Drei Spiele. Null Punkte. Sechs Gegentore. Der Saisonauftakt des VfB Stuttgart hat schon einmal wahrlich rosiger ausgesehen – und das trotz erfahrungsgemäß schlechterer Hinrunde. Statt der großen, viel beschworenen Euphorie ist die graue Tristesse in Bad Cannstatt eingekehrt. Ein überdurchschnittlich guter Kader (zumindest für unsere Verhältnisse), ein loyales und leidenschaftliches Umfeld und die Gewissheit, dass man zu größerem imstande ist als Abstiegskampf. Nur drei Wochen später ist nichts mehr davon übrig. Stattdessen Frust, Enttäuschung und das Gefühl, dass es interne Unstimmigkeiten gibt und der Trainer nicht zu wissen scheint, was er mit diesem Team anstellen soll. Früher war alles besser. In der Rückrunde.

Niemand von uns hat einen Spitzenstart in die Liga, mit einem Auswärtssieg in Mainz und einem Heimauftaktsieg gegen Bayern München gerechnet. Dass man nun aber nicht nur bei einem Drittligisten aus dem Pokal geflogen ist sondern sich in den beiden bisherigen Ligaspielen so dermaßen harmlos und chancenlos präsentiert hat, ist mehr als bedenklich. Man kann gegen Bayern verlieren, auch in der Höhe und auch vor heimischem Publikum. Aber die Art und Weise ist beängstigend. Erinnert ihr euch an den wunderschönen Tag im Mai? Nichts konnte uns jetzt noch passieren, alles nach vorne, warum auch nicht? Das war der VfB, den wir sehen wollen. Nicht den, den wir am Samstagabend gesehen hatten.

Möglichst unbeschadet aus der Nummer rauskommen schien die einzige Prämisse zu sein, mit der Tayfun Korkut seine Mannschaft auf das Feld geschickt hat. Eine komplett defensive Ausrichtung, die jeden noch so naiven Fußballinteressenten wissen lässt: bloß nichts riskieren. Dass so etwas den Bayern egal ist und sie ihre Tore dann trotzdem machen, hatte auf dem Reißbrett offenbar keinen Platz mehr gehabt. Und so verließen wir des Abends das Stadion mit womöglich dem gleichen Gefühl: ein erwartetes Ergebnis, aber eine erschreckende Einstellung der Mannschaft, sowohl mental auf dem Platz als auch durch die Vorgabe des Trainers. Und am Ende bleibt nichts mehr als das beklemmende Gefühl, schon jetzt unter Druck zu stehen.

Wiedersehen macht Freude

Ein Teil von mir wäre am Samstagabend einfach nur regungslos und fassungslos im Block gestanden, ohne Verständnis, wie man so ängstlich in diese Partie hineingehen kann. Aber ich habe schon zu viele von diesen Spielen erlebt, zu oft habe ich mich geärgert, zu oft viele Stunden damit verbracht, mich zu fragen, was ich im Leben eigentlich verbrochen haben muss, um damit gestraft zu werden, solche VfB-Spiele sehen zu müssen. Ein Leben, dass ich selbst erwählt habe. Und vielleicht ist es jetzt auch an der Zeit, selbst zu wählen, nicht mehr all meine Energie in die Enttäuschung zu stecken.

Es war kein Spiel wie jedes andere. An diesem Tag sollte ich nicht nur meine Augen in der Kurve und auf dem Feld haben, sondern auch auf die zehnjährige Olivia, die für diese Partie in meine Obhut gegeben wurde. Ohne dieses aufgeweckte Kind würde ich vielleicht nicht einmal in der Kurve stehen und wissen, dass ich nach diesem Spiel in meine Wohnung in Bad Cannstatt zurückkehre. Vor etwas mehr als zehn Jahren suchte ich verzweifelt eine Mitfahrgelegenheit zu meinem ersten Heimspiel – und fand ihren Vater Reinhart. Eine Freundschaft, die uns in entfernte Länder brachte und mein Leben auf eine Weise mitgeprägt hat, wie ich sie nie für möglich gehalten hatte.

Noch bevor ich jemals ein Spiel gegen die Bayern live im Stadion erleben durfte, hatte ich dieses herzige Kind bereits auf dem Arm gehabt und habe meist aus der Ferne zusehen, wie es groß geworden ist. Jahre später habe ich nahezu alle Erst- und Zweitligastadion gesehen und erlebe zum ersten Mal das Gefühl, nichts Neues mehr zu erleben. Mit dieser ungewohnten Begleitung machte ich mich auf zu meinem Stammplatz, von dem ich höchstwahrscheinlich die nächste Heimniederlage gegen den FCB sehen dürfte – und ich sollte Recht behalten.

Alle in Weiß

Dass mir bereits die Karawane Cannstatt in den Knochen steckte, spürte ich schon frühzeitig. Am Nachmittag trafen sich wie alle Jahre wieder die VfB-Fans am Cannstatter Bahnhof, um gemeinsam zum ersten Heimspiel der Saison zum Stadion zu ziehen. Was vor über zehn Jahren initiiert wurde, ist mittlerweile fest verankert in der Stuttgarter Fanszene und in jedem Jahr ein Erlebnis. Natürlich auch für jene, die es nicht als notwendig erachten, Teil davon zu sein und mitzulaufen. Jedes Jahr häuft sich die Zahl derer, die am Straßenrand stehen, ihre Smartphones zücken, verwackelte Bilder und Videos aufzeichnen und dabei schlimmstenfalls auch noch den Ablauf der Karawane stören, in dem sie auf der Straße stehenbleiben. Würde nur die Hälfte mitlaufen, wäre die Karawane wohl noch einmal viel, viel länger.

Manche sagte, es sei ganz gut, gegen die Bayern schon so früh in der Saison ranzumüssen, andere wiederrum meinten, ein Dämpfer zum Hinrundenauftakt kann erheblichen Schaden anrichten. Was von beidem zutrifft, werden die nächsten Wochen zeigen müssen. Die wenigsten sind wirklich sauer, wenn man gegen die Übermacht von der Isar das Nachsehen hat, aber eines erwarten wir von der Mannschaft immer: dass sie sich nicht versteckt, dass sie ihre Chancen sucht und alles dafür tut, doch etwas zählbares mitzunehmen. Charaktereigenschaften, die eigentlich für jedes Spiel vorausgesetzt sein müssten, und gerade in diesem besonders prestigeträchtigen Spiel gerne gesehen ist. Nichts von alledem stellte der VfB unter Beweis.

Viel mitbekommen hatte ich von den ersten Minuten der Partie nicht wirklich, zu angespannt war ich, das quirlige Kind im Auge zu behalten, das sich schließlich in die allererste Reihe stellte, um alles vom Spiel beobachten zu können. Mit dem permanenten Gedanken “Nur nicht verlieren, ist ja schließlich nicht meins” ließ sich auch die Stimmung nicht wirklich genießen. Hätte ich nur mal besser aufgepasst, so waren die ersten Minuten der Partie nun wirklich nicht so schlecht, wie das Endresultat vermuten lässt. Eine gute halbe Stunde hatte die Abwehr gehalten, bis Ron-Robert Zieler das erste von insgesamt drei Malen hinter sich greifen musste. So lasset sie kommen, die Ernüchterung.

Auch gegen Bayern darfs etwas mehr sein

Erst, als ich mein Babysitter-Kind in der ersten Reihe gut versorgt und in Sicherheit wusste, konnte ich mich der Partie widmen. Hätte ich das mal lieber gelassen. Alles, was man in einem Spiel nur falsch machen kann in Sachen Einstellung, Engagement, Laufbereitschaft und Leidenschaft, all das trat beim VfB auf erschreckende Art und Weise zutage. Und auch, wenn niemand mit einem Erfolg rechnete, etwas mehr anstrengen darf man sich sogar gegen den FC Bayern München. Hatte sich Tayfun Korkut hier granatenmäßig verzockt? Spielt die Mannschaft bereits gegen den Trainer? Wie soll das in den nächsten Wochen weitergehen?

Viel zu sagen gibt es zum weiteren Verlauf der Partie nicht. Robert Lewandowski und Thomas Müller machten die Tore zwei und drei, und mit einem 0:3 vor den Augen von 58.680 Zuschauern war man noch denkbar gut bedient. Ein jedes Tor offenbarte erneut, wieviele Bayern-Fans in der Lage sind, sich Tickets im Neckarstadion zu beschaffen, auch wenn es gefühlt weniger waren als manchmal gefühlte drei Viertel des Stadions. Das machte die Pille aber dennoch nicht weniger bitter. Gut spielen und unglücklich verlieren oder schlecht spielen und hoch verlieren, da fragt man sich, was man lieber genommen hätte. Da war unser letztes Heimspiel gegen die Bayern dann aber doch wesentlich schwerer zu ertragen.

Gegen die Bayern kannst du verlieren. Aber doch nicht so, so ganz ohne Gegenwehr. Darüber den Kopf zermatern wollte und konnte ich aber nicht. Schnellen Schrittes verließ ich nach Abpfiff mit Olivia an der Hand das Stadion und übergab sie in die Hände ihres Papas, der sie wieder nach Grimma bringen sollte, 25 südöstlich von Leipzig, wo viele gemeinsame Heimspiele vor gut zehn Jahren ihren Anfang nahmen. Die Länderspielpause sollte dem VfB Gelegenheit geben, an den Stellschrauben zu drehen. Ob die nächsten Wochen aber nicht viel eher zum internen Politikum werden, bleibt abzuwarten. Mein Tipp vor einem halben Jahr lautete, der VfB bräuchte im September einen neuen Trainer. Keine ganz unrealistische Einschätzung, wie mir inzwischen scheint.

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