Nur 3 Tage nach dem Spiel gegen Liechtenstein, in dem die 3 Punkte in der WM-Qualifikation bereits fest eingeplant waren, sollte gegen Wales der nächste Sieg eingefahren, was selbstredend kein Spaziergang wie gegen Liechtenstein werden würde. Und es wurde wie erwartet ein hartes Stück Arbeit.
Da das Spiel schon wieder gut anderthalb Wochen zurückliegt, fasse ich mich kurz. Die Enttäuschung vom Samstag zuvor steckte mir noch spürbar in den Knochen, doch war ich voller Hoffnung, Mario Gomez würde sein Tor hier und heute schon machen, wenn es darauf ankommt – und ich sollte, jedenfalls zur Hälfte, nicht enttäuscht werden.
An für sich mag ich es nicht, Spiele alleine zu Hause zu sehen, diesmal blieb mir jedoch keine andere Wahl. Ich wurde zwar von meinem bekannten Fotografen Uwe in eine Kneipe in der Nähe meines Büros zum Länderspiel anschauen eingeladen, doch hatte ich zu Hause noch zu viel Hausarbeit zu erledigen. So schaute ich zu Hause, meine Lautstärke erreichte zeitweise dennoch den Pegel einer voll besetzten Kneipe.
Mit Sprudelwasser, einem giftgrünen Apfel und dem drübergezogenen Trikot platzierte ich mich vorm Fernseher und musste nur 10 Minuten warten, um das erste Mal zu jubeln. Unser Kapitän Michael Ballack zog aus 25 Metern eiskalt aufs Waliser Tor, der Ball schlug knallhart ins Netz ein und ließ mich aufspringen, schreien und über alle Maßen freuen: 11. Minute, Tor für Deutschland, 1:0.
Das Spiel blieb spannend, es ging dauernd hin und her. Nationalkeeper Robert Enke entschärfte einige sehr gute Bälle und hielt den 1:0-Vorsprung eisern fest. Ohne weitere große Vorkommnisse ging es in die Pause, die ich gemäß meines Plans auch so nutzte, wie es angedacht war: durch die Wohnung wirbeln und aufräumen, Hausarbeiten erledigen und den ganzen Scheiß, Zeug, wofür sich normale Frauen, die nichts mit Fußball anzufangen wissen, mindestens 90 Minuten Zeit dafür nehmen. Aber wann war ich das schon jemals: normal?!
Noch weitere 45 Minuten waren Zeit, damit er sein Tor machen konnte, und all die Pfiffe vom Spiel gegen Liechtenstein vergessen machen konnte. Es kann das Einfachste der Welt sein: Einen Ball ins Tor schieben. Entweder mit dem Fuß, dem Oberschenkel, dem Kopf, dem Hintern, den Kronjowelen, der Ball muss einfach ins Tor. Klingt einfach – und ist dennoch so kompliziert, wie mir scheint. Aber was weiß ich schon – vor 10 Jahren habe ich auf dem elterlichen Hof in der Plattenbausiedlung gebolzt, ich kenne am eignen Leib das Tor nur mit 2 Bäumen, die links und rechts zum Tor geworden sind.Alle Hoffnung war nur auf eine Sache gerichtet: er soll ein Tor machen. Und Deutschland sollte siegen, nicht zu vergessen, nicht, das mir außer dieser einen Sache nun wirklich alles egal gewesen wäre. Er mühte sich, er ackerte und rackerte, rieb sich auf und erspielte sich zahlreiche Chancen, es wollte nicht klappen in der ersten Halbzeit.
Umso euphorischer sprang ich auf, als zu Beginn der 2. Halbzeit Mario aufs Tor zulief, bei einem Zweikampf mit einem Waliser im Strafraum zu Fall kam doch statt vor “unsäglichen Schmerzen” zu schreien, stand er wieder auf, spielte den Ball in die Mitte, voller Hoffnung es wäre ein Weißer mitgelaufen – man konnte förmlich das Raunen des deutschen Gästeblocks in Wales über die Außenmikrofone vernehmen, da kam ein Waliser angerauscht, wollte den Ball endgültig klären – was ihm nur unzureichend gelang, denn mit seinem sogenannten “Klärungsversuch” verursachte er meinen lautesten, erleichtertsten Torjubel der letzten Zeit. Eigentor Wales – zur Hälfte darf man es dem Mario Gomez zuschreiben. Eine kleine Last fiel von ihm ab, als ich in den Fernsehbildern sein erleichtertes Gesicht sah, bekam ich eine Gänsehaut.
An den Rest des Spiels kann ich mich kaum noch erinnern, ich war froh, das wir 2:0 führten und Enke souverän einen Schuss nach dem anderen entschärfte und uns nach und nach der Sieg in einem weiteren WM-Qualifikationsspiel immer nähe rückte: mit dem Abpfiff war es dann geschafft, die Hände in die Luft gestreckt, nochmal kurz gejubelt, das obligatorische kurze in die Hände klatschen – was gibt man nicht alles für seine Rituale.
Ich kann mich leider nicht mehr erinnern, wo ich es gehört oder gelesen habe, aber derjenige hatte durchaus Recht: Dem Hurra-Fußball, der seit Ende der WM 2006 unter Jogi Löw gespielt wurde, wurde seit November 2008, beginnend mit dem Unentschieden gegen Finnland, was sich mit Niederlagen gegen England und Norwegen fortsetzte, eine regelrechte “Nationalmannschafts-Tristesse”, passend zur Finanzkrise. Statt begeisternden Spielen wollte nichts mehr so recht klappen. Doch auch hier trage ich selbstredend die Hoffnung in mir, schon bald wieder mitreißende Spiele zu sehen. Wie das 4:1 gegen die Slowakei, das 2:1 gegen Tschechien und vor allem das 3:2 gegen Portugal, dem ich live beiwohnte. Schön waren die Zeiten – und sie werden wiederkommen, dessen bin ich mir ganz, ganz sicher.
33 Jahre, gebürtig aus Leipzig, seit 2010 wohnhaft in Stuttgart – Bad Cannstatt. Dauerkartenbesitzerin, Mitglied, ehemalige (Fast-)Allesfahrerin und Fotografin für vfb-bilder.de. Aus Liebe zum VfB Stuttgart berichte ich hier von meinen Erlebnissen – im Stadion und Abseits davon.
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