine Bedenken, es würde das selbe öde Drecksspiel werden, wie eigentlich immer, wurde mit jeder Minute mehr und mehr bestätigt. Seufzend erduldete ich die eher enttäuschende Darbietung auf dem Platz. Ein berauschendes Spiel, bei dem es schon zur Halbzeit 3:0 stehen würde, war eher nicht zu erwarten, doch hatte ich natürlich trotzdem mehr vom Spiel des Rückrundentabellenführers gegen das Kellerkind der Liga erwartet. Am Ende wäre es mir egal, wie wir gewinnen, Hauptsache es würde irgendwie übers Knie gebrochen werden. Nur sah das Spiel nicht sehr nach “Abteilung Energieleistung” aus. Sei es drum, “Same procedure as every year”, beteiligte ich mich zumindest rege am Support.

Mit einem 0:0 ging es schließlich erst einmal in die Pause. Erwartungsgemäß, wie ich leider sagen muss. Doch der Fan, der die Statistiken kennt, ist zufrieden mit eigentlich allem, was kein Rückstand ist. Oder ist er unzufrieden mit allem, was keine Führung ist? Vielleicht ist er ja beides zu gleichen Teilen. Während der Halbzeitpause erreichte mich eine SMS meines Kumpels Franz, der mich und Felix aus sicherer Entfernung bebachtet hatte, nach einem kurzen Telefonat inklusive Umschauen, Erkennen und Winken, traf man sich noch für ein paar Minuten, auch Arne von der Cannstatter Kurve Berlin kam kurz vorbei und sagte “Hallo”, man blieb seit Glasgow stets in ICQ-Kontakt. Kurz zuvor hatte ich auch Björn, den Gründer des Fanclubs, begrüßen dürfen, der Ärmste schien mir – wie eigentlich immer – sehr im Stress zu sein.

Schneller als uns lieb war wurde es auch schon wieder Zeit, das Spiel ging weiter. In einer Dreiviertelstunde wären wir dann schlauer, ob wir den Fluch jemals besiegen können oder nicht. Ansehnlicher wurde das Spiel währenddessen nicht wirklich, doch ich hatte erfreulicherweise die perfekte Gesellschaft zum Schwätzen. Mehr Durchschlagskraft nach vorne, das war es, was wir nun benötigten, die Offensivaktionen waren einfach nicht zwingend genug. Als es sich die Hertha dann auch noch herausnahm, selbst Chancen zu erspielen, wurde sogar unserem vorübergehenden Trainergott Christian Gross klar, dass etwas passieren musste. In der 58. Minute verließ Ciprian Marica den Platz, für ihn kam Cacau – beide Stürmer schossen in den letzten Monaten wichtige Tore, und wenn der eine nichts bringt, kommt naheliegenderweise der andere ins Spiel.

Hin und her, her und hin, gelegentlich ein kollektives Raunen und das Ärgern über vergebene Torchancen – auch das war an sich nicht wirklich etwas Neues. Für einen Moment dachte ich an meinen Kumpel Jonas, der zeitgleich ein Spiel mit der eigenen Mannschaft hatte und keinerlei Ergebnisse verfolgen, geschweige denn im Stadion sein konnte. Auf meinen SMS-Ticker wollte er sich verlassen – noch blieb ich ihm eine Antwort schuldig, von der Anzeigetafel sprang mir das 0:0 direkt ins Auge. Jonas wartete – genau wie wir alle.

Es gibt mittlerweile so einige Theorien, wie es unser Trainer Christian Gross geschafft hatte, aus einem zerfahrenen Haufen Unglück eine funktionierende Mannschaft zu machen. Mein Kumpel Kevin, den ich vergangenes Wochenende in Stuttgart beim Spiel gegen Gladbach wiedergetroffen habe, hat zum Beispiel die Theorie, die Mannschaft vor jedem Spiel systematisch unter Alkoholeinfluss zu setzen und unter 2 Promille nicht aufs Spielfeld zu lassen. Eine andere, weitaus offensichtlichere Theorie besteht darin, dass er es geschafft hat, immer nur den Stürmer spielen zu lassen, der eine Zeit lang am Fließband trifft, während der andere auf der Bank sitzt. Das muss man ihm lassen, dafür hat er ein Händchen.

In der versauten Hinrunde haben wir so manches Leid erdulden müssen, und wie das nunmal so ist, hat man zuerst kein Glück, und dann kommt auch noch Pech dazu. Doch wer mit dem Rücken durch die Wand rammt, so wie es der VfB in den letzten 6 Monaten eindrucksvoll unter Beweis gestellt hast, holt sich das Glück zurück.

Wir schrieben die 74. Minute, als es plötzlich im Gästebereich kein Halten mehr gab. Alles wurde geherzt, umarmt und abgeklatscht, Felix erfuhr sogleich die exklusivste Form des Torjubels, und kaum irgendwelche andere Worte hätten so schön in meinen Ohren klingen können wie: “74. Spielminute, Tor für die Gäste, Torschütze mit der Nummer 18, Cacau.” Nach einem tollen Sololauf durch die Abwehr nahm er sich ein Herz, zog eiskalt ab und ließ den Herthaner Steve van Bergen an dem Tor für die Gäste teilhaben: er fälschte den Schuss unhaltbar für Keeper Drobny ab, das Feuerwerk der guten Laune brannte nun lichterloh.

Nach etwa 2 Minuten erinnerte ich mich wieder an den wartenden Jonas, der mit einer SMS von der Führung im Olympiastadion in Kenntnis gesetzt wurde, noch nie erhielt ich so viele Ausrufezeichen als Antwort. Von nun an hatte ich nur noch den sehnlichsten Wunsch, der Schiedsrichter möge das Spiel doch bitte auf der Stelle abpfeiffen – den Gefallen tat er mir leider nicht.

Ich erinnere mich nicht mehr an die genaue Abfolge der Fangesänge, ich weiß nur noch, dass ich es in vollen Zügen genossen habe, im Gästeblock zu stehen und mit Leibeskräften mitzusngen. Mit jeder Minute, die verging, hoffte ich auf das Wunder, im Moment sah es gut aus. Doch war es auch der VfB, der in Führung ging, als es doch noch mit 1:3 verloren ging, einst bei meinem ersten Spiel im August 2007. Es hätte noch lange nichts zu heißen, das derzeit noch auf der Anzeige tafel stand: Hertha 0, Stuttgart 1.

Die Minuten zogen sich schier endlos, Ablenkung konnten nur die Kreativität der entzückten Fans liefern. Unaufgefordert entstand der Gesang: “Wir singen Hertha, Hertha, zweite Liga, oh ist das schön, euch nie mehr zu sehn!” Nicht nur die beiden Vorsänger Hannes und Benno fanden es lustig, auch die 1500 mitgereisten Fans. Die Freude, der ungeliebten Hertha den Todesstoß in Richtung Abstieg versetzt zu haben, schien endlos zu sein. Uns war es Recht, sind sie doch dicke da mit ihren Freunden vom Karlsruher SC, denen sie bald Gesellschaft leisten und die Fanfreundschaft pflegen können. Nicht einmal eine aussichtsreiche Kopfball-Chance, die ihren Weg direkt in die Arme des hervorragend aufgelegten Jens Lehmann fand, konnte die Hertha noch vor der Niederlage bewahren.

Wie gut, dass meine zitternde Hand festgehalten wurde, wäre ich sonst vermutlich hysterisch im Kreis gelaufen, als die letzten Sekunden auf der Tafel herunterzählten. Mein Herz schlug so laut, dass ich befürchtete, jemand würde es hören. Bumm-Bumm-Bumm. Und immernoch nicht Schluss, 3 Minuten Nachspielzeit. Meine eigene kleine Verschwörungstheorie: man wollte uns anscheinend noch einmal richtig quälen.

Wäre ich vor einigen Wochen nicht nach Barcelona geflogen, wäre ich wohl bei Abpfiff mit den Jubelfäusten in der Luft auf die Knie gefallen, doch ich wurde gerade noch so aufgefangen. In jener festen Umarmung wurde mir klar: es war geschafft. Nach 19 langen Jahren hat der VfB endlich mal wieder in Berlin gewonnen. Noch konnte ich mein Glück kaum fassen, im dritten Anlauf klappte es, für manche sogar noch mehr und für andere das erste Mal. So oder so, an diesem Tag spielte es keine Rolle, wieviele Kilometer wir hinter uns gebracht haben oder wie lange wir auf diesen historischen Sieg warten mussten, im Moment des Abpfiffs haben wir alle Geschichte geschrieben, denn wir haben den Fluch besiegt und den Lauf der Dinge geändert.

Den Herthanern wird klar gewesen sein, dass dies höchstwahrscheinlich der sprichwörtliche Sargnagel gewesen sein müsste. Auf dem Rasen brachen die Spieler zusammen und lagen auf dem Spielfeld verstreut, voller Enttäuschung. Die Fans, die an diesem Spieltag ins Olympiastadion durften, gingen leise, ein schweigender Abschied. Auf der anderen Seite: die pure Freude. Minutenlang verweilten wir noch im Gästeblock, etliche Leute wurden abgeklatscht und ein letztes Mal geherzt, bevor wir den Weg zurück antraten. Vielleicht das letzte Mal für lange Zeit, ein letztes Mal schaute ich mich um und war unendlich dankbar, dass ich diesen Sieg miterleben durfte.

Es war perfekt gelaufen, wenn ich bedenke, dass ich letzte Saison noch sagte: “Ich fahr nie wieder nach Berlin!”. Doch war mir damals bereits klar, dass ich den Tag bereuen würde, an dem ich das Auswärtsspiel in Berlin aussetze, welches der VfB gewinnen würde. Besser hätte der Tag in der Hauptstadt eigentlich kaum sein können. Und das perfekte Wochenende konnte weitergehen.

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