Der Traum vom echten Weltmeister-Titel 2006 wurde leider mit dem bitteren 0:2 durch Italien zerstört, aber auf uns wartete noch das Spiel um den dritten Platz gegen Portugal. Gestern Abend, 21 Uhr in Stuttgart war es dann soweit. Die Menschen waren nervös, denn es gab viele Ausfälle: Michael Ballack, Arne Friedrich, Per Mertesacker und Tim Borowski fielen aus, und auch unser Torwart mit den wahren Händen Gottes: Gigant Jens Lehmann, er überließ den Schutz des Kastens seinem ehemaligen Rivalen und neuem Kumpel Titan Oliver Kahn. Dennoch war die Euphorie im Land trotzdem ungehalten. Der 3. Platz ist doch auch schonmal was. Und das wir Deutschen nicht nur stolz auf unsere Mannschaft, sondern auch auf unsere Gastfreundschaft und unsere Freude sein können, ist ja wohl mehr als klar.
Punkt 21 Uhr, Anpiff. Ich war echt beunruhigt, denn Portugal war größtenteils in der ersten Halbzeit in Ballbesitz. Das war nicht unbedingt schön mit anzusehen, denn nach dem bitteren Ausscheiden gegen Italien wollten wir wenigstens noch die Portugiesen platt machen. Doch in der zweiten Halbzeit kam dann die große Wendung. Ich weiß nicht, was Klinsi und der Kapitän Michael Ballack mit der Mannschaft gemacht haben, aber unsere Jungs drehten dann so richtig auf. In der 56. Minute netzte Basti “Schweini” Schweinsteiger ein, Führung für Deutschland. Gerade mal 5 Minuten später war der Portugiese Petit die ärmste Sau auf dem ganzen Platz. Ein für ihn unglücklich gesetzter Freistoß – wieder vom Schweini ausgeführt – ließ den Portugiesen den abgefälschten Ball ins eigene Tor donnern: Pech für Portugal, Riesenjubel für uns, das war unser 2:0. Überall in Deutschland natürlich grandiose Emotionsentladung, aber es war noch nicht alles entschieden. Wenn wir jetzt nicht aufpassen, hätte Portugal vielleicht noch 3 reingehauen und das wärs für uns gewesen. Viel haben wir unserem Titan Oliver Kahn zu verdanken, der alles gehalten hat, was zu halten war. Und in der 79. Minute setzte der ohnehin schon bejubelte Schweini noch einen drauf und schenkte uns ein beinahe nicht mehr einzuholendes 3:0 und ließ Deutschland in einem Meer von Schwarz-Rot-GEIL versinken, es tobte, es war unbeschreiblich, grandios und unvergesslich. Knappe 2 Minuten vor Schluss (Kommt uns das nicht irgendwie bekannt vor? *schnief*) ballerte Portugal für Kahn unhaltbar einen Torpedo-Kopfball ins linke Toreck. Scheissegal, den Sieg konnte man uns sowieso nicht mehr nehmen. Beschlossene Sache: Deutschland Platz 3, Portugal Platz 4.
Kurz vor 23 Uhr wurde abgepfiffen und ganz Deutschland versank in einem schwarz-rot-geilem Meer der Freude und des Jubels. Daraufhin setzte sich eine scheinbar nicht mehr zu stoppende Abschiedsparty in Bewegung. Dass das gefeiert werden musste, war klar. Zwei junge Moderatoren von Jump Radio On Tour heizten dem Publikum kräftig ein, welches noch fast immer in der Originalbesetzung von vor dem Anpfiff gewesen ist. Die Musik beschränkte sich zunächst auf Mitgröhl-Klassiker wie unsere (mittlerweile neu aufgelegte) WM-Hymne “54, 74, 90, 2010”, “Three Lions” (“its coming home, its coming home…) und andere Songs. Noch war ich relativ verhalten, was das Tanzen und Hopsen angeht, aber von der Lautstärke her war ich schon fast wie eine von den Großen. Da ich seit halb 8 auf dem Platz war und ungefähr kurz nach 18 Uhr das letzte Mal was getrunken hatte, musste ich ungefähr um 1 erst einmal etwas trinken. Kurz zuvor haben die Moderatoren dem Publikum noch einmal die Fifa Fan Fest Becher ans Herz gelegt, die man beim Kauf eines 0,5 Liter Getränks dazukaufen kann. Also hin zu einem Stand, der solche Becher anbietet. Um so größer war der Schock, als uns gesagt worden ist, das die Becher weder einzeln verkauft werden können, noch mit etwas anderem außer Bier gefüllt werden können. Für mich völlig unverständlich. Und ich hasse normalerweise Bier, es schmeckt mir einfach nicht. Aber da ich in allen 5 von 7 Fanfesten, die ich auf dem Augustusplatz in Leipzig gesehen habe, niemals ein T-Shirt gefangen habe, wollte ich als Erinnerung zumindest einen solchen Becher haben. Also Augen zu und durch. Ich trank nur einen halben Liter, und da ich keinen Bock mehr auf das ekelhafte Bier hatte, bzw. noch viel weniger Bock auf das Halten des Bechers, tauschte ich unangekündigt meinen halbvollen Becher mit dem fast leeren Becher meines Begleiters Alex. Der hat kein schlechtes Gesicht gemacht *muhahaha*, sorry Alex 😉
Mit ein klein wenig Promille im Blut lösten sich dann bei mir auch die Hemmungen, was das Tanzen angeht, vermutlich sehr zur Freude von Alex. Ich sprang, ich hopste, ich jubelte, ich brüllte und gröhlte so laut ich nur konnte. Meinen persönlichen Höhepunkt (nach dem schweinimaligen 3:0) war der Moment, in dem ein paar Dirty-Dancing-Songs gespielt wurden. Bei den Männern ging ein bisschen Grummeln und Raunen durch die Reihen, aber das war wahrhaftig der Moment aller Mädels auf dem Platz. Und da die meisten Frauen, so wie ich auch, Dirty-Dancing-Fans sind und wir die Songtexte selbstverständlich auswendig können, so war die Freude auf dem platz ungebrochen. Da konnten auch ein paar Dirty-Dancing-Muffel nichts daran ändern. Es wurden Klassiker wie “Time Of My Life” von Bill Medley und Jennifer Warnes gespielt, sowie “Hey Baby” von Bruce Channel und selbstverständlich “Be My Baby” von den Ronettes, bei dem wir uns im positiven Sinne gegenseitig angebrüllt haben, wie romantisch, nicht wahr *hehe*. Welcher Song mir dann aber doch gefehlt hat, war mein absoluter tanztauglicher Favorit “Do You Love Me” von den Contours. Die Moderatoren heizten dem Publikum weiterhin ein, sie fragten dauernd “Habt ihr noch Lust zu feiern?” und sorgten dabei für kräftigen Lärm von der ersten bis zur letzten Reihe. Niemand schien nach Hause gehen zu wollen, denn das waren unsere Stunden, unser Sieg, unser Deutschland. Sie prahlten sogar mit dem Spruch “Es ist uns sowas von egal, was das Ordnungsamt sagt, wir feiern durch bis morgen früh, yiiihaaaaa!!” Auch ich war dicke mit dabei beim Bejubeln dieser Aussage, so wie tausende andere Menschen auf dem Augustusplatz. Zwischen all dem Trubel begegnete ich sogar Julia, der kleinen Schwester meiner sehr guten Freundin Ines (mit der ich ins Fitnessstudio gehe), die mich natürlich sofort fragte, wo ich Ines gelassen habe. Die Ines ist natürlich daheim bei ihrem Mann, es tut mir so unendlich leid für sie, denn es wäre für sie die Erfüllung eines großen Wunsches gewesen, einmal ein Fanfest zu erleben. Leider hat das nicht geklappt dieses Jahr und das ich hier schreibe, wie toll und unglaublich es war, macht es ihr bestimmt nicht leichter. Tut mir leid für dich, Ines!
Gegen um 2 sollte sich dann das bewahrheiten, was ich eigentlich nicht erwartet hatte: Die Moderatoren mussten immernoch vor dem fast vollzähligen Publikum gestehen, das sie nun Schluss machen mit der Show, und es auch keine weitere Musik geben wird. Das war echt fies, denn erst prahlen mit “wir machen die Nacht durch, hahahaha” und dann doch die Sachen packen. Nunja, kurz davor stellte ich mir sowie die Frage, ob ich nicht doch lieber wieder nach Hause gehen sollte. Meine schmerzenden Beine, die seit halb 8 ohne zwischendurch Hinsetzen auf diesem Platz standen sagten Ja, aber mein schwarz-rot-geiles Herz voller Freude beantwortete die Frage mit Nein. Als offiziell Schluss war mit der Show war ich dann aber doch froh, nach Hause zu können, denn eine Sache durfte ich nicht vergessen: Es war die Nacht von Samstag auf Sonntag, 2 Uhr Nachts und am nächsten morgen am Montag hätte ich wieder auf der Matte stehen müssen: Robbie Williams Konzert in Dresden! Sicher, es ist kein guter Stil, das Ende der WM mit sofortigem Abdüsen in den Urlaub zu “feiern”, aber ich hab die Karten seit 19. November letztes Jahr, da war noch nicht mal dran zu denken, das es Deutschland so weit schafft und das das Endspiel ausgerechnet einen Tag vor dem Konzert stattfindet. Tja, kann man nichts machen. So gingen wir dann nach Hause, ich übertrug meine Bilder auf den Computer und wir schauten noch fern und lasen uns verschiedene Videotext-Artikel durch.
Gegen halb 4 landete auch ich dann im Bett, Alex schaute im Wohnzimmer noch Mad TV und diese Situation war ebenfalls eine sehr eigenartige. Ich lag im Bett, schon halb schlafend, halb wach, hörte noch die künstlichen Applaus-Passagen der Comedy-Sendung, bei denen ich aber nicht mehr mitbekommen habe, das die von Mad TV kommen. In meinem Kopf spielten sich zu den Applaus-Passagen stattdessen die wunderschönen Tore unserer deutschen Elf ab, das 1:0 gegen Polen durch meinen persönlichen Helden Oliver Neuville, der erlösende Kopfball-Treffer unseres Knipsers, des Bombers, des King Knall, Miroslav Klose, Torschützenkönig in spe, der uns damit die Verlängerung im Spiel gegen Argentinien schenkte und damit eine erneute Chance zum Sieg, und als Jens Lehmann den legendären Elfmeter Argentinies hielt und wir somit den Sprung ins Halbfinale schafften. Der bewussten Verdrängung sei Dank, musste ich im Halbschlaf zumindest nicht mehr das bittere Ausscheiden gegen Italien durchmachen, direkt im Anschluss an den Elfmeter, sah ich vor meinem geistigen Auge noch einmal die schweinimaligen Tore von basti Schweinsteiger. Dann driftete ich wirklich in den echten Schlaf ab, der mich durch die Gewissheit, das Deutschland zumindest dritter Platz ist, gut schlafen ließ.
33 Jahre, gebürtig aus Leipzig, seit 2010 wohnhaft in Stuttgart – Bad Cannstatt. Dauerkartenbesitzerin, Mitglied, ehemalige (Fast-)Allesfahrerin und Fotografin für vfb-bilder.de. Aus Liebe zum VfB Stuttgart berichte ich hier von meinen Erlebnissen – im Stadion und Abseits davon.
Mehr über mich
Neueste Kommentare