Es hatte sich angedeutet, und was schon in den letzten Spielen des VfB Stuttgart suboptimal lief, sollte sich gnadenlos fortsetzen. Besser als mein Kumpel Franz konnte man es an jenem frustrierenden Abend nicht ausdrücken: “Warum nur fallen die Jungs neuerdings immer nach einer halben Stunde zusammen wie ein Soufflé?”. Beantworten konnte er es nicht. Und auch ich kann es nicht.

Unvergessen wird sie bleiben, die Champions League Hymne, die ich zum ersten Mal in meinem live im rumänischen Timisoara zur Champions League Qualifikation hören durfte und mein VfB in die Königsklasse kam. Dafür haben wir schwer geschuftet, um uns mit den Großen Europas messen zu können. Niemand denkt gerne zurück an die katastrophalen Auftritte im Jahr 2007 nach der Deutschen Meisterschaft, als gar nichts zusammenlaufen wollte und man mit einem einzigen Sieg aus 6 Spielen sang- und klanglos ausschied. Wir können das doch wirklich besser.

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Mannschaftsaufstellung

Die Zeichen standen gut, schließlich treffen die Schwaben in jeder der letzten Champions League Saisons auf die Glasgow Rangers aus Schottland, beide Heimspiele konnten wir gewinnen, also kein Grund zur Sorge, auch wenn die letzten Ligaspiele nicht optimal gelaufen sind.

Die magische Formel lautete “2x 0,5” – zumindest meine eigene Formel, denn der Ausflug nach Stuttgart mitten in der Woche kostete mich 2 halbe Urlaubstage, am Tag des richtungsweisenden ersten Champions League Gruppenspiels wurde noch bis Mittags gearbeitet, der Tunnelblick schon längst gen Zweitheimat. Eingepfercht in die ungeliebte Mitte auf dem Rücksitz ging es zu Fünft in die baden-württembergische Landeshauptstadt. Es gibt doch nichts schöneres als der geliebte Stallgeruch.

Angekommen in Bad Cannstatt wurde Kumpel Micha vom Forum tooor.de zum ersten bekannten Gesicht, das ich an diesem Tag begrüßen durfte. Er kam gerade an aus seiner Heimat Freudenstadt und musste mich sogleich wieder gehen lassen, ich leistete Stammfahrer Reinhart und seiner Frau Conny Gesellschaft beim verspäteten aber gemütlichen Mittagessen in einem Restaurant neben dem Cannstatter Bahnhof. Leckere Maultaschen zum guten Preis – nur zu emfehlen: “Cannstatter Tor”.

Der schönste Zustand auf der Skala nach dem Torjubel ist jener Zustand eines vollen Magens und einer leeren Blase – im Gegensatz zu anders herum. Gut gesättigt fuhren wir zum Stadion, ich begrüßte wieder ein paar Bekannte und lief dann sogleich rüber zum Stadion, wo Micha schon wartete und wir es uns auf der großen Treppe vorm Carl Benz Center gemütlich gemacht haben und die Zeit wie im Flug verging. Zu uns gesellten sich noch weitere Bekannte.

Und auch am Platz im Block 37c in der Cannstatter Kurve riss die Flut an bekannten Gesichtern nicht ab, Martin, Bruder von Marc, einer der ersten VfB-Fans die ich vom Forum kennengelernt hatte, war schon da und amüsierte sich köstlich über mein Update an mehr oder weniger abenteuerlichen Livespielen. Trotz der Aussage, das Stadion wäre nicht ausverkauft, war es für das Auge des Betrachters sehr voll, der Gästeblock neben uns war komplett in Blau getaucht.

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Das 1:0 durch Pawel Pogrebnyak

Nach 4 Heimspielen in dieser Saison habe ich mich sogar schon an das Fehlen einer Leinwand gewöhnt, auch wenn es als Dauerzustand alles andere als wünschenswert ist. Das Gröhlen der Mannschaftsaufstellung lief jedenfalls reibungslos, an der überraschenden Aufstellung von Alex Hleb (was ich zugegebenermaßen schon einige Minuten zuvor auf einem TV-Bildschirm sah) erfreuten sich 39.000 Zuschauer.

Wochenlange Tristesse, doch die Jungs legten los wie die Feuerwehr. Nach nur wenigen Sekunden die erste Chance, die erste Parade des schottischen Keepers. es entwickelte sich in den darauffolgenden Minuten zu einem klasse Spiel, unsere geliebten Jungs schnürten die Rangers förmlich in der eigenen Hälfte ein, die Chancen kamen im Minutentakt. Wann hier das erste Tor fallen würde, wäre nur noch eine Frage der Zeit.

Auch die Stimmung ließ nicht zu wünschen übrig: mit einer Lautstärke, wie ich sie schon seit Monaten nicht mehr erlebt habe, ließ sich jeder von der Stimmung anstecken, die in den Steh- und 30er-Blöcken ihren Ursprung hatte. In jedem Falle ein Grund, es zu genießen, wenn sogar das geneigte Sitzpublikum durchweg steht, zumindest in den ersten Minuten. Man konnte dieses Spiel und diese Stimmung, diese Mannschaft und dieses Stadion einfach nur genießen mit jedem einzelnen Atemzug.

Und auch der neue Stürmer Pawel Pogrebnyak trug dazu bei, dass es so fantastisch weitergehen konnte: er ließ uns mit seinem Tor zum 1:0 jubeln. Wie schon “üblich”, die Kamera war dabei. Und ja, ich schaffe es tatsächlich, das Spiel nicht ausschließlich durch ein 3″ Zoll Display zu verfolgen. Hand hoch, wer nicht in diesem Moment das Gefühl hatte, es würde gut gehen und wir würden das Kind schaukeln, wenn wir so weiterspielen.

Wie zu erwarten bauten die Jungs danach etwas ab, bis zum Halbzeitpfiff allerdings kein Grund zur Sorge. Die freien 15 Minuten der Pause nutzte ich obligatorisch aus, um meinem Kumpel Martin in Block 33 einen Besuch abzustatten. Auf dem Weg dorthin traf ich zum ersten Mal meinen Italo-Kumpel Patrick, es wäre interessant, es mal als Außenstehener zu beobachten, wenn 2 Menschen, die sich online kennengelernt haben, sich unerwartet live treffen. Ob es am Stadion ist oder einst in einer Autobahnraststätte auf dem Weg nach Hause vom Auswärtsspiel. Nach über anderthalb Jahren studiVZ traf man sich zufällig vor dem Stadion zwischen den Blockeingängen 35 und 34. Da Martin bereits auf mich wartete, konnte ich Patrick nur versprechen, mir beim nächsten Mal bewusst mehr Zeit für ihn zu nehmen – und ich habe vor, mich daran zu halten.

Ein weiteres bekanntes Gesicht, das höchst erstaunt war, mich vor Ort zu treffen: Martin begrüßte mich wie immer herzlich, auch Micha aus Freudenstadt war mit bei mir, wir waren ohnehin für die Halbzeitpause verabredet. Ein kurzer Plausch und ich tauschte mit Micha meine Karte, ich bin dann hinein in Block 33d, Micha nahm meinen Platz in Block 37c ein – ich wollte ohnehin mal etwas mehr von der Stimmung “abbekommen”, obwohl die Stimmung in der ersten Halbzeit selbst bei den zum Sitzen neigenden Blöcken überzeugte.

Block 33d – da war doch mal was. Während der Schiedsrichter wieder anpfiff und das erste Gruppenspiel in den zweiten Durchgang startete, zückte ich mein Handy und versuchte mit mehreren SMS meine Freundin Bea aus Fellbach ausfindig zu machen. Knapp 15 Minuten, etliche Blicke nach oben, verdutzte Gegenblicke von Leute, die dachten, ich meinte sie, wieder einige SMS später fand ich sie 5 Reihen hinter mir und winkte ihr zu.

Währenddessen setzte sich der Leistungsabbau fort, anstatt das Spiel weiterhin mit festen Zügeln im Griff zu behalten. Wenn man die aktuelle Formkurve betrachtet glich die erste Hälfte einem Rauschzustand, dass auch der nicht ewig halten würde, war ja leider zu erwarten. Die Fehlpässe häuften sich und statt immer lauter werdender Fans, die sich am Spiel ihrer Mannschaft ergötzen, vernahm ich zunehmend eines: das kollektive Stöhnen.

Die Redewendung “Um ein Gegentor betteln” hat selten so zugetroffen wie im letzten Drittel des Spiels. Die Hülle der Konzentration verpuffte vollends und ließ uns in der 77. Minute zusammenfallen wie ein Soufflé – das Geräusch des Torjubels aus dem Gästeblock war unbeschreiblich markerschütternd.

Ein letztes Aufbäumen hätte sich wohl jeder gewünscht, Chance um Chance, es wurde einfach nichts daraus. An guten Tagen reicht eine schlecht geschossene Zufallsflanke oder ein blöd abgefälschter Pass, um die in andere Sphären zu heben, an schlechten Tagen kannst du 5 aussichtsreiche Freistöße und 10 gut eingedrehte Eckbälle vorgelegt bekommen und es will einfach nichts gelingen.

Wut und Enttäuschung, zu Recht – so dämlich kann man doch eigentlich kaum sein, ein gutes Spiel so dermaßen herschenken und den Traumstart in die Champions League Saison vergeigen. Die Pressemeldungen werden sich wieder dem annähern, was vor 2 Jahren wie ein hämischer Sturm über uns hinweg fegte.

Die Heimreise wurde spät, lang und traurig, ich ertrug es nur in dem Zustand, der mich nichts mehr mitbekommen ließ: schlafend auf dem Rücksitz – mit Pulli, Decke und Kissen. Nach einigen Unterbrechungen, um das Auto erneut mit Autogas vollzutanken, wurde ich halb 4 vor der Haustüre abgeliefert, wo ich 3 Tage später wieder abgeholt werden würde.

Es könnte einen härter treffen, als in der Champions League ein Unentschieden zu spielen – dennoch hatten wir uns das alle etwas anders vorgestellt. Die Müdigkeit forderte ihren Tribut und ich schlief die nächsten 8 Stunden durch, ohne einen einzigen Moment von den Geschehnissen des Abends zu träumen. Das war wahrscheinlich auch besser so.

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