Vielleicht ist an dieser alten Redewendung wirklich etwas dran. Wo meine Enttäuschung über die von mir selbst zerbrochene Glasscheibe meiner Lieblings-Vitrine fürs Wohnzimmer vor dem Spiel noch unsäglich groß war, wich sie einige Stunden später einem wohligen Gefühl des Glücks und der Erleichterung.

Es war ein hartes Stück Arbeit, bis wir den zweiten lang ersehnten Sieg in der Bundesliga feiern konnten. Doch dafür taten wir das umso ausgelassener. Es waren drei Punkte die sich wie Balsam anfühlten auf die geschundene Seele eines VfB-Fans.

Auf dem Weg zum Stadion, den ich ja nun zu Fuß antreten kann, regnete es – und das ist nie ein gutes Zeichen, bei der bitteren Heimpleite gegen Leverkusen schüttete es wie aus Eimern. Wenige Tage zuvor war ich gegen Getafe erst kurz vor Anpfiff am Platz gewesen, waren wir diesmal sehr früh aufgebrochen.

Im Block traf ich wieder die üblichen Nasen, same procedure as every two weeks. Wenn auch leicht enttäuscht, hat sich die Bereitschaft, beim Umzug zu helfen, doch relativ in Grenzen gehalten. Dennoch war es schön, die Jungs und Mädels wieder zu sehen.

Unter dem neuen Trainer Jens Keller spielten wir remis in Gelsenkirchen und gewannen gegen Getafe, doch die jüngsten Entwicklungen haben ja bereits gezeigt, dass man sich nicht zu früh freuen sollte. Einen richtigen Tipp, wie das Spiel wohl verlaufen würde, vermochte ich nicht abzugeben. Lediglich eines stand fest: endlich mal wieder ein paar mehr Fotos machen als die letzten Wochen, die Ausbeute war zuletzt doch etwas dürftig.

Auch die Stimmung war um einiges besser als noch wenige Tage zuvor. Nur eines erzürnte mich über alle Maßen: die beiden Tussen – frei von jeglicher Intelligenz und Leidenschaft – hinter mir im Block 73. Jedes Mal, wenn es etwas lauter wurde im Block, taten die beiden ihr Bestes, ihren Unmut darüber kund zu tun. “Müssen die so laut sein?” – ich hätte mich am liebsten umgedreht und zurückgesagt “Müssen Leute wie ihr ins Stadion kommen?”. Ich hatte es bleiben lassen.

Ein spielerischer Leckerbissen war diese Partie garantiert nicht, doch es sollte sich alles zum Guten wenden. Nach nicht einmal 20 Minuten gab es auch etwas zu feiern: das nicht gerade ungelegene 1:0 durch Georg Niedermeier, der sofort zur Bank lief und mit seinen Teamkollegen feierte. Doch auch hier hielt ich kurz inne und wartete einige Sekunden, schaute zum Linienrichter und wollte mir erst ganz sicher sein, bevor ich die Jungs abklatschen und herzen konnte.

Im Gegenzug rettete unser Keeper Sven Ulreich vor unserer Nase glänzend, er wird mehr und mehr zum Rückhalt. Gebannt verfolgte ich das Geschehen auf dem Spielfeld, im Bestreben, über das Gelaber der beiden Tussen hinter mir hinweg zu hören, was nur bedingt gelang. Kurz darauf die nächste Chance der Gäste nur ein bisschen Fortune bewahrte uns vorm Ausgleich.

Die Pause verbrachte ich wie immer im Bereich vor den Block-Eingängen, wo ich mich mit meinem Schatz und unserer gemeinsamen Bekannten Diana traf. Nach Wiederanpfiff kamen die Hanseaten erneut besser aus der Kabine als unsere Brustringträger.

Ständig ging es hin und her, beide Mannschaft voller Siegeswille und Kampf, hier 3 Punkte zu erkämpfen, mit erspielen hatte das ganze schon längst nichts mehr zu tun. Einmal gaaaaaaaanz tief durchatmen dachte ich mir, als Serdar Tasci nach einem Lupfer eines Pauli-Spielers den Ball noch von der Linie kratzte. Erst hinterher erfuhr ich, dass er es war, ich konnte auf der gegenüberliegenden Seite des Spielfelds nicht wirklich erkennen, woran es gescheitert ist, dass ein allein vor Sven Ulreich aufgetauchter Gegenspieler den Ball zum Ausgleich nicht unterbringen konnte. Du liebe Zeit.

Unsere Mannschaft brauchte jetzt unsere ganze Unterstützung. Wir sahen auf dem Feld eine Mannschaft, die auseinander zu klaffen drohte, die geradezu um den Ausgleich bettelte und die einfach keine Mittel fanden, den Aufsteiger im Zaum zu halten und eigene Möglichkeit sauber und geschickt bis zum Ende auszuführen. Es haperte an allem, an Abstimmung, an Entschlossenheit, an Aufmerksamkeit, ein wild durcheinander flatternder Hühnerhaufen. Herrgott, meine Nerven!

Da muss man doch was tun! Wenn die Mannschaft einen am meisten braucht, sind wir da. Mit Schreien, Singen und Klatschen peitschten wir unsere Stuttgarter nach vorne, der Schlachtruf “Auf gehts, Stuttgart, schießt ein Tor!” sprach 40.000 Zuschauern (abzüglich der zahlreich mitgereisten Hamburger) aus der Seele.

Mit 1,59m Körpergröße muss man improvisieren. Da man eine Leiter aus Sicherheitsgründen nicht mit ins Stadion nehmen darf und auch sonst die Möglichkeiten begrenzt sind, das höhenmäßige Defizit auszugleichen, muss man sich anderweitig helfen. Wie gut gelegen sind da die roten Klappstühle, von denen auch einer in meinem Keller steht. Hoch das Bein, das andere auch noch. Und schon eröffnen sich neue Blickwinkel. Ein tolles Gefühl, alles überblicken zu können. Nicht weniger toll als zu wissen, dass sich mein über alles geliebter, 1,96m großer Lotto-Jackpot namens Felix köstlich über diese Zeilen amüsieren wird.

Nur noch etwas mehr als 10 Minuten regulär zu spielen, immernoch 1:0, eine mittlerweile mehr als schmeichelhafte Führung. Eine Aktion der Gäste würde ausreichen, um den Traum vom 2. Bundesliga-Sieg wieder zerplatzen zu lassen wie eine Seifenblase. Hoch über den Köpfen der anderen, oder zumindest ein wenig höher als sonst, vermochte ich nicht mehr hinunter zu steigen und das sollte sich nicht mehr ändern bis zu dem Moment, in dem ich das Stadion verlassen würde.

Wie in Zeitlupe sah ich, wie eine der letzten hoffnungsvollen (!!) Angriffswellen in Richtung Untertürkheimer Kurve rollte. Ein Pauli-Spieler lag auf dem Boden an der Strafraumgrenze, ein kurzer Blick zu Schieds- und Linienrichter, kein Foul, weiter ging es. Und wo alles scheinbar langsam vor meinen Augen vorbeizog, ging es auf einmal schnell wie im Zeitraffer. Kuzmanovic, Tor, Jubel, Nackt, Tanz.

Darfs ein wenig ausführlicher sein? Aber gerne doch! Mittelfeld-Mann Zdravko Kuzmanovic (Kuzmanofitsch!) schenkte uns das 2:0 und ließ uns alle vor Begeisterung in die Arme fallen. Im Wissen, dafür den gelben Karton zu sehen, riss er sich das Trikot vom Leib und zelebrierte mit seinem Kumpel Ciprian Marica einen lustigen Tanz und bereitete uns allen größtes Entzücken.

Jetzt sollte aber wirklich nichts mehr anbrennen. Dass sich das der VfB innerhalb von 10 Minuten nicht mehr nehmen lassen würde, hoffte ich sehr und wurde nicht enttäuscht. Ob St. Pauli dann noch zur einen oder anderen Chance kam, oder ob der VfB fast noch das 3:0 gemacht hätte – ich kanns euch nicht mal sagen, zu erfreut war ich über das letztendlich glückliche 2:0.

“Take me down to the paradise city, where the grass is green and the girls are pretty” – lange nicht mehr gehört, so wunderschöne Klänge. Melodien des Sieges, der Erleichterung, der Moment in dem wir alle nicht nur durchatmen sondern auch, wem es beliebte, im Stillen wieder ein kleines bisschen Hoffnung entwickeln zu können.

Ein Blick zur Anzeigetafel offenbarte eine Tatsache, die ich nicht erwartet hätte. Welche Ironie: ausgerechnet mit unserem neuen (Interims-… oder doch Dauer-)Trainer Jens KELER schafften wir it einem Satz den Sprung aus dem KELLER. Platz 14 stand dort, in wunderschönen roten Lettern auf der riesigen Leinwand. Erleichtert verließen wir das Stadion, es war ein hartes Wochenende, das viel Kraft gekostet hat. Ein anstrengender Umzug und ein nervenaufreibendes Spiel waren genug für meine Kraftreserven.

Und auch wenn die Redewendung “Scherben bringen Glück” eigentlich mehr für Porzellan gilt – mein ganzes Arsenal an Geschirr und weitere Glasscheiben werden ausnahmsweise trotz meines Aberglaubens verschont bleiben. Gegen Chemnitz wurde im Pokal schließlich auch gewonnen (zum Zeitpunkt der Artikel-Veröffentlichung fand dieses Spiel vor 24 Stunden statt), ohne das ich noch weitere Scherben zusammen kehren musste. Man darf gespannt sein, welche eigenwilligen Aberglauben ich noch im Lauf der nächsten Jahre entwickeln werde.

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