Brrrrt. Brrrrt. Brrrrt. Brrrrt. Brrrrt. Unaufhörlich vibrierte mein Telefon auf dem kiefernfarbenen Couchtisch. Nein, ich werde jetzt nicht nachschauen. Brrrrt. Brrrrt. Brrrrt. Mein Herz schlug so laut, ob das jemand hören konnte? Felix hielt meine Hand ganz fest, während wir – umringt von seiner Familie – am Sonntag Abend vor dem großen Flachbildschirm im Wohnzimmer saßen. Brrrrt. Brrrrt. Brrrrt. Nach einigen Minuten schaute ich dann doch nach.
WhatsApp: 17 neue Nachrichten in 15 Chats. Facebook: 8 neue Nachrichten und 11 Freundschaftsanfragen. Hinzu kommen 6 SMS-Nachrichten. Es war mittlerweile nach neun Uhr am Abend. Normalerweise schon die Zeit, den Kreislauf herunter zu fahren und sich bereit zu machen für eine neue Arbeitswoche. Nicht an diesem Sonntag. Aufgedreht und euphorisch blieb ich noch viele Stunden wach. Genau wie mein Telefon. Brrrrt. Brrrrt. Brrrrt.
Nach vielen Wochen des ungewissen Wartens war es am Sonntagabend soweit. Der SWR zeigte die Dokumentation “Fußballfieber – Der VfB Stuttgart und seine Geschichte“, 45 Minuten über den Verein mit dem roten Brustring. Und in einer kleinen Nebenrolle: Moi! Über das Making-Of des Films hatte ich ja bereits in Wort und Bild berichtet, seither sind einige Tage ins Land gegangen. Ungewisse Wochen, wie der Film wohl geworden ist, ein emotionaler Abend bei der Premiere und schließlich eine Mischung aus Anspannung und Freude, als es der 12. Oktober gekommen war.
Vom Flughafen direkt ins SWR-Studio
Enttäuscht senkte ich mein Haupt, als ich vom Filmautor Jens Ottmann erfuhr, die Premiere vor geladenem Publikum würde am 7. Oktober stattfinden. Ich musste nicht einmal einen Blick in meinen Kalender werfen, ich wusste bereits genau, dass dieses Datum schwierig werden würde. Erst in den frühen Abendstunden würden wir nach einem Kurzurlaub in Leipzig am Flughafen landen, wohl kaum würde es für die Premiere reichen. Ein Geschenk des Himmels, dass diese gegen alle Vermutungen doch erst halb acht Abends stattfinden sollte.
Am Bahnhof Bad Cannstatt trennten sich Felix’ und meine Wege – er hatte es leider nicht mehr auf die Gästeliste geschafft. Wenn ich doch nur vorher gewusst hätte, dass vor Ort einige Plätze leer geblieben waren. Ich stieg in die erste Stadtbahn, die meinen Weg kreuzte, dort ausgestiegen lief ich zum Eingang. Angespannt und nervös, lediglich meine Kamera hatte ich dabei, auf das VfB-Outfit musste aus zeitlichen Gründen verzichtet werden.
Unten im Foyer kam mir sogleich ein bekanntes Gesicht entgegen, Kameramann Werner Schmidtke fing mich sogleich ab und begleitete mich auf dem Weg in den Studiosaal, der bereits gut gefüllt war. Eine gute halbe Stunde vor Filmbeginn hatte ich es geschafft und nahm unscheinbar Platz inmitten des Publikums. Ich dürfte die weiteste Anreise gehabt haben, meinte mein bester Freund, dem ich das alles hier überhaupt erst zu verdanken hatte.
Gänsehaut per Leinwand
Mein Puls raste, immer wieder schaute ich auf die Uhr, als würde ich eine ganz andere Uhrzeit erwarten, wenn ich alle zehn Sekunden darauf schau. Der große Zeiger hatte sich schließlich nach unten gesenkt und Moderator Johannes Seemüller gab das Startsignal. Ein emotionaler Beginn mit tollen Bildern – und auf einmal sah man mich auf der großen Leinwand. Die ersten Zuschauer in den Reihen davor drehten sich um. Mein Gesicht vergrub ich tief in meiner linken Hand, ein ungewohntes Gefühl.
Ich versuchte, cool und gelassen zu bleiben – aber innerlich sah das schon wieder ganz anders aus. Die vielen emotionalen Momente verfolgte das geladene Publikum auf der Leinwand, große Momente aus der Historie des VfB. Eine besondere Ehre, hier eine kleine Nebenrolle eingenommen zu haben. Die mit 45 Minuten doch recht begrenzte Filmdauer neigte sich langsam dem Ende.
„Furchtlos und troy“, der eigens für den 121. Vereinsgeburtstag neu aufgelegte Song der Fantastischen Vier wurde langsam eingespielt. Schlussendlich wartete Jens Ottmann und Thomas Wehrle noch mit ein paar Outtakes auf. Oh Gott, nein. Alles, nur das nicht. Mehrmals drehten wir die Szene in der Kabine, doch das heruntergefallene Trikot des Alexandru Maxim war anscheinend die allerbeste Aufnahme. Heute, gut eine Woche später, kann ich auch endlich selbst darüber lachen.
„Mensch, Ute!“ – oder: wie Hansi Müller mein Fan wurde
Applaus brandete auf in dem kleinen, aber feinen Studiosaal des Südwestrundfunks in Stuttgart-Ost, an dem ich schon unzählige Male mit der Bahn vorbei gefahren war. Johannes Seemüller ergriff wieder das Wort und bat zu einer kleinen Diskussionsrunde mit Hansi Müller, Günther Schäfer, Jens Ottmann und Lothar Weise, der mit seiner Frau in der ersten Reihe Platz genommen hatte. Die erste Frage wurde an Hansi Müller gerichtet, was ihm denn am Besten gefallen hatte. „Die Ute hat mir am Besten gefallen“ – Äh, was? Kaum hatte ich die Anspannung des Films überstanden, der nächste (positive) Schock.
Er würde genau wissen, warum Jens Ottmann aus all den Fans, die dem VfB die Treue halten, ausgerechnet mich ausgewählt hatte. Ich traute meinen Ohren kaum. Nur kurze Zeit später erzählte der groß gewachsene Filmemacher von unserer ersten Begegnung, einst an einem Freitag vor den Toren des Neckarstadions. Wie aufgeregend und emotional das alles für mich gewesen war, und wie viele Szenen er mit mir gedreht hatte, die er leider gar nicht alle in den Film hinein packen konnte und wie sehr er das bedauern würde.
Hansi Müller ergänzte: „Vielleicht sollten wir den Film nachträglich in ‘Mensch, Ute!’ umbenennen?!“ – der ganze Saal hatte laut gelacht, schließlich fragte Moderator Johannes Seemüller, ob ich denn anwesend wäre. „Du kannst ruhig mal aufstehen“ hatte Kameramann Werner neben mir geflüstert, das tat ich auch. Mit hochrotem Gesicht erhob ich mich von meinem Stuhl und winkte kurz zur Bühne und ins Publikum. Was war denn hier los? Wieder Applaus. Das gibt’s ja gar nicht.
Amüsante Diskussionsrunde
Wohin mit all den Emotionen? Mädel, jetzt fang hier bloß nicht an zu heulen! Es war eine kurzweilige Gesprächsrunde mit amüsanten Geschichten, u.a. jene von Günther Schäfer, die von seinem Einstand beim VfB handelte. Im ersten Training senste ihn Bernd Förster um und bescherte dem damals blutjungen Verteidiger drei Wochen auf der Massagebank. Als er zurückkehrte, revangierte er sich, kassierte den Blick des Todes, fast so, als wolle er ihn umbringen wollen. Bedrohlich nah lief er auf ihn zu, streckte ihm die Hand aus und sprach: „Hallo, ich bin der Bernd!“ – der Saal tobte.
Nach dem Ende der Diskussionsrunde liefen wir nach vorne, ich durfte die eine oder andere Hand schütteln und mir anhören, es sei toll gewesen. Schnell noch Fotos gemacht mit Hansi Müller, Günther Schäfer und auch mit Jens Ottmann, der mich beim ersten Telefonat am Vormittag des 4. September sogleich überzeugen konnte. Viel Zeit zum Überlegen hatte ich ja nicht. Müßig, darüber nachzudenken, ob ich bei mehr Bedenkzeit vielleicht sogar noch gekniffen hätte.
Es dauerte eine Ewigkeit, bis ich den Saal verlassen hatte, die Reihen hatten sich schon weitgehend gelichtet, als ich Dirk Herrmann von den Stuttgarter Nachrichten noch Rede und Antwort gestanden war und auch die Zeit noch für einen ausführlichen Plausch mit Günther Schäfer reichte. Vollgestopft mit Emotionen und Euphorie verabschiedete mich letzterer mit einer Umarmung vom SWR-Gelände, langsam lief ich zur Stadtbahn-Haltestelle, und konnte noch gar nicht richtig realisieren, was hier heute Abend passiert war.
Ein ganz besonderes Erinnerungsstück
Wenige Tage später, als sich die Anspannung der Premiere gelegt hatte, bekam ich per Twitter mitgeteilt, dass das kleine Interview mit den Stuttgarter Nachrichten abgedruckt wurde: „Heimlicher Filmstar aber ist Ute Lochner“, so stands geschrieben in der Freitagsausgabe, die mir Felix sofort vom nächsten Kiosk besorgte. Leider waren beim Notieren anscheinend die Jahresdaten durcheinander geraten, doch in der Online-Ausgabe hatte ich es penetranterweise noch korrigieren lassen.
Schließlich war der Sonntag gekommen, an dem die Doku auf dem SWR gezeigt wurde. Auf der einen Seite voller Scham, dass der Outtake den Weg in die finale Fassung gefunden hatte, auf der anderen Seite voller Vorfreude, die ich mit vielen Freunden aus dem VfB-Umfeld teilen wollte. Erinnerungsnachrichten wurden verschickt und die Schwiegerfamilie um den Fernseher gekarrt. Tief durchatmen.
Der eine oder andere neidische Kommentar fremder Leute blieb natürlich auch nicht aus. Es wäre ja eine Frechheit, jemanden zu filmen, der erst seit 2007 zum VfB geht. Aufgedrängt habe ich mich nicht, ich habe meine ganz eigene Geschichte zu erzählen. Ob ich seit 2007 dabei bin sollte dabei keine Rolle spielen. Ich habe etwas zu erzählen, vom VfB und meiner ganz eigenen Liebesgeschichte zu dem Verein mit dem roten Brustring. Eine Geschichte voller Liebe, Engagement und Leidenschaft, voller Emotionen und mit jener Überzeugung, mit der ich an jedem einzelnen Tag die weiß-rote Fahne nach oben strecke.
Mein tiefster Dank geht an Jens Ottmann und Werner Schmidtke für die emotionalen Momente im Neckarstadion und dieser wunderbaren Möglichkeit, meine Geschichte zu erzählen; an meinen Freund Felix, der seit jeher meine größte Rückendeckung war und an meinen besten Freund, ohne den diese Doku mit einem anderen VfB-Fan gedreht worden wäre.
33 Jahre, gebürtig aus Leipzig, seit 2010 wohnhaft in Stuttgart – Bad Cannstatt. Dauerkartenbesitzerin, Mitglied, ehemalige (Fast-)Allesfahrerin und Fotografin für vfb-bilder.de. Aus Liebe zum VfB Stuttgart berichte ich hier von meinen Erlebnissen – im Stadion und Abseits davon.
Mehr über mich
Neueste Kommentare