…schlägt mein Herz in weiß und rot. Ich lass dich niemals allein, du bist ewig mein Verein. Wir werden niemals untergehn, solange unsre Fahnen wehn. Minutenlang klang uns das Lied in den Ohren und führte uns letztendlich dahin, wonach wir uns nach so vielen Monaten so leidenschaftlich gesehnt haben: den Heimsieg, den Moment, in dem die ganze Kurve tobt. Es ist lange her, seit der VfB den letzten Sieg eingefahren hatte, umso größer sind nun die Erleichterung und die Freude.

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Man hatte schon fast vergessen, wie sich das anfühlt. Gewinnen. Welch schöne Angelegenheit. Seit dem unerwarteten Heimsieg gegen Schalke vor über fünf Monaten kam nicht mehr viel zu Stande, saisonübergreifend standen sechs Niederlagen und drei Unentschieden zu Buche. Wochenlange Entbehrungen, Unruhe im Umfeld, stete Unzufriedenheit und der freie Fall in den Tabellenkeller. Knapp scheiterte man am Auswärtssieg in Dortmund, kurz zuvor war Fredi Bobic seiner Aufgaben entbunden worden.

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Über die Art und Weise, wie dies geschehen ist, kann und sollte natürlich diskutiert werden, doch es nahm zumindest schon ein wenig Dampf vom Kessel, denn auch die Fans schauen sich ein solches Trauerspiel nicht ewig und geduldig an. Deren Reaktion nach den zuletzt verbitterten Wochen war dennoch überraschend: ein weiß-rotes Chaos-Intro und tolle Stimmung auf den Rängen, ein tolles Gefühl, wie es in Stuttgart schon lange nicht mehr der Fall war.

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Keine Zeit zum Durchschnaufen

Ich hatte mich gerade erst von Dortmund erholt. Der Trip kostete Zeit und viele Nerven, die Enttäuschung über den späten Ausgleich wog schwer, auch fehlte die Zeit für das rasche Schreiben des Spielberichts. Der nervöse Blick zur Uhr, als die letzten Absätze aufgearbeitet wurden. Ob es reicht? Bis nach dem neuen Spiel gegen Hannover wollte ich nicht warten, es musste unbedingt noch vor der Samstagspartie sein. Wäre es vielleicht besser gewesen, bereits um sechs Uhr in der Frühe aufzustehen und es hinter mich zu bringen? Sei es drum.

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Für ein schnelles Mittagessen in Schaufelbaggergeschwindigkeit reichte es gerade noch so, da wurde es schon ernst. Ein vermutlich letztes Mal im Jahre 2014 mit kurzen Hosen, Bauchtäschle und Pulli um den Bauch geschnallt, die Kameratasche angelegt und schon konnte es losgehen. Mit einem tiefen Seufzer und flehentlicher Erwartung des so lang ersehnten Heimsiegs.

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Traumhafte Bedingungen, 20 Grad, perfektes Wetter für einen tollen Fußballnachmittag. Dass die Realität oft dunkel, trist und grau aussieht, wissen wir mittlerweile ganz gut. Bloß nicht noch eine bittere Niederlage, dann ist der kleine Aufschwung, den die überraschende Leistung in Dortmund mit sich gebracht hat, schon wieder verpufft. An uns Fans sollte es an diesem sonnigen Samstag im September nicht liegen.

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Es lag was in der Luft

Unruhig und ungeduldig erreichte ich mit Felix das Neckarstadion, die gleichen Gesichter wie jedes Mal. Ein Hauch von Aufbruchsstimmung lag in der Luft, wo zwei Wochen zuvor noch eine merkwürdig gedrückte Stimmung herrschte, fast so, als wäre es ein Vorzeichen. Gut eine Stunde vor Anpfiff nahm ich meinen Platz ein und entdeckte zahlreiche Hinweiszettel auf eine anstehende Choreographie. An jeder Wand, an jeder Toilettentür und auch an jedem Wellenbrecher im Stehplatzbereich. Man hatte Großes vor.

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Dieses Kribbeln im Bauch, wann immer ich die Treppenstufen zu meinem Platz hinab steige, mich umschaue und feststelle, dass es ja doch wieder die Selben sind, ungeachtet all der Enttäuschung der letzten Wochen und Monate, schon vor der Sommerpause, trotz aller Androhungen, die Dauerkarte abzugeben, trotz aller Ernüchterung und der ewigen Angst, dass es nicht immer mindestens drei noch dümmere Vereine gibt.

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Die meisten kehren immer wieder in die Cannstatter Kurve zurück. Es gibt Tage, an denen wir zweifeln, aber auch jene, an denen wir wissen, warum es nirgends schöner ist als hier. Zuhause ist, wo das Herz ist. Offenbar hatten nur wenige Hannoveraner die 500-Kilometer-Reise nach Stuttgart angetreten, es roch nach Boykott seitens der Ultras.

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Kirschbaum für Ulreich

Man durfte gespannt sein, was sich die Cannstatter Kurve hier überlegt hat, überall lagen verschiedene Sachen auf den Stufen verteilt: neben Fahnen und Doppelhaltern fand man auch ganz unorthodoxe Dinge wie Müllsäcke voller Konfetti, weiß-rote Regenschirme, Luftballons und Papierschlangen. Ungeduldig wartete ich auf den Anpfiff des Spiels, an dessen Ende hoffentlich der erste Heimsieg seit April stehen würde.

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Für die erste dicke Überraschung sorgte Armin Veh, der Sven Ulreichs neuerliche Patzer – insbesondere jenen, der uns den Sieg in Dortmund gekostet hat – folgerichtig mit einem Denkzettel beantwortet hatte. Zum Warmlaufen betrat Thorsten Kirschbaum den Platz, großer Applaus für unseren zweiten Torwart. Wie sich Ulle dabei fühlen muss? Es ist nicht das erste Mal, dass er kurzzeitig degradiert wurde, er kam damals gestärkt zurück.

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Die letzten Minuten bis zum Anstoß. Im Spielertunnel warteten bereits die Mannschaften, als auf dem Oberrang die ersten weißen und roten Folienbahnen nach unten gereicht wurden, auf dem Oberrang wehten die Fahnen, auf dem Unterrang brach schließlich das komplette Chaos aus: überall so viele Fahnen, Doppelhalter, Luftballons und Konfetti, alles verschmolz in einer riesigen weiß-roten Menge. Nicht einmal drei Meter weit konnte man schauen.

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Schrill und bunt

Welch herrliches Bild die Cannstatter Kurve abgab, ergänzt von einem riesigen hinein getragenen Banner über die komplette Breite der Kurve: „Wenn die ganze Kurve tobt, schlägt mein Herz in Weiß und Rot“. Keine Selbstverständlichkeit in schweren Zeiten, ungeachtet des jungen Alters dieser Saison, wenn nicht bald die richtigen Entscheidungen getroffen werden, wird es auf lange Sicht hart werden, in der ersten Liga zu bestehen, geschweige denn von dem internationalen Geschäft, welches unser Präsident Bernd Wahler vorschnell in den Mund genommen hatte.

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Gänsehaut. Im Hier und Jetzt konnte man kaum glauben, dass vergangenes Wochenende die Kurve noch das Sinnbild der Verzweiflung und der Ratlosigkeit abgab. Jetzt laute Gesänge von Block 32 bis Block 37. Möge es Gehör finden bei den elf Jungs, die auf dem Platz stehen, und bei jenen, die auf der Bank sitzen. Rein leistungsmäßig durfte man dabei durchaus Respekt haben: Hannover mit zehn Punkten, wir nur mit zwei Punkten.

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Die ersten Minuten verbrachte der VfB weitgehend in der Hälfte der Gäste, ein gutes Zeichen für den Auftakt, man wolle auf ein schnelles Tor spielen. Wie oft der VfB zehn Minuten lang gut spielte und am Ende dann doch wieder verlor, haben wir hier vor heimischer Kulisse jedoch einfach zu oft gesehen. Viel zu merken war von der Ergebniskrise nicht, sie spielten von Beginn an offensiv, das gab Grund zur Hoffnung.

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Es muss sich was bewegen

Zahlreiche Spruchbänder begleiteten die tolle Stimmung, kritisch, aber folgerichtig, Adressaten waren der gescholtene Fredi Bobic und vor allem der Vorstand, der nun Aufarbeitung betreiben muss – und zwar schonungslos. Wir wollen dass „sich etwas bewegt, beim Verein für Bewegungsspiele“ (Zitat aus der Sportschau vom Samstag Abend). Es muss sich etwas ändern, wenn man den Ansprüchen, die man an sich selber stellt, gerecht werden will.

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Wohl auch aus diesem Grund blieben weite Teile des Stadions leer, lediglich die Kurve war gut besucht. Nur zwei Drittel der Kapazität war ausgeschöpft, nur 40.500 Besucher, trotz (oder vielleicht auch wegen) des Wasens auf dem Nachbargelände, der auch in diesem Jahr wieder einige Zuschauer in Dirndl und Bazitracht ins Stadion gespült hat, die dort in diesem Aufzug nichts verloren haben. Nein, nicht im Stadion, nicht auf dem Wasen, nicht in Stuttgart, fahrt doch nach München.

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Viel wollten die Hannoveraner nicht vom VfB, im Gegenteil. Als wollten sie sagen „Lasst uns bloß in Ruhe, uns reicht ein 0:0“, das Spiel machen wollten sie nicht. Oft genug bekam der VfB ausgerechnet dann Probleme, wenn sie die Spielanteile herschenkten in Ermangelung an eigenen Ideen – und genau dann war es nur eine Frage der Zeit, bis der Gegner die Geschenke dankend annahm. Schlecht machten es die Jungs nicht, nur das Tor sollten sie zumindest mal treffen.

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Warten auf das Tor

Immer wieder flogen die Luftballons umher, die noch nicht auf dem Boden zertreten worden sind, auch aufgeblasene Strandbälle waren mit dabei. Eine einzige weiß-rote Party in der Kurve. In solchen Momenten bin ich zuletzt oft zurückhaltend gewesen, aus Angst, das Spiel wieder zu verlieren, doch heute fühlte es sich anders an. War es heute möglich? Die anhaltend gute Darbietung vor uns auf dem Platz bestärkte mich in dem Gefühl, dass diese Hannoveraner durchaus schlagbar waren.

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Es war das lange Warten auf das Tor. Viele hatten bereits den Jubelschrei auf den Lippen, als Daniel Didavi die Flanke von rechts in den Strafraum brachte, wo Moritz Leitner und Christian Gentner lauerten. Der Dortmunder Leihspieler verpasste und unser Kapitän säbelte am Ball vorbei, das wäre es gewesen. In höchster Not kratzte Marcelo den Ball von der Linie. Unfassbar, dass das nicht die Führung war.

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Erst gegen Ende der ersten Halbzeit wachten die Gäste ein wenig auf und versuchten es ein paar Mal, in Richtung Thorsten Kirschbaum zu kommen. Manuel Schmiedebach fasste sich ein Herz und zog einfach mal aus 45 Metern ab, da fehlte nicht viel. Tief durchatmen, Entwarnung. Erstmal Pause. Für ein wenig Entspannung sorgten die Betonstufen, auf denen ich es mir für gut zehn Minuten gemütlich machte, sofern man das so nennen kann.

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Optimistische Prophezeiungen

Bisher gar nicht so übel wie befürchtet, doch das alte Problem bleibt bestehen: die Angst vor dem Tor. Meist harmlos und ideenlos präsentiert sich die Offensive, bei all den Möglichkeiten muss einfach mehr zählbares herauskommen. Stammt diese Angst aus der letzten Saison, als der VfB stets führte und dennoch in beinahe jedem einzelnen Spiel noch die Gegentore kassierte? Nur wenigen Minuten reichten aus um aus drei Punkten einen oder gar noch weniger zu machen, besonders schwer wiegt das Trauma der letzten zehn Minuten.

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Armin Veh wollte Zeichen setzen, nicht nur auf der Torhüterposition. Zu Beginn des zweiten Durchgangs kam Filip Kostic für Carlos Gruezo, ein deutlich offensiver Wechsel. Und der gute alte Armin sollte Recht behalten, auch in dieser Personalie. Sie spielten nun in Richtung Cannstatter Kurve, wo die Sehnsucht nach Erfolg mit jeder Spielminute größer wurde, angepeitscht von Zehntausenden.

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Um vor mir und neben mir wehten die Fahnen, gesehen habe ich von gefährlichen Strafraumszenen rein gar nichts, wie immer orientiere ich mich dann zwangsläufig an den Reaktionen der Anderen. Ich war gespannt, ob Felix Recht behalten würde. Auf meine SMS während der Halbzeitpause, der VfB könne ruhig mal ein Tor schießen, prophezeite er das Tor für die 61. Minute. Er hatte selber vermutlich nicht damit gerechnet, wie knapp er dran sein würde.

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Immer wieder knapp gescheitert

Mit jeder vergebenen Möglichkeit, ob von Hannover geklärt oder selbst vergeben, wuchs spürbar die Ungeduld in der Kurve. Nach Beginn des zweiten Durchgangs ebbte auch langsam die zu Beginn aufgeflammte tolle Stimmung in der Kurve ein kleines bisschen ab. Doch auf einmal wurde es dann doch wieder laut, die Arme nach oben gestreckt, erwartungsvolle Blicke zum Strafrauml, ich konnte nichts sehen, was war denn da los? Oh bitte, bitte, bitte, bitte jetzt das Tor und das kollektive Ausrasten. Warte… Warte… Warte… Jetzt?

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Nein. Sie schlugen die Hände über den Köpfen zusammen. Timo Werner hatte soeben die bisher größte Gelegenheit seit Christian Gentners geschlagenem Luftloch nicht im Tor unterbringen können. Einen einzigen Schritt zu spät stürzte er die Kurve in die Verzweiflung, jetzt muss das Ding doch endlich mal rein, bevor die 80. Minute kommt und Hannover merkt, dass sie es hier am leichtesten haben würden?

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Wir mussten weiter warten auf diesen einen Glücksmoment, das erste Heimtor der Saison, der erste Heimsieg, der erste Sieg überhaupt. Was gegen Bochum, Gladbach, Köln, München, Hoffenheim und Dortmund teilweise kläglich gescheitert war, soll nun heute gegen die Niedersachsen endlich gelingen. Der Meinung war nicht nur die Cannstatter Kurve. Die Jungs da unten haben offensichtlich verstanden. Das wurde aber auch Zeit.

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Das Spiel auf ein Tor

Die 61. Minute war angebrochen. Felix meinte, das Tor würde fallen. Einen ähnlichen Tipp hatte er in Gladbach abgegeben und lag nur zwei Minuten daneben, den Torschützen hatte er jedoch mit Alexandru Maxim korrekt vorausgesagt. Einen Namen wollte er dieses Mal nicht nennen. Wer konnte ihn auch auf dem Zettel haben? Wieder drückte und fightete der VfB, der vehement auf das Führungstor drückte.

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Immer angepeitscht, immer weiter, immer wieder, der aktive Kern der Kurve zeigte sich unermüdlich, nichts zu sehen von den letzten Misserfolgen und dem Graben, der sich zwischenzeitlich zwischen Mannschaft und Fans aufgetan hatte. Sie mühten sich, doch das Tor schien wie vernagelt. Die Uhr tickte. Schon längst war die 61. Minute verstrichen. Immernoch kein Tor, doch die Hoffnung darauf wurde größer und größer.

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Gotoku Sakai machte, wie auch schon in Dortmund, ein für seine Verhältnisse richtig gutes Spiel, auch Filip Kostic wusste zu gefallen auf der linken Seite. Der Japaner und der Serbe, beide Anfangsstation eines weiteren offensiven Spielzugs. Der Ball war bereits auf der Seitenauslinie, doch nicht darüber, der Serbe rannte weiter. Flanke in den Strafraum. Bange Blicke. Geklärt, es gab Eckball.

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Endlich!

Die siebte Ecke für den VfB, ich sah Filip Kostic, wie er zum Eckball antrat. Bedächtig nahm er Anlauf, ich schaute zum Tor, obwohl ich wusste, dass ich es vermutlich nicht direkt sehen würde. Ein weiteres Mal musste ich warten und lauschen. In meinen Ohren klang „Auf geht’s Stuttgart schieß ein Tor…“, gefolgt von tosendem Jubel und etlichen Bierduschen. Da war es. Da war es endlich. Das Tor zur Führung. Völlig egal wie, völlig egal wer. Glücksgefühle und Gänsehaut, gut zwanzig Minuten vor Ende der Partie.

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Verlängert von Christian Gentner und am langen Pfosten drückte Daniel Schwaab den Ball klar über die Linie, das wollten die Gäste aus Hannover natürlich nicht wahr haben. Es nützte nichts, es stand 1:0. Der Sieg war es jedoch noch lange nicht, zu gleicher Zeit vier Tage zuvor machte Daniel Didavi in Dortmund das 0:2, auch das reichte nicht einmal zum Sieg.

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Vorsicht war geboten, doch bahnte sich die unendliche Freude ihren Weg, auf diesen Freudentaumel hat die Kurve so lange warten müssen. Und auch er selbst hatte lange warten müssen. Er traf auf Ludwigsburger Boden kurz nach seinem Wechsel ins Ländle in einem Testspiel gegen Valencia, gefolgt von einem Eigentor, was die Heimauftaktpleite gegen seinen Ex-Klub Leverkusen besiegelte. Seither traf er nicht. Wozu auch, sollte er die Tore als Verteidiger doch lieber verhindern.

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Die Angst vor den Schlussminuten

Ein weiteres Mal Gänsehaut. „Torschütze mit der Nummer Drei, Daniel…“ – „SCHWAAAAB!“, drei Mal in immenser Lautstärke, als hätte es niemals einen anderen Torschützen gegeben. Und wieder ertönte es: „Wenn die ganze Kurve tobt“, und setzte ihr Motto auf eine selten dagewesene Art und Weise um, die jedem, aber auch wirklich jedem, der an diesem Tag in der Cannstatter Kurve stand, Glücksgefühle bescherte.

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Warum nicht öfter so? Minutenlang wie in Trance, immer und immer wieder sangen wir das neue Lied, das zum Einlaufen der Mannschaften auf dem Transparent stand. Felix meinte, es wäre ein Lied zum Ausrasten, und er hat Recht. Ich schaute mich um und blickte in strahlende Gesichter, die zufriedener wohl kaum hätten sein können. Jetzt dranbleiben, die Nerven bewahren und nicht wieder ein weiteres spätes Tor kassieren. Kämpfen und siegen, niemals aufgeben!

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Die letzten zehn Minuten erlebte ich gefühlt als außerkörperliche Erfahrung. Ich sah mich im Block 33 stehen, schreiend, flehend, ja fast schon verzweifelt. Die gefährliche Zeit war angebrochen, das werden die Hannoveraner sicher gewusst haben. Thorsten Kirschbaum musste seine 194 Zentimeter voll ausnutzen, um uns noch vor dem Ausgleich zu bewahren. An Singen und Hüpfen konnte ich nicht einmal mehr denken. Alles, was ich noch konnte, war Schreien: „NEIN NEIN NEIN!“, ein jedes Mal, wenn sich die Gäste auch nur dem Tor näherten.

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Nicht gut fürs Herz

Oh Gott, fuck, was ist das hier? Noch einmal alles mobilieren, alles geben für den ersten Heimsieg, den wir alle so dringend nötig hatten. Nur noch wenige Minuten in der schlimmsten und nervenaufreibensten Phase der gesamten Partie, für den völlig ausgepumpten Christian Gentner kam Georg Niedermeier in die Partie, jetzt alles raushauen und vielleicht noch auf ein Kopfballtor des Hünen spekulieren, er hat schon oft genug getroffen.

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Was ihm Gente wohl noch ins Ohr geflüstert hat, als er ihm die Kapitänsbinde überreicht hatte? Es bleibt nur zu spekulieren „Bringt es über die Bühne, koste es was es wolle“. Momente wie im Traum, erneut kamen unsere Jungs vors Tor, immer wieder war ein Bein dazwischen oder man fand seinen Meister in Ron-Robert Zieler. Jetzt noch das zweite Tor und uns bleibt jegliche Panik in den letzten Sekunden erspart.

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Vier Minuten Nachspielzeit. Wo nahm man diese her? Eine längere Verletzungspause gab es nicht, auch durch das Bejubeln vieler Tore blieb aus, woher also so viel Nachschlag? Das verkraftet kaum ein leidgeprüftes VfB-Herz. Wüste Pfiffe von den Rängen, durchaus berechtigt, denkt man an all die Last-Minute-Gegentore. Das hälst du ja im Kopf nicht aus. Das Schlimme ist: auf der Anzeigetafel zeigt man nur bis zur 90. Minute an, die Nachspielzeit muss man stets nach Gefühl einschätzen. Eine gefühlte Ewigkeit.

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Die große Erleichterung

„Pfeif ab, pfeif ab, PFEIF AAAAAAAAAB!“, nur noch wenige Sekunden. Auf der Anzeigetafel stand es, 1:0 in großen weißen Lettern. Es war noch nicht vorbei, die Hannoveraner drückten auf den späten Ausgleich, wer hier noch ruhig blieb, hatte offensichtlich den Puls eines Steins. Wieder schallte es „Kämpfen und siegen“, jetzt bloß keinen Mist mehr machen. Laute Pfiffe ertönten, weil der eine Pfiff einfach nicht zu hören war. Komm schon, pfeif ab!

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17:24 Uhr. Es wäre interessant zu erfahren, wieviele Dezibel in der Cannstatter Kurve gemessen worden wären. Zwischen Konfetti, Luftschlagen, zerplatzten Luftballons und anderen Überresten des Chaos-Intros mischten sich nun die Steine, die uns von den Herzen gefallen waren. Es war überstanden, der Sieg war unser. Ein Zu-Null-Sieg. Die Freude beim Abpfiff fast so groß wie jene Euphorie, als mit Daniel Schwaabs Tor die Weiche auf Sieg gestellt wurde.

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Die letzten Monate haben mich gelehrt, mich erst dann entspannen zu können, wenn es überstanden war. Kaum eine Führung, die der VfB am Ende nicht wieder vergeigt hat, die panische Angst vor den späten Toren, am heutigen Samstag war der Fluch gebrochen – zumindest fürs erste. Ob sie es tatsächlich überstanden haben, werden die nächsten Spiele zeigen. Es ist anzunehmen, das Thorsten Kirschbaum erst einmal im Tor bleibt und damit die schwere Bürde auf sich nehmen muss, das die Schreckenszeit vorbei ist.

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Der süße Duft des Sieges

Wie wunderschön nach vielen Monaten „Paradise City“ in den Ohren klang. Niemand musste es aussprechen, das gefühlte „Uff!“ war zu spüren. Unbändige Freude, wer will es uns auch verdenken. Ich hatte keine Stimme mehr, alles tat mir weh, ich war ein weiteres Mal von Bier geduscht worden, alles völlig irrelevant. Nicht nur die Mannschaft hat den Sieg geholt, auch die Kurve hatte einen gehörigen Anteil daran – ich verneige mich vor euch. Chapeau, das war großes Kino.

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Den entsprechenden Applaus haben sich alle abholen dürfen, trotzdem war die Stimmung unterkühlt. Verständlich, es war ja erst ein Anfang, ein erster Schritt aus der Krise. Eine Welle gab es nicht, nach einem kurzen Applaus waren sie wieder auf dem Weg in die Kabine. Nur langsam gaben die ersten Lücken in der Kurve den Blick frei auf die Überreste der Chaos-Choreo – man konnte nur noch dem Aufräumtrupp gutes Gelingen und starke Nerven wünschen.

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Eine halbe Ewigkeit dauerte es, erst die Ordner konnten uns des Blockes verweisen, als überall schon das erste Reinemachen begann. Hunderte ausgeteilter Fahnen wurden eingesammelt, in der Luft lag der süße Duft des Sieges. Erklären kann man es nicht, wie es sich anfühlt, man muss dabei gewesen sein. Es gibt Tage, an denen wächst die Cannstatter Kurve trotz anscheinend unüberbrückbarer Differenzen über sich hinaus. An solchen Tagen willst du eigentlich gar nicht nach Hause gehen.

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Ein erster Schritt nach vorn

Zwei kleine Packungen Capri Sonne hatten nicht ausgereicht, ich hatte großen Durst. Umso gelegener kam da rein zufällig die Aktion von Coca Cola daher, die vor dem Stadion für lau kleine Dosen Coke Zero verteilten. Wie die Aasgeier stürzte man sich darauf, wen wundert es beim schwäbischen Volk, wenn es etwas umsonst gibt? Langsam brachen wir auf, die meisten der 40.500 Zuschauer waren bereits abgewandert.

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Der Ablauf des restlichen Abends war der übliche: Bilder sichten, bearbeiten und veröffentlichen, während die meisten anderen noch in Kneipen saßen und den lang ersehnten Sieg zurecht gefeiert hatten. Wünschte ich mir manchmal, ich könnte auch nur auf ein Bier mit meinen Freunden und Bekannten auf den Sieg anstoßen? Ja, schon. Doch das ist das Leben, das ich mir gewählt habe, um all denen, ob sie nun dabei waren oder nicht, einen visuellen Rückblick zu gewähren. Dafür fotografiere ich.

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Am heutigen Sonntag saß ich lange Zeit an diesen Zeilen. Unheimlich schwer viel es mir, unverständlich nach der langen Durststrecke. War ich das Schreiben positiver Berichte schon gar nicht mehr gewohnt? Das nächste Spiel führt den VfB nach Berlin, am Tag der Deutschen Einheit. Ein ganz besonderes Spiel für mich. Dort, wo alles angefangen hatte. Dort, wo es noch lange nicht zu Ende sein wird.

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