“Gibt einfach so Tage” \” so hatte mich mein bester Freund am Abend via WhatsApp noch zu trösten versucht. Es nützte nicht viel. Frustriert saß ich allein daheim vorm heimischen Fernseher und schaute mir die “Highlights” unseres Spiels in der Sportschau an, während Felix mit Freunden etwas trinken war. Der Frust sitzt tief nach der zweiten Niederlage im zweiten Spiel. Soviel zum Thema Aufbruchsstimmung, nicht wahr? Wieder einmal gelang es mir nicht, den Ärger hinter mir zu lassen und mich wieder zu beruhigen.
Stunden zuvor hatte ich wortlos auf einer der Stufen im Block 33b gekauert und aufs leere Spielfeld hinaus geschaut, viele Fragen schossen mir durch den Kopf. Geht der ganze Ärger wieder von vorne los? Muss die Saison, auf die ich mich eigentlich gefreut hatte, jetzt schon abgeschrieben werden? Wird Bruno Labbadia dem Druck standhalten? Und warum ist es eine Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet ein ehemaliger Leverkusener zum einzigen Tor des Tages traf \” ins eigene Netz.
Meine Füße schmerzten nach der alljährlichen Karawane Cannstatt, die immer vor dem ersten Heimspiel durch Cannstatt in Richtung Stadion zieht. Meine Schultern schmerzten, die Sonne verbrannte mir ein wenig die Haut. Mein Herz schmerzte, wieder eine Auftaktniederlage. Nun haben wir nach zwei Spielen null Punkte, einer weniger als letztes Jahr, was alles andere als positiv verlief. Natürlich kann und will ich die Saison nach dem zweiten Spiel noch nicht abschreiben \” doch die Angst ist wieder da.
Vom Angstgegner und Angststürmer
Immer wieder Leverkusen, immer wieder Niederlagen, immer wieder Stefan Kießling. Kein anderer Stürmer trifft so regelmäßig gegen uns wie der 29-jährige Lockenschopf von der Werkself. Ich hatte immer gehofft, dass es eines Tages ein Spiel geben würde, in dem er nicht trifft. Beim Auswärtsspiel letzte Saison waren wir nah dran, bis er in der 82. Minute vom Elfmeterpunkt dann doch zum zwischenzeitlichen Ausgleich traf, bevor Lars Bender vier Minuten später die Partie drehte.
Ja, ich fürchte diesen Spieler ganz besonders, wenn wir auf ihn treffen. Das sagte mir mein Bauchgefühl bereits in den Tagen zuvor. Nervös und aufgeregt freute ich mich auf meinen tatsächlichen Saisonstart, die ersten Spiele hatte ich ja bereits sausen lassen müssen. In Mainz war ich leider nicht wegen eines gewissen britischen Popstars, so war die Vorfreude auf das erste Heimspiel umso größer. Für 13 Uhr war der Treffpunkt am Cannstatter Bahnhof kommuniziert worden, unzählige weiße Brustringtrikots konnten schon von Weitem gesichtet werden, als wir gegen halb eins bereits schon vor Ort waren.
Seit einigen Jahren begleite ich die Karawane Cannstatt als eine der Fotografen und war natürlich auch dieses Mal mit dabei, samt besserer Hälfte natürlich. Schon Wochen zuvor hatte Felix mit einem Arbeitskollegen vereinbart, dass er in seine Wohnung darf und vom Fenster aus fotografieren kann, die Bilder bei der letzten Karawane waren beeindruckend. Leider erfuhren wir vor Ort, dass die Karawane diesmal eine andere Route nehmen würde, vermutlich war sie nicht anders genehmigt worden.
Die Karawane zieht weiter, die Kurve hat Durst
Damit war der reservierte Fotoplatz im 3. Stock eines Hauses am Veielbrunnenweg natürlich hinfällig, die Karawane zog stattdessen außen herum: am Bahnhof in die andere Richtung, über die König-Karl-Straße auf die Mercedesstraße bis zur Brücke an der Schleyerhalle vor dem Stadion. Bevor es losgehen konnte, zogen dunkle Wolken auf über dem Cannstatter Bahnhof. Die Sorge war groß, dass es jetzt gleich losgehen würde mit dem Regen, den keiner von so wirklich einkalkuliert hatte: strahlender Sonnenschein den gesamten Tag über, kein Regen. Die ersten Tropfen fielen, “Nicht so schlimm!” dachte ich noch, bis ein kurzer, aber kräftiger Schauer auf uns niederprasselte.
Schnell retteten sich die Karawanen-Läufer unter die Bäume und Überdachungen in der Nähe. Schnell hörte es wieder auf und es konnte losgehen. Regen wäre für meine Spiegelreflexkamera jedenfalls nicht arg geschickt gewesen. Der Startschuss war gefallen, die Karawane zog los \” farbenfroh, fröhlich und laut. Die Brücke an der König-Karl-Straße sorgte für einen akustischen Zugewinn, Unbeteiligte säumten die Gehwege, interessierte Blicke aus den vorbeifahrenden Stadtbahnen und Autos sowie neugierige Gaffer an den Fenstern der Wohnhäuser.
Immer vorneweg mit der Kamera ärgerte ich mich natürlich über jene Unbeteiligte, die sich vor die Karawane stellten und mit ihren Smartphones Fotos und Videos machten und damit die Sicht auf uns mehr oder weniger offizielle Fotografen blockierten. Felix war bereits schon vorgelaufen zur Brücke, um einen guten Platz von oben zu bekommen, wenn es schon nicht mit der Wohnung des Kollegen geklappt hatte. Die Mercedesstraße zog sich lang, auf schnurgerader Strecke vorbei am Wasengelände, auf dem bereits schon fleißig vorbereitet wird für den Wasen, der Ende September beginnt.
Quo vadis, VfB?
Schließlich erreichten wir die Brücke an der Schleyerhalle, wo die Karawane wie alle Jahre zuvor ihr Ende fand. Unzählige Fotos hatten wir bereits im Kasten, die Auswahl und Bearbeitung würde langwierig werden, dessen konnte ich mir schon jetzt sicher sein. Gut eine Stunde waren wir unterwegs gewesen, die Sonne kam wieder heraus und verbrannte mir allmählich meine Schultern, die nur von den Trägern meines weißen Tanktops bedeckt waren. Aktuell gibt mein Kleiderschrank kein Brustringtrikot her, zumindest keines, was nach den ersten gepurzelten Kilos nicht wie ein Zelt aussieht.
Die Karawane war vorbei, die erste Station abgehakt. Schlagartig war ich gedanklich bei dem Spiel, was vermutlich nicht zu unserem Gunsten ausfallen würde. Als ich an diesem Tage um 7 Uhr morgens beim Friseur saß und ich gut 20 Zentimeter Mähne gelassen habe, fragte mich meine Friseurin (ebenfalls VfB-Fan), was ich denn tippen würde \” “Ganz ehrlich? 1:3… Kießling trifft eh mindestens ein Mal.”
Mein Wunschdenken war selbstverständlich etwas anderes, nach den schwachen, wenn auch ergebnistechnisch erfolgreichen Auftritten in Europa League und DFB-Pokal und der Pleite in Mainz hätten wir das erste richtige Erfolgserlebnis gegen den Champions League Teilnehmer aus der Pillenstadt bitter nötig. Wohin führt der Weg des VfB Stuttgart? Bei der Mitgliederversammlung vor gut einem Monat wähnten wir uns in einer positiven Aufbruchsstimmung, die schon jetzt wieder nahezu hinfällig ist.
Nach 13 Wochen zurück in der Kurve
So sehr jahrelang die Hinrunde obligatorisch schlecht und die Rückrunde meist überdurchschnittlich gut war, bewies uns vergangene Saison, dass es auch mal eine ganze Saison über durchwachsen sein kann. Folglich ist der VfB eine Wundertüte, von der man nie so wirklich weiß, was drin steckt. Manchmal sehr zum Leidwesen der Fans, die fest eingeplante Punkte gegen Abstiegskandidaten ebenso hinnehmen mussten wie überraschend starke Auftritte gegen die “Großen”. Da versteh mal einer unseren Verein?!
Schon bald gingen wir hinein ins Stadion, die Spiegelreflex war diesmal mit dabei, eine der wenigen Ausnahmen in einer Saison. Zu groß meine Angst, dass sie im Eifer des Gefechts herunterfällt und zu Bruch geht, doch sind die Fotos natürlich ein ums andere Mal um einiges besser als mit der “Kleinen”. Zum Ersten Mal nach 91 Tagen betrat ich wieder meine geliebte Cannstatter Kurve. Willkommen Zuhause. Zahlreiche bekannte Gesichter, es ist schön, wieder hier zu sein nach der eigenartigen Erfahrung, eine Woche zuvor mitten auf dem Spielfeld auf Höhe der Mittellinie gestanden zu haben und in Richtung Kurve zu schauen.
Nach dem kurzen Regenguss zu Beginn der Karawane, hielt sich die Sonne tapfer am Himmel. Es war schwül warm in unserem Neckarstadion. Auch der Gästeblock war für Leverkusener Verhältnisse recht gut besucht, Respekt und Anerkennung gibts dafür aber nicht. Ich schwelgte ein wenig in Erinnerungen, nur ein einziges Mal habe ich einen Sieg gegen Leverkusen sehen dürfen, über drei Jahre ist das nun schon her. Jene Saison 2009/2010, als wir als Rückrundenmeister in der nachfolgenden Saison nach Europa fahren durften \” und dafür in der Bundesliga fast abgestiegen waren.
Nur zwei Drittel Auslastung
Die letzten Minuten vergingen, während ich still die Ränge betrachtete und mich fragte, wie wir es soweit haben kommen lassen, dass nach einer durchwachsenen Saison zum Auftakt einer neuen Spielzeit im Vorfeld nur 38.000 Karten abgesetzt werden konnten. Noch sind Sommerferien in Württemberg, doch das alleine kann kein Grund sein, warum 20.000 Zuschauer schlicht wegbleiben. Als ich im Jahre 2008 anfing, Heimspiele zu besuchen, war das Stadion regelmäßig mit 55.500 Zuschauern ausverkauft. Seit der Neueröffnung im Jahre 2011 kann man die Anzahl der ausverkauften Spiele mit 60.000 Zuschauern an einer Hand abzählen.
Schon in der Europa League haben wir letzte Saison mit einem erschreckend geringen Zuschauerschnitt leben müssen, Tiefpunkt waren 15.300 gegen Kopenhagen, vergangene Woche mussten wir nach Großaspach ausweichen und zogen inklusive zahlreicher Gäste aus Bulgarien nur 7.500 Zuschauer an. Lässt innerhalb einer schlechten Saison der Zuschauerschnitt sukzessive nach, mag das verständlich, wenn auch traurig sein, denn wahre Fans stehen in guten und in schlechten Zeiten zu ihrem Verein. Doch schon zu Beginn?!
Dass es unruhig geworden ist am Wasen, verdeutlichte auch die Mannschaftsaufstellung. “Unser Trainer, Bruno…” – “Raus!”. Irgendwie bezeichnend, steht man dem eigenen Trainer nicht gerade zweifelsfrei gegenüber. Verständlich, wenn nach zwei einhalb Jahren und etlichen grässlichen Spielen keine wirkliche Philosophie zu erkennen ist, was nicht gerade “Angsthasenfußball” lautet. Fraglich, ob Bruno Labbadia bei anhaltend wegbleibenden Ergebnissen noch die Winterpause erleben wird. Auf anderer Seite: Was kann der Trainer dafür, wenn die Spieler keine Tore schießen?
Es geht wieder los
15:30 Uhr. Es war soweit, los gehts mit der Heimspielsaison 2013/2014, mal schauen was dieses Spiel und die gesamte Saison vor heimischer Kulisse für uns bereit hält. Mit einem farbenfrohen Intro begrüßte unsere Kurve die Spieler, die es gegen Leverkusen richten sollten. Einerseits Vorfreude, andererseits ein gewisser Bauchschmerz \” beim besten Willen wüsste ich nicht, ob das hier und heute gut ausgehen würde. Geträu dem Motto “Wer nichts erwartet, kann auch nicht enttäuscht werden” hatte ich lieber keine Erwartungen anstellen wollen.
“War ja klar!” dachte ich mir, als Stefan Kießling nach gerade einmal drei Minuten auf das Tor von Sven Ulreich schoss, der ihn gerade noch so parieren konnte. Es hätte mich zugegebenermaßen nicht gewundert, wenn der Ball im Netz gelandet wäre. Bei unseren Jungs lief in der ersten Viertelstunde nicht wirklich viel zusammen. Wer weiß, wie das Spiel ausgegangen wäre, wenn Ibrahima Traorés Kunstschuss ein Treffer gewesen wäre, kurz darauf hatten wir Glück, dass Sidney Sam nur den Innenpfosten getroffen hatte. Tief durchatmen!
20.000 fehlende Zuschauer machten sich auch in der Cannstatter Kurve bemerkbar, nur schwer kam man stimmungsmäßig in Tritt, was aber an meiner Position im Block 33 liegen mag, in den naturgemäß die Stimmung vom Block 34 kaum herüberschwappt. Eine traurige Tatsache wenn man bedenkt, dass wir den Stehblockbereich genau so haben wollten und uns so sehr freuten, als das Stadion schließlich fertig war. Es sind einfach zu viele hier, die gar nicht am Support interessiert sind sondern nur an den günstigen Stehplatzkarten.
Welch bittere Ironie
Es war beinahe schon Halbzeitpause. Hinsetzen und etwas Trinken, bevor es mir genauso ergeht, wie dem jungen Mädchen ein paar Meter neben mir. Zu warm, nichts getrunken, außer vielleicht Alkohol \” und schon war sie umgekippt. Die Ordner eilten herbei und zogen das Mädchen raus, wild gestikulierend wollte man die Sanitäter herholen, welche hinter der Eckfahne vor dem Block sitzen. Sie antworteten, sie seien nur für die Spieler zuständig. Bitte was? Schnell stand die junge Dame wieder auf ihren Füßen, bereitwillig bekam sie von den Fans im Block etwas zu trinken.
Die letzten Minuten liefen, viele machten sich schon auf den Weg, um auch ja als Erstes am Getränke- und Imbissstand zu sein. Nicht auszudenken, wieviele von ihnen vergessen haben, ihre Dauerkarte vorher aufzuladen, die Schlangen an den Aufladepunkten werden lang gewesen sein. Im Jahre 2011 habe ich für diese Nachlässigkeit zum Heimspielauftakt so bitterböse dafür bezahlen müssen, dass ich seither nie wieder das Neckarstadion in der Halbzeitpause verlassen habe.
Sebastian Boenisch, der auch mal beim VfB im Gespräch war, flankte lässig vor das Tor von Sven Ulreich, wo bereits Stefan Kießling gelauert hatte. Oh Gott, Panik! Eine Fahne verdeckte in dieser Sekunde meine Sicht, dass der Support schlagartig verstummte, der Gästeblock sich freute und sich die Leverkusener Spieler vor unserer Kurve freuten, konnte nur eines bedeuten. Der Rückstand. Es war nicht Stefan Kießling. Es war Daniel Schwaab, der unbedingt ein Tor von Stefan Kießling vermeiden wollte. Ausgerechnet der, der zu Beginn dieser Saison von Leverkusen kam, wo er fast 100 Spiele lang kein Tor erzielt hatte. Unglücklich ins eigene Netz.
Die Pfiffe blieben aus
Kurz darauf war dann auch wirklich Pause. Durchatmen, Hinsetzen, Trinken, Nachdenken. Über Gott und die Welt, oder anders: über den VfB, der eben irgendwie doch beides ist. Wir vergöttern einen Verein, der mehr oder weniger unser Leben ist \” und bekommen es oft nicht gedankt. Nach der Pause kam Moritz Leitner für Arthur Boka sowie Cacau für Konstantin Rausch. Etwas Belebung für die abschlussschwache Offensive ist schonmal kein so schlechter Ansatz.
In meinem Kopf kreiste noch immer der Gedanke, dass Stefan Kießling regelmäßig gegen uns trifft, noch war es nicht passiert. Würde aus dem unglücklichen Rückstand noch ein schlimmeres Trauma werden? Die Jungs waren bemüht, das Tor zu treffen, gerade in der zweiten Halbzeit waren sie deutlich besser als im ersten Durchgang. Sie probierten es immer wieder, doch der Ball wollte einfach nicht hinein.
Als dann auch noch Frust dazu kam, in dem mehrere (!!!) Foulelfmeter nicht gegeben wurden, jedes noch so theatralische Fallen eines Leverkuseners jedoch sofort in einem Freistoß mündete, wurde es ungemütlich. Die Kurve wurde lauter und besann sich auf ihre Stärke beim Support, die Wut auf den Unparteiischen der Partie, Felix Zwayer, wurde minütlich größer.
Vergebliches Anrennen
Nur noch zehn Minuten. Zumindest noch irgendwie den Ausgleich schaffen, wenigstens einen Punkt aus dieser nicht allzu schlechten Partie mitnehmen. Schon in Mainz spielte man gut, verlor aber dennoch. Gegen Leverkusen nun das Gleiche? Christian Gentners strammer Schuss aus der zweiten Reihe streifte noch die Latte, ein Raunen ging durchs Stadion. Die ersten Haupttribünensitzer setzten sich in Bewegung, man wolle ja schnell mit dem Auto wieder aus dem Parkhaus draußen sein oder eine nicht völlig überfüllte S-Bahn erwischen.
Auch wenn die Kurve aufgewacht war und selbst der Block 33 sich am Support beteiligte, so bin ich dennoch ein weiteres Mal enttäuscht, wie hart der Schnitt zwischen den Blöcken 33 und 34 ist. In meinen Ohren klangen die schönen Lieder, deren Texte ich selbstverständlich kenne, ich sang mit und klatschte mit, wenn ich denn nicht gerade Fotos machte. Um mich herum nur zaghafte Teilnahme, bei der Aufforderung “Packt euern Nebenmann!” passiert nichts. Wenige Ausnahmen bilden jene Ausnahmespiele, in denen ohnehin schon kollektives Ausrasten angesagt war \” zuletzt erlebt im Pokal-Halbfinale gegen Freiburg.
Leverkusen wechselte noch einmal, Philipp Wollscheid kam für… Stefan Kießling?! Ohne ein Tor von ihm. Irgendwie merkwürdig, aber irgendwie auch hoffnungsvoll \” klappts so wenigstens mit dem Ausgleich? Alles warf man nun nach vorne. Am Ende nützte es nichts. Einer der wenigen Lichtblicke war unser 17-jähriger Youngster Timo Werner, der in den letzten 13 Minuten für Gotoku Sakai spielen durfte und gar nicht so schlecht war. Der Unmut, der sich in der zweiten Halbzeit lediglich auf den Schiedsrichter richtete, wurde wegen seines nicht enden wollenden Zeitspiels auf Ex-VfB-Keeper Bernd Leno gelenkt.
“Leno, Hurensohn!”
Laute Pfiffe, wilde Gesten und ein hämisches “Leno, Hurensohn!” waren dem 21-Jährigen offenbar zu viel. Als vermeintlicher Profi sollte er es eigentlich besser wissen. Im Jahre 2011 wurde er zunächst ausgeliehen und dann für ca. 8 Millionen verkauft, sein übles Nachtreten gegen den VfB hatte seine Spuren hinterlassen. Nach Abpfiff sang die Kurve weiter, der ehemalige Stuttgarter, der hier ausgebildet wurde, küsste das Leverkusener Wappen auf seinem Trikot und machte abfällige Gesten alá “Kommt doch!” in Richtung Kurve. Tobsuchtsanfälle vorprogrammiert.
Die Stimmung kippte nun komplett, alles rannte nach vorne an die Mauer, um ihn zu provozieren. Rudelbildung auch auf dem Rasen, Cacau rannte herbei und sagte seinem ehemaligen Kollegen aus gefühlten zwei Millimetern Entfernung seine Meinung ins Gesicht. Weitere Spieler kamen dazu, die Situation wurde unübersichtlich. Auch die Unparteiischen wollten mitmischen, gesehen habe ich nun fast nichts mehr, da Viele auf die Mauer vor der Kurve geklettert waren und die Sicht versperrten.
Ohne jegliche Konsequenzen beruhigte sich die Situation dann nach einiger Zeit wieder, was zurückblieb war Wut, Enttäuschung und verletzter Stolz. Meine ganz persönliche Reaktion spiegelte sich auf einer der Stufen wieder. Dort saß ich nun, frustriert, unwissend, was ich von dem neuerlich schlechten Start in die Bundesliga halten soll. Zur gleichen Zeit in der vergangenen Saison war der Frust nach einem 0:0 gegen Düsseldorf schon ziemlich groß. Es war zumindest EIN Punkt. Den hätten wir jetzt mit Sicherheit auch gerne.
Gesenktes Haupt
Minuten später sammelte mich Felix wieder ein, mit seinem Blick, den er mir vergangene Spielzeit so oft zugeworfen hatte. Eine wortlose Mischung aus einem “Das war scheiße” und einem “Nächstes Mal wirds besser”. Kürzlich erst meinte mein bester Freund, der mich später per Nachricht trösten wollte, ich sei die größte Pessimistin, die er kennt. Schaue ich mir die Leistungen und Ergebnisse aus den letzten Spielen an und bin im Gegensatz zu den unerschrockenen Optimisten mal nicht der Meinung, dass alles gut werden würde \” macht mich das dann nicht vermutlich zu einer Realistin?
Langsam liefen wir raus. Mein Kopf war gesenkt, wie so oft nach Niederlagen, die es in der vergangenen Saison schon allzu oft gegeben hatte. Ich will ja keine Panik machen, aber… nein. Ich schweige lieber. Positives kann ich ohnehin nicht sagen. Die Erkenntnis, dass zumindest einer unserer Neuzugänge getroffen hatte, überschritt in Siebenmeilenstiefeln die Grenze zum Galgenhumor. Gemeinsam mit Freunden liefen wir in Richtung Cannstatter Bahnhof, wo fünf Stunden zuvor unser Saisonauftakt begonnen hatte. Dort trennten sich unsere Wege.
Während Felix mit unseren Freunden in die nahe gelegene Kneipe der aktiven Fanszene aufsuchte um das eine oder andere Frustbier zu trinken, lief ich mit weiterhin gesenktem Haupt nach Hause, schaltete meinen Rechner an, kopierte alle 797 Bilder von unseren beiden Speicherkarten und verbrachte den Rest des Abends mit der Sichtung, Bearbeitung und Verteilung von 122 ausgewählten Fotos. Dazu ein leckeres Wulle aus dem Kühlschrank und jede Menge Zweifel an jedweder Theorie, dass trotz allem Alles gut wird. Man überzeuge mich bitte.
33 Jahre, gebürtig aus Leipzig, seit 2010 wohnhaft in Stuttgart – Bad Cannstatt. Dauerkartenbesitzerin, Mitglied, ehemalige (Fast-)Allesfahrerin und Fotografin für vfb-bilder.de. Aus Liebe zum VfB Stuttgart berichte ich hier von meinen Erlebnissen – im Stadion und Abseits davon.
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