Eigentlich ist das mit dem Fußball gar nicht so schwer. Weniger quatschen, mehr Leidenschaft zeigen. Weniger schwadronieren, mehr Tore machen. Weniger heiße Luft, mehr Punkte. Klingt eigentlich gar nicht so kompliziert, nicht wahr? Doch das eigentlich Schwierige ist es, das Zutrauen in diese Mannschaft, in diesen Verein wiederzufinden. So viel ist kaputt gegangen, der Weg nach unten unaufhaltsam. Ich hatte mich bereits damit abgefunden, mit so etwas ähnlichem wie einer neu gewonnenen Gelassenheit eine emotionale Distanz aufzubauen, weil sich diese Mannschaft offenbar nicht bemühen will. Nun sitze ich wieder hier, am Tag danach, und der VfB hat in den letzten vier Spielen zehn Punkte geholt. Eigentlich ein Grund zur Freude. Wenn da nur nicht diese finsteren Erinnerungen wären. Feels like 2016.

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Es sei mir verziehen, dass ich nicht einfach den aktuellen Umstand genießen kann, dass der VfB für seine bisherigen Saisonverhältnisse sportlich erfolgreich ist (das “Wie” ist dabei nebensächlich). Und dass die Ergebnisse – auch die der Konkurrenz – Anlass geben sollten, etwas entspannter mit dem Wort “Abstieg” umgehen zu können, so kann ich es doch nicht. Ich erinnere mich noch gut, wie glückselig ich war, einst im Frühjahr 2016, als der VfB so erfolgreich war, dass er viele von uns bereits in höhere Gefilde hatte schielen lassen. Den Abstiegskampf hatte man schon gefühlt abgehakt, vertraute auf das Gesetz der Serie, den neu gewonnenen Teamspirit und gewann fünf Spiele in Folge.

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Auf ein Remis in Schalke folgte schließlich jedoch der Nackenschlag, von dem man sich nicht mehr wirklich erholen konnte, die Heimniederlage gegen den damaligen Tabellenletzten, Hannover 96. Ein Kantersieg gegen Hoffenheim konnte am Umstand nichts mehr ändern, dass man in der Rückrunde kaum noch einen Punkt holte, die letzten fünf Saisonspiele verlor und schließlich abstieg. Erinnert ihr euch noch, wie man dachte, man wäre aus dem Gröbsten heraus, dass man nun mutig genug sein darf, zu glauben, man hätte den richtigen Weg eingeschlagen? Wir alle haben die bitteren Momente 2016 miterlebt. Ist es da wirklich so abwegig, dass ich mich nicht darauf verlassen kann und will, es könne nicht wieder passieren? Das kann es. Und das wird es, wenn man aus den Fehlern von damals nichts gelernt hat.

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Schmerzhafte Erinnerungen

Es tut weh, die alten Erinnerungen auszugraben. Erinnerungen daran, wie ich mich fühlte, als der VfB einst daheim gegen Hertha gewann und ich völlig euphorisiert war. Erinnerungen daran, wie ich mich fühlte, als man schockiert vor dem Fernseher das Auswärtsdebakel in Bremen verfolgte. Erinnerungen daran, wie es mich fühlte, als der wütende Pöbel nach der Niederlage gegen Mainz auf den Platz lief und ich nur fassungslos zusehen konnte. Genau wie die Erinnerungen daran, als wir dachten, man hätte aus all dem die richtigen Schlüsse gezogen. An Hannes Wolf und Jan Schindelmeiser hatten nicht wenige die Hoffnung geknüpft, etwas neues, großes, wunderbares aufzubauen. Wir hatten uns getäuscht. Heute wir da wie zuvor. Und das sage ich trotz der jüngsten Ergebnisse. Vielleicht sogar auch wegen der jüngsten Ergebnisse.

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Fast schon beängstigend, wie viele bereits vergessen haben, was in dieser Spielzeit passiert ist. Eine lustlose Mannschaft, die keine Leistung mehr bringen wollte; eine Vereinsführung, die die eigenen Fans als Erfolgsverweigerer, Ewiggestrige und Vollidioten bezeichnet; und letztlich ein Trainer, dem die eigene Ehrlichkeit zum Verhängnis wurde und am fehlenden Vertrauen seiner Vorgesetzten schließlich das Feld räumte. Wer mich als dauernörgelnde Pessimistin bezeichnen will, dem steht es frei, dies zu tun. Ich habe nicht vergessen, was 2016 passiert ist. Und das solltet ihr auch nicht, die ihr sagt, Tayfun Korkut wäre der genau richtige Mann für den VfB Stuttgart und dessen glorreiche Zukunft. Er mag der richtige für die aktuelle Situation sein. Aber er versinnbildlicht auch das Bild, das der VfB in den letzten Jahren abgegeben hat: das eines vom Weg abgekommenen Traditionsvereins.

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Ganz geheuer ist mir die aktuelle Situation nicht. Betrachtet man alleine die sportlichen Ergebnisse, so scheinen diese Michael Reschke und Wolfgang Dietrich Recht zu geben. Wo vorher eine lustlose Mannschaft kickte, können die Burschen auf einmal wieder laufen und kämpfen, das Umstellen auf die Viererkette für mehr Sicherheit und die Rückkehr zur Doppelspitze scheint zu funktionieren. Von Tayfun Korkut hatte man nichts erwartet, nun hatte er jüngst zehn Punkte geholt, was die wenigsten erwartet hatten – ich übrigens auch nicht. Mich jetzt aber einfach zurücklehnen und dem VfB wortlos bei der Mission Klassenerhalt zu beobachten, kann ich nicht. Mein erhobener Zeigefinger hat in großen Lettern die Ziffern 2, 0, 1 und 6 eingebrannt. Nie wieder will ich mir ankreiden lassen, ich habe das Unheil nicht kommen sehen.

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Scball und Rauch

Vor dem Auswärtsspiel in Wolfsburg dachte ich, man würde es wie die letzten zehn Jahre auch wieder verlieren. Vor dem Heimspiel gegen Gladbach dachte ich, dass sich hier der Ruf als guter Samariter bewahrheiten würde. Vor dem Auswärtsspiel in Augsburg dachte ich, dafür sei der Gegner einfach zu gut drauf, um dort mit Punkten wieder wegzufahren. Es braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, was ich von der Partie gegen Eintracht Frankfurt erwartet habe. Was mit Müh und Not die letzten drei Spiele geklappt hat, muss gegen den Tabellendritten nicht zwangsweise auch funktionieren, irgendwann muss das Glück doch auch aufgebraucht sein?

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Ich hatte alles angezogen, was ich finden konnte. Von der dicken Thermo-Strumpfhose bis hin zur Fleecemütze und den Handschuhen. Vor eiskalten Temperaturen hatte man gewarnt, was mir angesichts des strahlenden Sonnenscheins eher unwahrscheinlich vorkam. Die ersten Schritte hatte ich hinter mir, in der Sonne war es beinahe schon zu warm für die unzähligen Bekleidungslagen. Stets mit offenen Augen auf dem Weg zum Stadion, auch gegen Frankfurt ist immer besondere Vorsicht geboten. Plaudernd und tratschend brachte ich die Zeit bis zum Anpfiff herum, war dennoch einigermaßen verwundert, warum die Frankfurter Ultras sich noch nicht im Gästeblock bereit gemacht hatten. Wie lange man tatsächlich auf deren Erscheinen warten musste, sollte sich erst später zeigen.

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Nur noch wenige Minuten bis zum Anpfiff, man machte sich bereit für das Fahnenintro und den Einlauf der Mannschaften, auf die riesigen Rauchschwaden im Neckarstadion war ich allerdings nicht vorbereitet. Grüne, gelbe und rote Rauchwolken vernebelten für eine kurze Zeit die Sicht, gefolgt von einer ganzen Reihe bengalischer Feuer. Unaufgeregt, schön anzusehen, und nach fünf Minuten war es schon wieder vorbei, während auf dem Feld bereits der Ball rollte. Ich tat besser daran, nicht allzu viel von dieser Partie zu erwarten, gegen die Top-Mannschaften dieser Saison scheint kein wirkliches Kraut gewachsen zu sein, jedenfalls keines, mit dem der VfB umgehen kann.

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Mit Glück zur Führung

Es ist immer müßig zu sagen, welchen Verlauf eine Partie genommen hätte, wenn eine Situation in dem einen Moment nur etwas anders gelaufen wäre. Hätte Danny da Costa seinen Weitschuss nur ein paar Zentimeter weiter unten angesetzt, die Eintracht wäre früh in Führung gegangen und der VfB hätte sich womöglich nicht mehr davon erholt. Etwas ähnliches werden sich die Frankfurter Fans nun nach der Partie womöglich auch fragen. Ist es nicht fast schon ironisch, dass der VfB in diesem Spiel ein Tor geschossen hat, was er sonst immer kassiert hatte?

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Schon seit dem Spiel in Wolfsburg haben sich viele Augen auf Erik Thommy gerichtet, der in Augsburg mit seinem Freistoß zum Vorbereiter für Mario Gomez wurde. Endlich wieder jemand mit vernünftigen Standards und Vorlagen für die Vollstrecker. Es war eine interessante Szene: der Ballgewinn nahe der Mittellinie, der Sprint von Daniel Ginczek, der gewonnene Zweikampf, der spitze Winkel. Marco Russ hatte eigentlich alles im Griff, klärte für seinen zögernden Keeper Lukas Hradecky und wollte den Ball ins Aus schlagen.

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Das letzte, was ich sah und mit einem Foto festhalten konnte war Daniel Ginczek, danach stiegen alle vor mir bereits auf die Mauer und versperrten die Sicht. In solchen Momenten kann ich nur noch eines tun: auf mein Gehör vertrauen. Und es ließ mich nicht im Stich. Erst auf der Anzeigetafel konnte ich sehen, dass es Erik Thommy war, der mit vollem Sprint den Ball ins Netz gehauen hatte. Freude? Ja! Erleichterung? Nein. Dafür waren 73 Minuten noch viel zu lange Zeit, ein Spiel noch aus der Hand zu geben. Dass ich stets von der schlimmsten eintretbaren Situation ausgehe, sei mir an dieser Stelle nachgesehen – ein gebranntes Kind scheut ja bekanntermaßen das Feuer.

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Die älteste aller Fußballweisheiten

So recht vermochte ich das alles nicht einzuordnen. Seltsame Stimmung, eine unerwartete Führung und das beklemmende Gefühl, dass das Spiel noch lange nicht entschieden ist. Der Ausgleich von Sebastian Haller, der mit dem Tor des Jahres 2017 im Hinspiel die Frankfurter Tormelodie zum grausamsten aller Lieder machte, zählte wegen Abseits nicht, ganz ohne Diskussionen, ganz ohne Gemecker, ganz ohne Videobeweis. Danach ging es in die Pause, ein seltsames Raunen um mich herum, irgendwo zwischen “Das läuft besser als gedacht” und “Wie haben wir das denn geschafft?”.

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Noch eine Woche zuvor fühlte ich mich zurückerinnert an jenen Tag im Juni 2008, der Mario Gomez noch lange anhaftete, es hätte das 2:0 für den VfB sein müssen und bereitete uns letztlich wieder mehr Spannung als nötig, wir alle kennen dafür das Sprichwort zu gut, dass vorne geschossene Tore sich ganz gerne mal hinten rächen. Wenn Daniel Ginczek kurz nach Wiederanpfiff aus einer seiner beiden Chancen tatsächlich sogar das 2:0 gemacht hätte, wäre das vielleicht des Guten zuviel geworden. Für mein Nervenkostüm galt das allerdings nicht – das 2:0 hätte ich schon nicht unbedingt schlecht gefunden, um es höflich auszudrücken.

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Die Partie verflachte und wurde etwas behäbiger in ihren Aktionen, warum ausgerechnet der doch zuletzt so dominanten Diva vom Main so wenig eingefallen ist, vermag wohl weder deren Mannschaft, deren Trainerteam noch deren Fans beantworten. Erst nach 78 Minuten betraten die Frankfurter Ultras den Gästeblock, dem Vernehmen nach waren sie wegen Vermummungsgegenständen, Pyrotechnik und kleineren Mengen Rauschgift festgehalten worden. Welche Ironie, dass sie mit “Hurra, hurra, die Frankfurter sind da” das Stadion enterten und direkt darauf die Eintracht die Chance zum Ausgleich hatte.

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Mit letzter Kraft

Zittern, bangen und hoffen. So sehr ich mich auch bemühte, während der Partie ruhig zu bleiben, da führst du ganz knapp zuhause gegen den Tabellendritten, kannst dich ein ganzes Stück von der Konkurrenz absetzen und hoffst dann doch bis in die Nachspielzeit hinein, ein Drama wie im Hinspiel würde einem dieses Mal (und am besten in alle Zukunft) erspart bleiben. Vier Minuten Nachspielzeit, wie sich diese zusammensetzten, weiß auch kein Mensch. Der Nervenkitzel war spürbar, ungeachtet der Diskrepanz der vergangenen Wochen, hier und jetzt wollte man nur noch die drei Punkte irgendwie mit letzter Kraft ins Ziel retten.

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Jeder weggedroschene Ball wurde gefeiert, jedes angenommene Foul wurde beklatscht, jede Spielunterbrechung dankend angenommen. Bibiana Steinhaus stand am Mittelkreis, als sie um 17:25 Uhr abpfiff und damit die meisten der 55.400 Zuschauer noch einmal laut aufschreien ließ. Für einen Moment war es egal, was in den letzten Monaten und Wochen alles schiefgelaufen war, man hatte drei immens wichtige und gleichermaßen überhaupt nicht eingeplante Punkte geholt. Ein weiterer kleiner Schritt auf dem Weg zum Klassenerhalt, nicht mehr, nicht weniger.

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Schön war es nicht, aber wichtig. Betrachten wir einzig und allein das Saisonziel des Klassenerhalts, so muss uns das ausreichen. Fügen wir jedoch weitere Komponenten hinzu, wie etwa die Entwicklungsfähigkeit der Mannschaft und des VfB-Spiels an sich, so bleiben unzählige Fragen zurück. Wir stehen wieder dort, wo wir vor zwei Jahren waren, ohne wirklich zu wissen, ob sich die Geschichte wiederholt oder nicht. Wir können nur hoffen, dass der Verein daraus gelernt hat. Und bis der Tag gekommen ist, an dem wir über das Schicksal des VfB genau Bescheid wissen, so lange werde ich mich und euch alle daran erinnern, was 2016 geschehen ist. Die meisten hatten es erst begriffen, als es bereits zu spät war. Misstrauen und Angst sind bisweilen schlechte Berater – blinde Hoffnung allerdings auch.

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