Ich weiß, ich weiß, der Pokal hat seine eigenen Regeln. Aber wäre es nun wirklich zu viel verlangt gewesen, wenigstens ein Mal ein vollkommen ungefährdetes, entspanntes Spiel sehen zu dürfen? Ohne den Hauch einer Anspannung, hoch, verdient und vor allem souverän. Wenn nicht jetzt gegen Kaiserslautern, gegen wen denn dann? Die nächsten Wochen werden mit Sicherheit nicht einfacher, doch was, wenn aus dem tollen Plan, sich im Pokalspiel Selbstvertrauen zu holen, so gar nichts wird? Verlieren war verboten.
Es gab schlechtere Lose als ein Auswärtsspiel in Kaiserslautern. Was hatte es nicht Spaß gemacht, als sich seinerzeit gut 15.000 Stuttgarter auf den Weg zum Betzenberg machten und dort schon früh in der Zweitligasaison der Grundstein gelegt wurde für eine Reihe überwältigender Auswärtsfahrten. Über ein Jahr ist seither vergangen, der VfB war wieder aufgestiegen und Kaiserslautern, nunja, ich wünschte, ich könnte etwas Positives schreiben. Sie hadern, vor allem mit sich selbst. Die roten Teufel am Boden und womöglich auf dem Weg ins bodenlose Nirvana der dritten Liga. Harte Zeiten für die FCK-Fans, ich würde nicht tauschen wollen.
Und beim VfB? Man könnte fast meinen, man sei voll im Soll. Nach neun Spielen mit zehn Punkten könnte man zwar selbstredend besser dastehen, für manche ein besserer Schnitt, als nach dem Aufstieg zu erwarten war. Wenn da nur nicht die dumme Sache mit den Auswärtsspielen wäre. Gewonnen hat der VfB lediglich mit Müh, Not und vor allem Glück in der ersten Pokalrunde in Cottbus, während das Bundesligakonto weiterhin leidliche null Punkte hat. Ob ein erneutes Pokalspiel die Wende bringen kann? Alles andere als ein Weiterkommen ins Achtelfinale wäre indiskutabel. Da stand ich nun, im Gästeblock, und musste mit ansehen, wie Kaiserslautern in Führung ging.
Betze zum Dritten
Zum dritten Mal auf dem Betzenberg. Bisher war jede Begegnung, bei der ich teilnehmen durfte, von Erfolg beschieden, das durfte heute Abend gerne wieder so sein. Letztes Jahr endete das Abenteuer DFB-Pokal bereits früh, nahezu chancenlos (und überaus erwartbar) verlor der VfB in Mönchengladbach. Eine verschmerzbare Niederlage, konzentrierte sich ohnehin alles auf das weniger Tage später folgende Derby. Aber heute auch verlieren? In Kaiserslautern? Gegen einen strauchelnden Zweitligisten? Nein, nein, das durfte nicht passieren. Das war jedem der gut 4.000 Fans bewusst, die sich mitten in der Woche auf den Weg in die Pfalz gemacht haben.
Über Zwischenstationen in Remseck und Wiesloch-Rauenberg ging es um die Mittagszeit los, noch war ich entspannt, es würde sicherlich reichen, um ohne Druck am Ziel anzukommen. So richtig aufgegangen ist dieser Plan allerdings nicht, ein langer Stau bei Sinsheim und die notwendige Umfahrung kosteten viel Zeit – prompt kam diese unsägliche Panik in mir hoch, erst kurz vor knapp auf dem Betze anzukommen. Und wie so oft in Sachen Fußball lag ich glücklicherweise falsch. Unbeschadet brachten uns die Shuttlebusse bis fast vors Stadion.
Vor Ort folgte dann das Wiedersehen mit vielen Bekannten und die interessante Frage, ob wir heute wegen der Kameras genauso diskutieren würden wie beim Zweitligaspiel. Alles in Ordnung, jetzt musste nur noch der VfB gewinnen. Wenn das nur mal so einfach wäre. Wir kennen unsere Pappenheimer und ihre unwiderbringliche Art, im ungünstigsten Moment zu patzen. Als Topfavorit bei einem am Boden liegenden Gegner zu verlieren und diesen damit wieder aufzurichten, das wäre doch immerhin genau das, was der VfB besonders gut draufhat. Auch dann, wenn er gegen Köln unerwarteterweise das Gegenteil bewiesen hat.
Der naive Wunsch nach Souveränität
Der Gästeblock füllte sich, immer wieder beeindruckend, welche Massen sich Woche für Woche auf den Weg machen. Natürlich ist Stuttgart-Kaiserslautern nicht die weiteste Strecke, und natürlich gibt es noch bestehende Fanfreundschaften, und natürlich hat der Pokal noch einen anderen Reiz als die Liga – aber dennoch nicht schlecht für einen Mittwochabend. Ohne zumindest teilweisen Urlaub war das für die meisten nicht möglich. Umso wichtiger, jene ein wenig für die Anstrengungen und Opfer zu entlohnen. Es musste kein Offensivfeuerwerk und auch keine Vorführung sein, aber ein wenig Souveränität war der Wunsch aller, die sich auf den Weg gemacht hatten. Ohne Verlängerung. Ohne Elfmeterschießen. So schnell ertrage ich das kein zweites Mal.
Es ist traurig mit anzusehen, wieviel von seiner ursprünglichen Strahlkraft der Betzenberg verloren hat. Nur 28.322 Zuschauer verirrten sich ins Fritz-Walter-Stadion, das entspricht einer Auslastung von nicht einmal 57%. Und trotz aller Widrigkeiten stand die Kurve dennoch zusammen und hatte für dieses besondere Spiel eine Choreo mit Folienfahnen vorbereitet. Zwar erlebten wir nie derart düstere Zeiten, aber ich kann mir vorstellen, wie man sich fühlt, wenn der eigene Verein vor die Hunde geht, man aber trotzdem kein Stück Leidenschaft in seinem Leben vermissen möchte und dennoch alles gibt, um der Mannschaft zu zeigen, dass man selbst in der dunkelsten Stunde für sie da ist.
Für die Lautrer hätte es wahrhaft bessere Zeitpunkte für diese Partie gegeben, doch dafür konnten wir schließlich nichts, als die Kugel mit unserem Wappen aus der Lostrommel gezogen wurde. Hinter unzähligen weiß-roten Schwenkfahnen schaute ich hindurch auf die Choreo der Westkurve, als die Mannschaften das Feld betraten. Ein Betze ohne Pyrotechnik, konnte das sein? Schon bald flackerten die ersten Blinker hinter dem Transparent, schön anzusehen, ein netter Rahmen für das heutige Spiel in der 2. Runde des DFB-Pokals.
Aus dem Nichts in Rückstand
Der Rauch hatte sich kaum gelegt, da sahen wir, wie es hätte auch laufen können. Gerade drei Minuten rollte der Ball, da drosch Emiliano Insua den Ball an den Pfosten. Ich bin mir sicher, es wäre letztlich das souveräne, fast schon lockere Spiel gewesen, dass ich von dieser Partie erhofft hatte. Dass der VfB hier energisch zu Werke gehen würde, konnte man beinahe erwarten. Was man eher nicht erwarten konnte war ein Aussetzer des zuletzt so unheimlich starken Benjamin Pavard, der mit einem Kopfball in Richtung Ron-Robert Zieler auf Nummer sicher gehen wollte, dafür den Ball aber mustergültig für den Lautrer Lukas Spalvis vorlegte.
Sieben Minuten waren vorüber und alle Hoffnungen für einen entspannten Abend waren hinfällig. Kollektives Raunen und erschrockener Unglaube darüber, was da eben passiert ist. Man hatte sich viel vorgenommen, wollte unbedingt eine Runde weiterkommen, da kommt ein kapitaler Bock und man liegt zurück gegen das abgeschlagene Zweitligaschlusslicht Kaiserslautern. Was zur Hölle…? Das musste ein Traum sein. Das geht doch gar nicht. Oder doch?
In den darauffolgenden Minuten sah ich mich nicht in der Lage, weiterhin unbeirrt zu singen und zu schreien, zu tief saß der Schreck über den frühen Gegentreffer. Und wirklich besser wurde es nicht, denn wenn schon Slapstick, dann richtig: Chadrac Akolo, unser Held vom Heimspiel gegen Köln, verstolperte in bester Schussposition. Ernsthaft, Leute? Warum könnt ihr nicht einmal von Beginn an konzentriert sein? Warum muss so ein Scheiß jetzt schon wieder sein? Und vor allem: was mache ich überhaupt hier? Man könnte beinahe sagen, ich wäre vielleicht etwas genervt gewesen. Aber auch nur vielleicht.
Alles auf Anfang
Nur langsam wurde es besser und der VfB verschob seinen Fokus immer mehr in Richtung Lautrer Strafraum, bis in jenem schließlich Takuma Asano, der in den letzten Monaten eher durch häufige Abseitsstellungen bekannt war, zu Fall kam. Sicher war ich mir dessen nicht, aber das war auch irrelevant in dem Moment, als Patrick Ittrich auf den Punkt zeigte. Elfmeter. Eine neutral gesehen harte Entscheidung, tendenziell war das Foul nämlich knapp vor dem Strafraum. Einen Videobeweis gibts im DFB-Pokal bislang (noch) nicht, dieser hätte vermutlich eingegriffen und womöglich wäre diese Partie anders verlaufen. Daniel Ginczek war das egal – rein das Ding!
Gute Stimmung im Gästeblock, doch gefühlt mehr aus der Not heraus geboren im Streben, die Mannschaft zum Sieg zu schreien, ein Sinnbild für positive Schwingungen und gute Laune schien es nicht zu sein. Dabei spreche ich natürlich nur für mich selber, meine Eindrücke, meine Erfahrungen, und was sich im mittleren Teil des Gästeblocks als tendenziell eher zäher Support anfühlte, mag unten in den ersten Reihen schon wieder ganz anders ausgesehen haben. Es schien mir fast so, als würde sich die Stimmung dem Spielverlauf anpassen und wurde erst im Laufe der ersten Halbzeit besser. Dass diese nicht noch mit dem Führungstor durch den roten Teufel Stipe Vucur zu Ende ging, war eine knappe Kiste – oder vielmehr eben keine.
Ich wünschte, ich könnte jetzt davon schreiben, wie der VfB die Pfälzer in der zweiten Halbzeit überrollt hatte und wie von Sinnen aus der Kabine kam, doch ich kann es leider nicht. Zwar hatten sie die Gastgeber ganz gut im Griff, aber für einen Erstligisten war es dennoch erschreckend wenig, was unsere Mannschaft da anbot. Als dann auch noch Holger Badstuber nach einem Zweikampf in der ersten Hälfte unrund gelaufen war und schließlich nach nicht einmal einer Stunde doch ausgewechselt werden musste, wog meine Sorge schwer. Für ihn kam Simon Terodde. Einst sagte ich in der zweiten Liga, die Antwort wäre immer Simon Terodde, egal wie die Frage gelautet hat. Defensive raus, Offensive rein. Ein mutiger Plan, Hannes, das muss man dir lassen.
Verdient, aber nicht überzeugend
Gute 20 Minuten mussten wir im zweiten Durchgang warten, bis wir jubeln konnten und das Spiel gedreht war, Chadrac Akolo, trocken und clever, und schon gingen die Mundwinkel ein kleines bisschen nach oben. Doch ein emotionaler Ausraster überkam mich nicht, und das erschreckende ist, dass ich nicht weiß, wieso. Womöglich, weil noch genug Zeit war, sich blamieren zu können. Erst fünf Minuten später konnte ich mich vom Gedanken lösen, hier würde noch ganz viel anbrennen, Simon Terodde vollendete zum 3:1 aus Sicht des VfB, spätestens jetzt war der Wille der Gastgeber gebrochen. Zwar kamen sie noch einmal an unser Tor heran, doch vermochten sie es nicht fertigzubringen, den Ball im Tor unterzubringen.
Viel passierte nicht mehr, außer dass Berkay Özcan beinahe noch das 4:1 gemacht hätte, was aber den Spielverlauf ganz und gar nicht wiedergespiegelt hätte. So richtig freuen konnte ich mich nicht, und genau das erschreckte mich bisweilen schon. Was war denn nur mit mir los? Die letzte halbe Stunde des VfB ließ einen letztlich überaus verdienten Sieg zu Buche stehen, doch die Art und Weise des frühen Rückstands nervte mich auch dann noch, als sich die Mannschaft nach viel Applaus und einer Laola mit den Fans längst in die Kabinen verabschiedet hatte. Es war sinnbildlich für unsere Defensive, die bisher noch nicht sonderlich geglänzt hat.
Zwei Tore Unterschied hören sich deutlich an, doch waren sie es nicht. Es war dennoch der bisher deutlichste Sieg der Saison, alle anderen fielen mit nur einem Tor Unterschied aus. Einen weiteren Offenbarungseid für mangelnde defensive Konzentration und noch mangelnde offensive Durchschlagskraft hätte es an diesem Abend in Kaiserslautern nicht unbedingt gebraucht, nicht vor den beiden Duellen gegen die direkten Konkurrenten aus Freiburg und Hamburg. Beim Baden-Württemberg-Duell zehrt der VfB vor allem von einem ausverkauften Haus und der Tatsache, daheim in 2017 noch nicht verloren zu haben, und selbst unsere grausame Auswärtsstatistik könnte in Hamburg die ersten drei Punkte zu Buche stehen lassen. Kann. Muss aber nicht.
Weiter, immer weiter
Hannes Wolf wird sich schon etwas dabei gedacht haben, als er in der Pressekonferenz sagte, man dürfe jetzt nicht erwarten, da nach kurzer Zeit schon 2:0 zu führen. Aber vielleicht habe zumindest ich genau das erwartet, denn knappe Spiele hatte der VfB schon zu oft in dieser Spielzeit. Letztlich kam es dann doch nur auf das eine an, als nach 90 Minuten das Spiel beendet wurde und der VfB als verdienter Sieger wieder heimfahren durfte. Nicht mit Ruhm bekleckert, aber auch nicht blamiert (wie man es in Cottbus trotz Weiterkommens getan hat). Alles in Ordnung, oder? Nicht so ganz. Denn ich finde: da muss einfach noch mehr gehen beim VfB, vorne wie hinten. Überhöhte Ansprüche eines Aufsteigers, der nur demütig sein sollte?
Die obligatorischen Fotos eines leeren Gästeblocks durften auch zu fortgeschrittener Stunde keinesfalls fehlen. Dreckige Stufen, umgekippte udn zertretene Bierbecher, Müll und Zigarettenstummel, bei fast jeder Auswärtsfahrt das letzte Motiv eines langen Tages. Langsam trotteten wir zum Shuttlebus, doch dort kamen wir nicht so schnell weg. Das Stadion war halb leer, doch gefühlt befanden sich alle davon an der Bushaltestelle. Mit Müh und Not kamen wir in den Bus, hineingedrängt und gequetscht, aber wir waren drin. Hinein ins Auto, Laptop hochgefahren und schon begann die “Arbeit” von Neuem.
Die Pflichtaufgabe war erfüllt, doch sind die nächsten Bundesligaspiele nicht um einiges wichtiger? Wir sind uns einig, dass es für unseren Verein (auch dann, wenn er mittlerweile eine AG ist), um nichts anderes gehen kann, als den Klassenerhalt, auch wenn mir das nicht gefallen muss. Auch gegen Freiburg muss gewonnen werden, gegen den HSV erst recht, schon alleine aus Prinzip. Die Hürde der zweiten Pokalrunde hatten wir zumindest überstanden, und wenn der VfB am Sonntag sein Bestes versucht, zuhause drei Punkte gegen die Breisgauer zu holen, wird Holger Laser zum Mikrofon greifen und uns über die Lautsprecher mitteilen, dass im Pokal-Achtelfinale die Bayern auf uns warten. Na dann, Prost Mahlzeit.
33 Jahre, gebürtig aus Leipzig, seit 2010 wohnhaft in Stuttgart – Bad Cannstatt. Dauerkartenbesitzerin, Mitglied, ehemalige (Fast-)Allesfahrerin und Fotografin für vfb-bilder.de. Aus Liebe zum VfB Stuttgart berichte ich hier von meinen Erlebnissen – im Stadion und Abseits davon.
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