Ratlosigkeit. Enttäuschung. Verzweiflung. Ich bin es ja fast schon gewohnt, am Tag nach bitteren Niederlagen dann doch noch ein paar Worte zu finden und meine Sicht der Dinge niederzuschreiben. Es gab Zeiten, da war es durchaus einfacher, sich Sonntags an die Tastatur zu setzen und Seite für Seite den Worten freien Lauf zu lassen. Die Jahre im Abstiegskampf haben mich mürbe gemacht. Ist es nicht seltsam, dass mir bereits Stunden oder gar Tage vor einem Spiel der Gedanke durch den Kopf schießt, wie unerträglich zäh am nächsten Tag das Berichten einer weiteren Niederlage werden würde? Wo ist nur der Glaube geblieben, an das Beste in der Mannschaft zu appellieren?
Eigentlich sah das alles gar nicht allzu schlimm aus. Was hatte es nicht Befürchtungen im Vorfeld der Partie gegeben, die Bayern würden uns abschlachten, mit diesem riesigen Hals, mit dem sie nach der Niederlage in Wolfsburg und dem Remis gegen Schalke nach Stuttgart angereist waren. Mit einem 0:2 waren wir noch höflichst gut bedient. Zumindest auf den ersten Blick. Der zweite Blick am Tag danach sah dann aber schon wesentlich ernüchternder aus. Das Lesen offizieller Spielberichte sowie die Meinungen in den sozialen Medien offenbarte mir etwas, was mir gestern im Stadion nicht wirklich klar werden wollte: Mit dieser Harmlosigkeit werden wir untergehen.
Die Leidtragenden sind natürlich ein weiteres Mal wir Fans. Meinen besten Freund bat ich am Sonntag Morgen und ein paar tröstende Worte. Er hatte keine. Warum seinen Kopf mit Dingen befassen, auf die man keinen Einfluss hat? Stellvertretend für die Machtlosigkeit, der wir zwangsweise ausgesetzt sind. Wir können so laut singen und schreien wie wir wollen, ob es auf dem Platz ankommt, darf bezweifelt werden. Und so sehen wir uns Mitte Februar einer fast schon unausweichlichen Situation ausgesetzt, von der ich – geprägt von dem Frust des frühen Pokal-Aus – gehofft hatte, sie würde nicht eintreten.
Die Angst im Nacken
Dieses entsetzliche Wort, das mit „A“ beginnt. Und damit ist alles außer „Aufbruchsstimmung“ gemeint – „Abbruchstimmung“ trifft es eher. Immerzu hängt einem die Angst im Nacken und flüstert einem zu, man würde es nicht schaffen. Dieser Meinung haben sich bereits viele andere angeschlossen: anerkannte Fußballexperten, Journalisten, Fachleute, und nicht zuletzt die Anhänger aus den eigenen Reihen. Was, frage ich euch, was soll uns denn dieses Jahr retten? Ist unser einziger Strohhalm, dass sich mit viel Glück ein weiteres Mal drei Dümmere finden?
Manche haben bereits aufgegeben und arrangieren sich mittlerweile mit dem Unausweichlichen. Kritisch beäugt von jenen, die trotz allem immernoch einen Silberstreif am Horizont sehen wollen, die trotz aller Niederlagen noch immer davon ausgehen, dass es am Ende dann doch irgendwie reichen wird. Und somit spaltet sich das Fanlager in zwei Seiten. Jene, die bereits wissen, was auf sie zukommen. Und jene, die sich das noch nicht eingestehen wollen.
Ich will nicht sagen, ich hätte etwas anderes als einer Niederlage gegen die Bayern erwartet. In meinen Augen gab es ohnehin nur zwei Optionen: der VfB kämpt leidenschaftlich und verliert am Ende ein weiteres Mal äußerst tragisch, oder aber er gibt sich früh auf, gerät unter die Räder und wird plattgewalzt. Wer etwas anderes erwartet hatte, verschließt die Augen vor der Realität. Wie sollte eine Mannschaft, der gegen extrem heimschwache Kölner nicht einmal ein Tor gelingt, gegen strauchelnde Bayern etwas ausrichten können?
Der Gang nach Canossa
Die Lust auf Heimspiele ist einem mittlerweile gehörig vergangen. Die personifizierte Harmlosigkeit vor der eigenen Kulisse sorgt für Angst und Schrecken, die rückläufigen Besucherzahlen lassen das Stadion gefühlt von Heimspiel zu Heimspiel immer leerer werden, die Stimmung ist mau und die Hoffnung auf Besserung nur noch bei den Optimisten vorhanden. Ich erinnere mich nicht einmal mehr, wann das Neckarstadion zuletzt ausverkauft war. Heute würde es das wieder sein – mit gefühlt drei Viertel Bayern-Fans, wenn das mal reicht.
Der Fußweg zum Stadion fühlte sich an wie der Gang nach Canossa. Man wusste, dass man dort nicht lebend wieder herauskommen würde. Man konnte nur hoffen, dass es mit dem Blick auf die ohnehin schon traurige Tordifferenz nicht allzu schlimm werden würde. Die Fußwege und Straßen waren voll, das gab es schon lange nicht mehr. Ein merkwürdiges Gefühl lag in der Luft, äußerste Vorsicht war geboten, denn das Verhältnis zu den Bayern-Fans ist bekanntermaßen kein besonders liebevolles.
Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, dass ich nicht einen einzigen Vernünftigen unter ihnen kenne, zum Beispiel Kumpel Josef, den ich zusammen mit Felix im vergangenen Sommer bei seiner Familie in Passau besucht habe. Eine Ausnahme unter vielen Bayern-“Fans“, die das Innere eines Stadions nur ganz selten zu Gesicht bekommen, die sich vorwiegend daheim bei Sky die Partie anschauen, sich des teilnahmslosen Erfolgs erfreuen und natürlich über jene lachen, deren Vereine zwar weniger Titel und Triumphe vorzuweisen hat, dafür aber oft eine leidenschaftlichere und engagierte Gefolgschaft hat.
Dreiviertel Mehrheit
Sie waren überall, fast schon wie eine Ungeziefer-Plage überzogen sie ganz Cannstatt. Ein kurzes Treffen mit Freunden an der großen Treppe Richtung Palm Beach, unzählige Bajuwaren strömten an uns vorbei, es waren gefühlt sehr viel mehr als jene, die das VfB-Wappen auf dem Trikot oder dem Schal hatten. Man konnte sich bereits ausmalen, wie das aussehen würde: sobald die Bayern ein Tor erzielen, werden die Leute überall aufspringen, da sie überall verteilt sind. Soviel zum Thema „Heimspiel“.
Mit gemischten Gefühlen lief ich die Treppenstufen zu meinem Platz hinunter. Die Kurve war bereits gut gefüllt, wie auch schon der Rest des Stadions. Ich könnte jetzt daheim auf der Couch sitzen und ein Buch lesen, oder ein paar Fotos im Kurpark machen. Ich entschied mich dazu, den VfB in (möglichst) jedem Spiel zu unterstützen, auch dann noch, wenn das Eis dünn und die Hoffnung rar ist. Doch niemand hatte mich vor einigen Jahren davor gewarnt, wieviel Kraft und Nerven der andauernde Abstiegskampf fordern würde. Doch wer sein Herz verschenkt, muss damit rechnen, dass es eines Tages gebrochen wird. Oder auch: wöchentlich.
So wirklich viel Lust schien indes auch die Kurve nicht zu haben, zumindest nicht in meinem direkten Umfeld. Dann war ich wenigstens in Gesellschaft. Selbst wenn wir heute verlieren sollten, das Gefühl, daheim ein Tor zu sehen, wäre aller Ehren wert. Doch was versteht die aktuelle Mannschaft schon viel von Ehre? Oder Leidenschaft? Oder dem bedingungslosen Willen, alles zu geben? Das alles haben wir oft vermisst. Dass wir überhaupt an ein paar Pünktchen gekommen waren, schreibe ich mittlerweile fast eher dem Zufall zu, als dass es das Ergebnis konsequenter Arbeit ist.
Andere Zeiten
Fast anderthalb Stunden galt es zu überbrücken, bis Schiedsrichter Florian Meyer die Mannschaften aufs Feld führte, begleitet von zwei Choreos aus traurigem Anlass: während die Cannstatter Kurve einen verstorbenen treuen Fan betrauerte, galt die Choreo im Gästeblock dem kürzlich verstorbenen Kult-Trainer Udo Lattek. Was auch in dieser Partie geschehen würde, alles andere als eine Niederlage in entsprechend hohem Maße wäre eine Überraschung gewesen. Man solle den VfB aber besser nie komplett abschreiben, das kennen wir ja.
Einen Sieg gegen die Bayern habe ich in meinem vergleichsweise noch jungem Fanleben noch nicht gesehen – doch nur, weil mir ein Kumpel zum Selbstschutz riet und mir den Ratschlag auf den Weg gegeben hatte, daheim zu bleiben, in München gäbe es ohnehin nichts zu holen. Der VfB gewann einst mit 1:2 in München, es war der letzte Punktgewinn gegen die Bayern. Ein 2:2 und ein 0:0 sind die einzigen beiden Unentschiedenen, denen ich beiwohnen durfte. Davor, dazwischen und danach folgte unzählige Klatschen und einige bittere knappe Niederlagen.
Es gab sie, die Zeiten, in denen der VfB den FCB ärgern konnte – sie lag vor meiner Zeit. Mit einem bunten Intro ging es los, ein wenig kribbelte es schon, doch schon bald erinnerte ich mich daran, nicht zu viel erwarten zu dürfen. Vedad Ibisevic spielte von Beginn an. Moment mal, Vedad Ibisevic daheim gegen die Bayern – da war doch mal was?! Achja, richtig. Ist schon lange her. Schnell noch besonders liebevoll den Gäste-Keeper begrüßt: Vielleicht ist es ja gar nicht ein Arschloch im Tor, sondern Manuel Neuer.
Der Blick auf andere Plätze
Es sei mir verziehen, nicht jede einzelne Spielsituation genaustens zu kommentieren. Zu frustrierend der Gedanke an eine ängstliche und in erster Linie nach vorne völlig harmlose Partie aufzuarbeiten. Nach den ersten paar Sekunden fotografierte ich die Anzeigetafel, wer weiß schon, wie lange dieses 0:0 anhalten würde. Stünde es nach 90 Minuten, oder, ganz wichtig, nach Abpfiff, immernoch dabei, es sollte uns mehr als Recht sein. Die ersten zehn Minuten schon einmal unbeschadet überstanden zu haben, war schon einmal löblich.
Dafür fielen woanders bereits die ersten Tore, schon bald erreichte uns der Zwischenstand aus Freiburg. Dortmund führte. So eine Scheiße. Auf dem Feld zeichnete sich inzwischen das ab, was anzunehmen war: mit Mann und Maus standen sie hinten drin. Und auf den Tribünen sah es nicht anders aus, überall waren Bayerntrikots und Schals zu sehen, wer weiß, wieviele traurigerweise aus der direkten Region rund um Stuttgart kommen.
Der Verdacht liegt nahe, sich im Zweifel stets einen Verein aufgrund der erwarteten Erfolge auszusuchen. Dann muss man sich zumindest nicht mit solch anstrengenden Dingen wie Abstiegskampf, katastrophalen Leistungen, heftigen Niederlagen oder gar dem Support im Stadion beschäftigen, wenn es auf der Couch doch so viel bequemer ist. Ich will nicht alle Bayern-Fans verurteilen, weiß ich doch, dass mein Kumpel Josef weitgehend ein Allesfahrer ist.
Hoffnungsvoller Auftakt
Nach knapp 13 Minuten ein Freistoß von Moritz Leitner und ein Kopfball von Timo Baumgartl. Holla, was geht? Schickt sich hier der VfB tatsächlich an, die offensichtliche Behäbigkeit des FC Bayern auszunutzen? Vielleicht geht ja mit Glück doch noch etwas, ein einziges Tor und schon kann eine wochen- und monatelange Blockade gelöst werden. Noch war die Kurve doch recht gut gelaunt und optimistisch, dass das Wunder von Stuttgart möglich wäre, und je mehr Zeit verstrich, desto größer wurden die Hoffnungen, mit Glück endlich auch zum Erfolg zu kommen.
Trotz allem wollte keine ganz große Euphorie aufkommen, man wusste das wohl schon realistisch einzuschätzen. In den Randblöcken, darunter auch mein Block 33, wollte keine so richtig tolle Stimmung aufkommen, auch ein klares Zeichen, dass sich die Zeiten in Cannstatt geändert haben. Traurig, aber wahr. Das Bemühen konnte man der Mannschaft nun wahrlich nicht absprechen, nicht in der ersten Halbzeit. Trotz des knapp 80%igen Ballbesitzes der Gäste.
Es war nicht zu glauben, hier war der VfB dem Tor näher als die klaren Favoriten aus München! Vedad Ibisevic leitete mit einem tollen Pass auf Adam Hlousek einen Angriff ein, Christian Gentner lief mit, doch versprang ihm schlussendlich der Ball ein wenig, der ihn zum Rückpass zwang. An der Strafraumgrenze war mittlerweile Gotoku Sakai angekommen, der sich ein Herz fasste und abzog. Er flog. Und flog. Und flog. Der Jubelschrei schon auf den Lippen, die paar wenigen VfB-Fans, die sich auf den Tribünen zwischen all den Bayern-Fans behaupten mussten, erhoben sich. Pfosten!
Individuelle Klasse
Es fehlte nicht viel und Manuel Neuer wäre geschlagen gewesen. Was wäre das nur für eine Geschichte gewesen. Gotoku Sakai, unsre Nummer Zwei. Sie waren verwundbar, unsere heutigen Gäste. Die Kurve erwachte, endlich war es der Support, den man sich vorgestellt hatte. Für mich begann ein unweigerlicher Kampf im Inneren: Sollte ich vielleicht doch hoffen? Aber wozu, wenn es am Ende dann doch wieder wehtut? So schaute ich dem Treiben weiterhin zu, jederzeit in der traurigen Annahme, ein wenig Dusel würde den Bayern schon helfen: ein abgefälschter Ball, ein unberechtigter Elfmeter, ein krummes Ding, irgendwas.
Oder eben ein Sonntagsschuss. Das ist die individuelle Klasse eines Arjen Robben und die individuelle Tollpatschigkeit einer Stuttgarter Abwehr. Ein einziger dummer Fehler und es trat jene Situation ein, die ich schon seit Tagen und Wochen gefürchtet hatte: mehr als die Hälfte des Stadions war freudestrahlend aufgesprungen. Der Stich ins Herz, der in diesen Spielen stets ein bisschen mehr schmerzt als in jeder anderen Partie.
Es war der erste richtige Torschuss der Bayern. Nicht hart genug verteidigt, nach innen gezogen, abgezogen, Tor. Unhaltbar für den viel zu weit draußen stehenden Sven Ulreich. Um uns herum tobten und jubelten alle. Wessen Heimspiel ist das hier eigentlich? Es war selten so schlimm wie dieses Mal. Schockstarre in der Cannstatter Kurve, ausgelassene Stimmung überall um uns herum. Wenige Minuten vor der Halbzeitpause war es nun doch passiert.
Das wars
Was nun, Huub Stevens? Es durfte bezweifelt werden, dass er Wege und Mittel findet, der Mannschaft klar zu machen, dass ein Spiel nicht automatisch mit dem 0:1 verloren ist. Mit dezentem Applaus verabschiedeten wir die Jungs in die Halbzeitpause. Viele Illusionen in Richtung Ausgleich wollte ich mir trotzdem nicht machen, dafür kenne ich meine Pappenheimer mittlerweile zu gut. Es war kalt, ein wenig unter Null, der kalte Wind ließ es gefühlt weniger sein. Vermeintlich dick angezogen, doch fror ich natürlich trotzdem, allen voran an den Zehen, die ich teilweise nicht recht bewegen konnte.
Die Fernsehkameras waren mittlerweile auf einen jungen Mann aufmerksam geworden, der ein selbst geschriebenes Plakat in Händen hielt: „Darf ich bitte mitspielen? Ich bin nicht schlechter als Ibisevic“. Ein im Nachgang heiß diskutierter Sachverhalt, er polarisierte damit zusehends. Während die meisten es für amüsant hielten und ihm wohlwollend beipflichteten, zeigten sich die anderen völlig entrüstet und stellten umgehend in Frage, was für ein Fan er denn sei.
Zu Beginn des zweiten Durchgangs lag er wieder mal wie üblich am Boden, der fliegende Holländer. Weinerlich rieb er sich die rechte Wade, konsequent beantwortet vom alljährlichen „Alle auf die Zehn!“. Lange fand das die Cannstatter Kurve nicht lustig. Es gab einen Freistoß in verdächtig guter Position, David Alaba trat an. Noch so ein Sonntagsschuss, über die Mauer, hinein ins rechte Eck. Ohrenbetäubender Lärm um uns herum. Das wars dann wohl endgültig mit dem zarten Pflänzchen der Hoffnung.
Am Tabellenende angekommen – mal wieder
„Tor für die Gäste“. Immer und immer wieder. Zum 19. Mal in dieser Saison. Der Wille des VfB war gebrochen, sowohl der der Spiele als auch weitgehend der der Fans. Wieder hatte man es versäumt, seine Chancen im rechten Moment zu nutzen und zahlte nun bitteres Lehrgeld. Nun war es ein Leichtes für die Gäste, einfach ihr Spiel herunterzuspulen, denn gefährlich wurde der VfB nun nicht mehr. Ernüchterung und Ratlosigkeit auf der einen Seite, die große Klappe auf der anderen Seite, oder vielmehr: auf den anderen Seiten.
Alexandru Maxim kam nach gut einer Stunde in die Partie, sehr viel früher als noch in Köln, doch zu spät, um die bereits liegen gelassenen Möglichkeiten wieder wett zu machen. Das Spiel war verloren, es war nur noch eine Frage der Höhe. Der Blick auf die anderen Ergebnisse machte die Situation keinesfalls besser, unsere direkten Konkurrenten Hertha und auch Dortmund führten mittlerweile jeweils mit 2:0.
Wir wussten sehr wohl, was das bedeutet, nämlich dass Stadionsprecher Holger Laser nach Abpfiff die Tabelle nicht verlesen würde. Reiner Selbstschutz vor der erwarteten Wut aufgebrachter Fans. Wir kennen die Tabelle und der Schmerz, der mit dem Blick darauf verbunden ist. Die Spieler offensichtlich nicht. Oft lassen sie vermissen, dass sie es unbedingt wollen, und wundern sich dann, dass wir ihnen für erneute Niederlagen nicht immer wieder Beifall klatschen wollen.
Hohn und Spott
Möge es schnell vorbei sein. Schlimmer konnte der Tag ohnehin kaum kommen, das Heimspiel verloren, deutlich in der Unterzahl, die Siege der kompletten Konkurrenz und dem Hohn und Spott der großkotzigen Münchener ausgesetzt. Es gibt Tage, da wäre man lieber im Bett geblieben. Und Tage, da wünscht man sich, niemals zum Fußball gekommen zu sein, ein erschreckender Gedanke. Die letzte halbe Stunde zog sich ewig hin, ich sehnte mich nur noch nach dem Abpfiff und der Rückkehr in eine gemütlich vorgeheizte Wohnung, gut 20 Fußminuten vom Neckarstadion entfernt.
Die ersten Zuschauer machten sich gut eine Viertelstunde vor Abpfiff auf den Weg, schwer zu sagen, welchem der beiden Vereine sie die Daumen gedrückt haben. Gründe hätten wohl beide gehabt, entweder die Schnauze voll oder auch das Wiegen in Sicherheit. Auch in der Kurve machten sich schon lange vor Abpfiff die ersten aus dem Staub, wer noch geblieben war, hielt seinen Schal in die Luft, ein prächtiges Bild an einem ganz und gar nicht prächtigen Spieltag.
Ich bin nicht enttäuscht wegen der beiden Gegentore, von denen kein einziges zu halten gewesen war, ich bin vielmehr enttäuscht aufgrund der eigenen liegen gelassenen Möglichkeiten. Man stelle sich nur vor, dass Vedad Ibisevic wie zu besten Zeiten aufgelaufen wäre, wenn auch Martin Harnik wieder der Alte gewesen wäre, oder wenn Gotoku Sakai statt den Außenpfosten den Innenpfosten getroffen hätte. Doch was nützt alle Theorie, wenn in der Praxis die „Null“ auf der falschen Seite steht. Regel Nummer Eins beim Fußball: Um zu gewinnen, musst du ein Tor mehr als der Gegner schießen. Mindestens.
Verschobene Wahrnehmung
Nach einer Minute Nachspielzeit pfiff Florian Meyer schließlich ab, es ging fast unter im „Hier regiert der FCB“. Mit hängenden Köpfen sackten die Spieler in Weiß in sich zusammen, klagloses Starren in der Cannstatter Kurve. Pfiffe gab es nicht, paradoxerweise war dafür die Leistung der Mannschaft fast schon „zu gut“, es war nicht durchweg der befürchtete ängstliche Auftritt des Kaninchens vor der Schlange. Sie gaben das, was im Rahmen ihrer Möglichkeiten machbar war, und das ist bedauerlicherweise derzeit erschreckend wenig.
War es vor nicht allzu langer Zeit noch die Defensive, die einem Kopfzerbrechen bereitete, ist es nun andersherum, die Offensive macht uns Sorgen. Wer derart harmlos agiert und das Tore schießen eingestellt hat, braucht sich nicht zu wundern, wenn ein Gegentor pro Spiel für eine Niederlage völlig ausreichend ist. Das hat sich herumgesprochen in der Bundesliga und lässt überhaupt nichts Gutes für die nächsten Wochen erahnen.
Felix und ich suchten schon schnell das Weite, früher als sonst waren wir bereits unterwegs nach Hause. Die ersten Stimmen zum Spiel, seien sie öffentlich oder aus den Reihen unserer VfB-Freunde, stimmten mich sorgenvoll. Hatte ich mich von der Tatsache, es sei nicht so schlimm gewesen, etwa blenden lassen? Mit ziemlich großer Wahrscheinlichkeit würde das Schreiben dieses Spielberichtes in allen Belangen zäh werden, das war mir bereits gestern Abend bewusst geworden. Weit über 24 Stunden nach Abpfiff bin ich nun fertig – es war erwartet zäh.
Schwere Wochen
Wieviele von euch diesen Spielbericht tatsächlich von Anfang bis Ende durchgelesen haben, weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass es schon Rückblicke gab, die sich wesentlich einfacher gelesen haben, wie Hannover, Leverkusen, Frankfurt oder Hamburg. Und obwohl mich diese freiwillig auferlegte „Pflicht“ des Öfteren mal an die Grenzen meiner Kraft treibt, so werde ich nicht ablassen von dem Weg, den ich eingeschlagen habe, meinen VfB-Freunden in ganz Deutschland und nicht zuletzt mir selbst eine Erinnerung bewahren an das, was sonst in keiner Spielstatistik dieser Welt steht.
Die nächsten Wochen werden mit Sicherheit nicht einfacher: als nächstes folgen Spiele gegen Hoffenheim (7.), Dortmund (16.) und Hannover (9.), die maximale Differenz von unserem nun letzten Tabellenplatz bis zu den siebtplatzierten Hoffenheimern beträgt „nur“ acht Punkte, doch sollte man sich freilich nicht davon blenden lassen. Eine bemerkenswerte Ruhe scheint in dem Verein zu herrschen, oder sind es (mal wieder) nur wir Fans, die verrückt spielen und den Teufel an die Wand malen?
Wo das alles hinführen wird, mag ich mir noch gar nicht richtig ausmalen. Was, wenn ich tatsächlich meinen Chef darum bitten muss, mir zu den Montagsspielen freizugeben? Was, wenn wir tatsächlich nicht mehr gegen Bayern, Schalke und Gladbach etc. spielen, sondern gegen Aalen, Heidenheim und Sandhausen? Ich ahne Schlimmes für die nächsten Wochen und Monate. Sollte jemand etwas Positives und Hoffnungsvolles zu sagen haben, so darf er gerne jetzt vortreten und sprechen.
33 Jahre, gebürtig aus Leipzig, seit 2010 wohnhaft in Stuttgart – Bad Cannstatt. Dauerkartenbesitzerin, Mitglied, ehemalige (Fast-)Allesfahrerin und Fotografin für vfb-bilder.de. Aus Liebe zum VfB Stuttgart berichte ich hier von meinen Erlebnissen – im Stadion und Abseits davon.
Mehr über mich
Neueste Kommentare