Es hätte so wunderbar einfach und unkompliziert sein können. Die Idealvorstellung eines weiteren perfekten Fußballwochenendes rumorte tagelang in meinem Kopf. Mit einem Sieg des VfB in Hannover würde es beginnen, gefolgt von einer Niederlage der Hamburger sowie keinem Sieg von Nürnberg und Braunschweig. Wir hätten schon durch sein können. Und die Tatsache, dass man es hat liegen lassen, schürte am Freitag und Samstag unheimlichen Frust, zumindest bei mir. Dass ich damit offenbar alleine dastand und keiner außer mir derartige Sorgen zu haben scheint, finde ich eigenartig.

Wie kann man nur leichtfertig davon ausgehen, dass uns die \” nach dem Spielende \” fünf Punkte Vorsprung auf den Relegationsplatz ausreichen, bei zwei ausstehenden Partien, in denen auch nochmal sechs Punkte zu vergeben sind? Wo soll ich meinen Optimismus herholen, es würde schon “irgendwie reichen”, weil alle anderen schließlich zu schwach und/oder zu blöd sind, um die Punkte zu sammeln? Nein, ich habe zu viel erlebt, diese Saison hat Spuren hinterlassen. Es wäre fatal, sich in Sicherheit zu wiegen.

Es hatte sich bereits angedeutet, dass das Restprogramm der letzten beiden Spieltage durchaus haarig werden dürfte. Mit der vermeintlich schlechtesten Verfassung startete der VfB in den Saison-Endspurt und musste sich insbesondere vor Gladbach, Dortmund, Schalke, Wolfsburg und Bayern in Acht nehmen. Dass es nicht immer schlecht sein muss, gegen jene zu spielen, die im oberen Tabellendrittel stehen, zeigte der euphorische, am Ende aber auch zittriger Sieg gegen die Schalker am vergangenen Wochenende.

Schlimmstenfalls die Relegation

Nun ist der 32. Spieltag vorüber, und somit auch der letzte Spieltag, an dem die Partien nicht zeitgleich stattfinden. Was in meinen Augen wenig erfreulich am Freitag Abend in Niedersachsen ernüchternde Gewissheit war, verlief dann am Samstag zu Felix’ Geburtstag schon wesentlich hoffnungsvoller. Nürnberg verlor in Mainz, Braunschweig verlor in Berlin \” zwei Gegner, die bei einer sicheren Klassenerhaltssituation für den VfB lediglich nicht hätten gewinnen dürfen. Banges Warten auf das Spiel der Hamburger, deren eines Tor in Augsburg nicht reichte, der HSV verlor ebenfalls.

Der direkte Abstieg ist somit abgewendet, das Schlimmste, was uns nun passieren kann, wäre die Relegation \” aber dafür hat im Ländle wohl keiner ernsthafte Ambitionen, zumal man den direkten Klassenerhalt selbst in der Hand hat. Mit nur einem Punkt in Hannover sind wir rein rechnerisch noch nicht durch, sei die Wahrscheinlichkeit, die Konkurrenz erwischt vollends zwei Sahnespieltage, verschwindend gering. Doch sie ist trotz allem da.

Nehmen wir einmal den Rechenschieber zur Hand. Ein Punkt gegen Wolfsburg würde uns in jedem Fall reichen. Punkten wir in beiden Spielen nicht, müssten die Hamburger beide ausstehenden Spiele gewinnen. Angesichts des Restprogrammes scheint dies für die Hanseaten jedoch eine nahezu unlösbare Aufgabe zu sein. Umso trauriger stimmt es mich, dass uns eben jene Konstellation der Konkurrenz und bei einem eigenen Sieg schon heute hätte retten können. Das alles wussten wir noch nicht, als wir aufgebrochen waren.

Es könnte schon vorbei sein

Trotz aller Sorgen, trotz aller Vorsicht, machten Felix, Gerd, Ingrid und ich uns auf den Weg. Mit dem Wissen, dass schon an diesem Wochenende alles vorbei sein könnte, vor einigen Wochen noch eher im negativen Sinne. Sie schüttelten sich noch rechtzeitig und die Wahrscheinlichkeit ist durchaus gegeben, dass es wir ersehnt und erhofft am letzten Spieltag in München tatsächlich um nichts mehr geht. Ein entspannter Tag, beginnend im Biergarten, und endend im Biergarten.

Frei von jeglichen Anfeindungen, möchte ich mich so gerne zurücklehnen, in Ruhe ein Bier trinken und einen Seufzer ausstoßen: Geschafft. Noch sind es aber zwei nervenaufreibende Wochen hin. Diese Saison verlangt uns Alles ab und saugt alle Kraft aus uns heraus, sowohl körperlich als auch nervlich. Es ist noch nicht geschafft. Obwohl es nichts als Kummer bringt, über die vergebenen Möglichkeiten nachzudenken, so hadere ich noch immer. Wenn dieses eine Gegentor nicht gefallen wäre. Oder dieses. Oder jenes.

Für das Spiel am Freitagabend musste ich mir natürlich Urlaub nehmen. Für die Woche darauf hatte ich schon Mitte Dezember ein paar freie Tage blockiert. Als vor einigen Monaten die Gewissheit, es könnte eng werden im Abstiegskampf, immer größer wurde, sagte ich meinem Chef, ich würde erst einmal eine Woche Urlaub brauchen, wenn der VfB durch ist. In der nächsten Woche habe ich frei. Zufall?

Kulturprogramm in Niedersachsen

Halb sechs klingelte der Wecker. Um Stress beim Zusammenpacken aller Sachen und beim Fertigmachen zu vermeiden, stehe ich für gewöhnlich zwei Stunden vor Aufbruch auf. Das reicht für ein Frühstück, Haare waschen, duschen, anziehen, Zähne putzen, Kameras fertig machen, Laptop vorbereiten und Vesper richten. Mit dem Berufsverkehr brachen wir auf in Richtung Weinstadt-Beutelsbach, dort sollte die vorletzte gemeinsame Auswärtstour der Saison starten.

Die Sonne schien mir ins Gesicht, als wir die ersten Kilometer hinter uns brachten und schließlich noch ein unerwartetes zweites Frühstück beim IKEA in Würzburg einnahmen. Dass wir Felix schließlich auch noch durch die Möbelausstellung schleifen musste, missfiel ihm offenbar sehr. Mittlerweile wurde er zum Experten für alle Abkürzungen und andere Tricks, um möglichst schnell wieder draußen zu sein.

Wer schon einmal vor einem Auswärtsspiel in Hannover die Altstadt besucht hat, wird sich vermutlich kaum prägend erinnern dürfen, auch auf den beliebten Maschsee hatten wir nicht so recht Lust, das touristische Programm wurde schließlich in Hildesheim absolviert, 30 Kilometer südöstlich der niedersächsischen Landeshauptstadt. Nett anzusehen, doch mehr würden mich am Abend natürlich die drei ersehnten Punkte freuen.

\”Getränke rechts, Sauerstoffzelte links!\”

Angekommen in Hannover taten wir das, was der Schwabe am Liebsten tut: Sparen. Während die meisten Parkplätze in Stadionnähe einen geringen Betrag kosteten, führte es uns zu einem kostenlosen schattigen Plätzchen für das Gefährt. Noch ein paar frische Erdbeeren zwischen die Kiemen, bevor wir im Biergarten nahe des Stadions unser Abendessen einnahmen. Eine ruhige und entspannte Atmosphäre zwischen Schatten spendenden Bäumen und alten Holzbänken.

Noch etwas mehr als eine Stunde bis zum Anpfiff. Zeit für uns, loszulaufen. Die Aufregung stieg schnell auf den letzten Metern, die uns noch vom Gästeblock trennten. Als ich das erste Mal mit dem VfB hier war, gab es ein emotionales Hin und Her, nach einer schnellen 0:2-Führung für den VfB, stand es kurz vor Schluss 3:2 für die Hausherren, bevor Thomas Hitzlsperger erneut ausglich. Auswärtsfahrer Gerd hatte ich damals erst kennen gelernt, heute ist man nahezu unzertrennlich.

Eine kurze Kontrolle mit einem zugedrückten Auge der Ordnerin, angesichts meiner geliebten Capri Sonne, noch ein paar Meter die Treppe hoch. Oben angekommen entgegnete mir ein weiterer Ordner lächelnd: \”Getränke rechts, Sauerstoffzelte links!\” Sah ich wirklich so kaputt aus? Dort stand auch schon Kumpel Sandro, der mich freudig begrüßte. Wie das Befinden ist, hatte er mich gefragt. Das werden wir dann sehen, um etwa 22:20 Uhr.

Freudiges Wiedersehen

Schnell füllte sich das Stadion, welches ich im November 2007 erstmals im Rahmen eines EM-Qualifikationsspiels gegen Zypern besucht hatte. Viel hat sich getan in meinem Leben seit jenem schicksalhaften Jahr nach der Weltmeisterschaft in Deutschland. Ich schaute mich um und erkannte die selben Leute wieder, denen man fast überall immer wieder über den Weg läuft. Du kannst so weit von daheim entfernt sein wie du willst, ein Stück Heimat ist überall mit dabei.

Im Block S17 machte ich es mir schließlich gemütlich und erhielt recht schnell eine amüsante Nachricht via WhatsApp. Es war mein alter Kumpel Nico aus Wurzen (nahe Leipzig), der mir Grüße aus Block S17 schickte, etwa in der Mitte, nah am Gang. Verwirrt drehte ich mich um. Hatte er mich gesehen? Wie ein Erdmännchen schaute ich mich um, fand ihn aber nicht. Nach einigen Minuten des Suchens: da isser! Kaum zwei Meter oberhalb der Stelle, an der ich gestanden hatte.

Es ist eine Weile her, dass man sich das letzte Mal sah, umso mehr freute es mich. Ich kann mich noch gut an die Zeit erinnern, als ich von Leipzig aus zu den Auswärtsspielen angereist war, gut 200 Kilometer sind es jeweils bis nach Hannover, Wolfsburg und Berlin, die drei Must-Have-Spiele mit der kürzesten Anfahrt. Wir möchten gerne darauf verzichten, dass es eines Tages ein \”Heimspiel\” im schönen Leipzig gibt. Vermeiden lässt es sich nicht, dass zahlreiche Freunde und Bekannte zu den roten Bullen übergelaufen sind, es ist die Sehnsucht, die sie getrieben hat.

Heimspiel in Hannover

Endlich war es soweit. Einen kurzen Moment ging ich in mich, starrte wortlos aufs Spielfeld hinaus und hielt inne. Was wäre, wenn.. der VfB heute gewinnt… und die Konkurrenz noch einmal für uns spielt wie am vergangenen Wochenende? Was wäre, wenn… es am Sonntag schon vorbei wäre. Was wäre, wenn… all das Bangen und all der Kummer der letzten vier Monate endlich ein Ende haben würden? Spätestens am Sonntag sind wir ein kleines bisschen klüger.

Der Unparteiische Wolfgang Stark führte die Mannschaften aufs Feld, in der Heimkurve hielten die 96er Schals in die Luft. Doch von Fahnen oder Doppelhaltern war nichts zu sehen. Der Verdacht bestätigte sich ziemlich schnell, die Heimfans verzichteten auf jeglichen Support. Der Stachel saß noch tief seit dem verlorenen Derby in Braunschweig vor wenigen Wochen. Dann machen wir eben die Stimmung, ist doch klar!

2.500 Stuttgarter waren angereist, davon einige aus dem nord- und ostdeutschen Umland, so auch Nico, neben dem ich das Spiel verfolgte. Vollgas vom ersten Moment an, bunt und laut verschafften wir uns Gehör unter den 49.000 Zuschauern im ausverkauften Niedersachsenstadion. Als ich mir das Spiel am Sonntag Mittag noch einmal angeschaut hatte, war es schon ein wenig befremdlich, dass man eine ähnliche Lautstärke erreichte, wie es normalerweise der Heimmannschaft geschuldet ist.

Zu früh gefreut

Die Partie begann zäh, einen ersten \”Hallo-Wach-Effekt\” gab es, als nach einem strammen Schuss von Daniel Didavi das Netz zappelte. War dann doch nur das Außennetz. Sie entwickelten mehr und mehr Druck und ließen uns wirklich in dem Glauben, dass sie Hannover nicht unterschätzen und ihnen früh ihr Spiel aufzwingen wollen. Wohlwollend beobachtet vom Gästeblock im Oberrang, eingeheizt von mehreren Vorschreiern, die durchaus zu überzeugen wussten.

Etwas mehr als eine Viertelstunde war gespielt, da brandete auf einmal Jubel in unseren Reihen auf. Freudig umarmte ich Nico und wähnte mich in dem schönen Gefühl, das erhoffte Spielergebnis würde nun langsam Formen annehmen. Binnen weniger Sekunden flaute die Freude jedoch schnell ab \” Abseits! Das Tor zählte nicht. Leider zu Recht, mehrere VfB-Spieler standen hier im Abseits. Doch es war ja noch Zeit, die Partie zu entscheiden. Jedenfalls glaubten wir das noch.

Verdammt, ist das warm hier! Den ganzen Tag über war ich kurzärmlig mit einem lila Oberteil mit aufgedruckten rosafarbenen Kussabdrücken unterwegs, an meinem Bauchtäschle hatte ich kurz vor dem Betreten des Stadions mein rotes \”Kampf bis zum Schluss\”-Shirt befestigt, um es schnell überziehen zu können. Ich konnte es nicht, mir war viel zu warm. Die Sonne war schon längst untergegangen an diesem Freitagabend im April, zu Tode schwitzen wollte ich mich schließlich auch nicht.

Die Null muss stehen

Konzentriert lauschte ich der lautstarken Unterstützung der 2.500 Unentwegten, Gegenwind von der Heimseite gab es ja schließlich nicht. Wirklich ein starker Auswärtsauftritt mit reger Beteiligung der Weiß-Roten. In den letzten Wochen ist man zusammengewachsen, in einer Zeit, als man sich dem Untergang schon nahe wähnte und jegliche Hoffnung auf ein erträgliches Saisonende fast schon verloren war. Die Fanszene des VfB glaubt wieder, an die Mannschaft und auch an sich selbst, der Klassenerhalt hat höchste Priorität.

So geschlossen der Auftritt des Gästeblocks zwar war, das Spiel selbst konnte uns aktuell noch nicht wirklich entzücken. Was man jedoch ohne jeden Zweifel nach sechs Wochen unter Huub Stevens urteilen muss: die Abwehr hat sich stabilisiert, \”die Null muss stehen\” war stets das Credo des knorrigen Niederländers. Und es bewahrheitete sich zunehmend, war man zuvor doch sehr anfällig gegen auch nur jede kleine Offensivbewegung des Gegners.

Es schien beim VfB mittlerweile angekommen zu sein, dass man sich besonders vor Didier Ya Konans Durchschlagskraft und vor Christian Panders ruhenden Bällen in Acht nehmen muss. Hannover wurde stärker und erkämpfte sich mehr Ballbesitz, was ich mit Argwohn beobachten musste. Prompt verletzte sich Didier Ya Konan und musste ausgewechselt werden. Zwar sollte man keinem Gegenspieler etwas Böses wünschen, doch kam uns das jetzt nicht unbedingt ungelegen. Ein Problem weniger.

Der Pfiff blieb aus

Nicht mehr lang bis zur Pause. Daniel Didavi war unterwegs in Richtung Ron-Robert Zieler auf der gegenüberliegenden Seite des Spielfelds, Marcelo war bei ihm. Die Grenze zum Strafraum hatte unsere Nummer Zehn bereits überschritten, als der Hannoveraner ihn mit einem heftigen Rempler zu Fall brachte. Empörung im Gästeblock, das Warten auf einen Pfiff und einen Fingerzeig von Wolfgang Stark blieb unbeantwortet. Es gab Gesprächsbedarf zwischen den beiden, mitten hinein platzte der Unparteiische. Es gab Gelb, sowohl für den einen als auch den anderen.

Mitnichten kann man das wohl offenbar als \”Pech\” bezeichnen. Dem nicht gegebenen Elfmeter hinterherzutrauern, machte zwar wenig Sinn, erhitzte die Gemüter aber selbstverständlich trotzdem. So endete die erste Halbzeit einer durchaus schwachen Partie, die aber Hoffnung auf mehr machte. Mit dem Pausenpfiff ging ich kurz in die Knie, hob meine Capri Sonne auf, die ich auf dem Boden \”geparkt\” hatte und schaute mich um.

Das eine oder andere Tor wollen wir hier heute noch feiern. Dann aber ohne Abseits. Wie unheimlich wichtig es doch wäre, heute einen weiteren Grundstein zu legen für ein versöhnliches Saisonende, welches dem leidgeplagten VfB-Fan nicht schnell genug kommen kann. Das Spiel war bereits wieder angepfiffen worden, mehr und mehr verdichtete sich der Verdacht, das Spiel würde zur Abwehrschlacht werden. Keiner wollte einen Fehler machen. Und offenbar wollte auch keiner so richtig Tore machen.

Die sichere Führung vergeben

Das hätte es doch sein müssen! Nach 52 Minuten vergab Cacau nach einem tollen Zuspiel von Daniel Didavi das wohlmöglich richtungsweisende 0:1. Das ist doch zum Haareraufen mit den vielen vergebenen Möglichkeiten! Hätte auch man nur ein Drittel der Gelegenheiten, die sich dem VfB geboten hatten, auch ausgenutzt, wäre der Klassenerhalt schon seit Wochen kein besorgniserregendes Thema gewesen.

Weiter schrien wir sie nach vorne. Hören würden sie uns ganz bestimmt, denn auch im zweiten Durchgang blieb es dabei: kein Mucks war zu hören von den Gastgebern in der Nordkurve. Trotzdem blieb das Spielniveau äußerst überschaubar. Beide wollten den Sieg, aber wollte keiner von beiden den ersten Fehler machen. Auf Sicherheit bedacht, so schien die Ansage beider Trainer zu sein.

Ein Feuerwerk fackelten beide Mannschaften nicht gerade ab. Ganz im Gegensatz zum benachbarten Schützenplatz, wo dieser Tage das Frühlingsfest stattfindet und die Zuschauer mitunter mehr verzückte als die erste Partie des 32. Spieltags. Uns konnte egal sein, wie unterdurchschnittlich das Spiel war, solange wir am Ende die Punkte mitnehmen und uns weiterhin ein gutes Polster auf die abgeschlagenen Drei verschaffen.

Ein Sturz mit Folgen

Lange ließ er sich Zeit mit dem ersten Wechsel, beobachtete akribisch und schickte erst spät die Ersatzspieler zum Aufwärmen. Schließlich winkte man den Jüngsten herbei, Timo Werner kam nach 67 Minuten für Cacau. Etwas frischer Wind kann ja nicht schaden. Immer wieder schossen hinter der Nordkurve die Raketen hoch und explodierten in unterschiedlichsten Formen und Farben, nett anzusehen, wie die zahlreichen gezückten Kameras und Handys zeigten. Weiterhin warteten wir auf das eine Tor, das uns zum Klassenerhalt verhelfen könnte.

Gut eine Viertelstunde noch. Jene Zeit, die für uns so oft die gefährlichste war. Vor unseren Augen direkt vor dem Gästeblock lieferte sich Martin Harnik einen Luftzweikampf mit Marcelo, der Ende der ersten Halbzeit Daniel Didavi elfmeterwürdig abgeräumt hatte. Der Österreicher blieb liegen, länger als einem lieb sein konnte. Christian Gentner kam herbei gelaufen, umarmte ihn innig. Was zum Geier macht er da?

Plötzlicher Anfall von Romantik, mitten im Abstiegskampf? Erst, als Heiko Striegel und Gerhard Wörn auf das Feld eilten, war klar, dass es etwas Schlimmeres gewesen sein muss. Sie geleiteten ihn zum Spielfeldrand, seine linker Arm hing schlaff herunter, die Körperhaltung nach links geneigt. Das sah gar nicht gut aus. Minutenlang behandelten sie ihn, bis schließlich klar war, dass es für ihn nicht weiter geht.

Hoffen auf ein spätes Tor

Nach einer Ewigkeit kamen die Sanitäter mit einer Trage, er lehnte ab und lief, besungen vom Gästeblock, ums Feld herum und in die Kabine. Diagnose: Schulter ausgekugelt. Für ihn kam Vedad Ibisevic, der nachwievor der Mannschaft und den Fans einiges schuldig ist nach Wochen der Sperre und weiteren Wochen der Lustlosigkeit. Macht er hier das entscheidende Tor kurz vor Schluss, sei ihm durchaus verziehen.

Hoffentlich fällt der Österreicher, der sein Formtief nach langer Zeit endlich überwunden hat, nicht länger aus. Da auf den Bosnier gar kein Verlass ist, brauchen wir besonders Jene, die in schweren Zeiten bereit sind, ihren Kopf für den Verein hinzuhalten. Martin Harnik ist so einer, der sich der Verantwortung im Abstiegskampf bewusst ist. Was ist Vedad Ibisevic bereit, für die Mannschaft zu leisten? Man durfte gespannt sein, gut zehn Minuten hatte er dafür noch Zeit.

Eine weitere frische Kraft kam dann noch sieben Minuten vor dem Ende, Nico kommentierte die Einwechslung von Alexandru Maxim mit einem wissenden Lächeln und der Aussage \”Da kommt er, der Siegtorschütze\”. Viel Zeit blieb uns nicht mehr, um den Ball noch irgendwie über die Linie zu bekommen. Ob es der vorangekündigte Siegtorschütze ist oder sonstwer. Ein 0:0 wäre zu wenig und in den letzten verbleibenden Minuten obendrein auch noch viel zu gefährlich.

Weder Fleisch noch Fisch

Immer weiter, niemals aufgeben, immer lauter schrien wir, bangten wir, hofften wir. Doch waren es am Ende fast die Hausherren, die sich drei Punkte geholt hätte. Ein Glück, dass Sven Ulreich gerade noch den Fuß ausfahren konnte, sonst wäre der Schuss von Lars Stindl drin und der eine Punkt weg gewesen. Viel mehr Sehenswertes war am Ende der Partie auch nicht mehr drin, trotz zwei Minuten Nachspielzeit.

Dem Schlusspfiff folgten sehr schnell die Pfiffe des Hannoveraner Publikums. Die Ausgangslage war für beide ähnlich gewesen: wäre Hannover rechnerisch mit einem Sieg durch gewesen, hätte bei einem Sieg für den VfB nur noch die Konkurrenz mitspielen müssen. Hätte, wäre, wenn, jede Woche die gleichen Rechnereien mit der Tabelle.

So richtig glücklich war keiner damit. Somit war keiner von beiden Mannschaften schon durch, für Hannover dürfte es allerdings nicht mehr gefährlich werden. Was uns betrifft, so würden die Ergebnisse der Konkurrenz vorentscheidend sein. Am Samstag Nachmittag machten Nürnberg und Braunschweig den Anfang und ließen Punkte, Hamburg zog am Sonntag Nachmittag nach und verlor ebenfalls.

Leichter Anflug von Unzufriedenheit

Obwohl uns der eine Punkt sehr viel weniger ist, als wir uns am Anfang des Tages erhofft hatten, so war der Mannschaft trotz allem wohlwollender Applaus sicher. Gegen Wolfsburg muss gepunktet werden, soviel ist sicher. Der Block leerte sich, vor dem Stadion warteten schließlich schon die zahlreichen Busse, die die Auswärtsfahrer wohlbehalten wieder ins Ländle zurückbringen sollten. Auch Nico verabschiedete sich, der wenige Stunden später seine Spätschicht antreten sollte. Was tut man nicht alles aus Liebe zum VfB.

Langsam brachen auch wir auf, es war stockfinster, als wir an den Bussen vorbei zum Parkplatz liefen. Es hatte merklich abgekühlt, sehr angenehm nach dem warmen Dunst im Gästeblock. Kurz verschnaufen, dann ging es los mit der Bildbearbeitung am Laptop. Viel gutes Material würde heute wohl eher nicht dabei sein, die Lichtverhältnisse im Oberrang, wenige Meter unterm Dach sind dann doch sehr begrenzt gewesen, ich sollte Recht behalten.

Immer wieder fielen mir kurz die Augen zu, ich war körperlich am Ende. Die letzten Bilder noch aufbereitet und erkennbare Gesichter zensiert, das vfb-bilder.de-Wasserzeichen draufgesetzt und… Moment, wo ist mein Surfstick? Ohje, eine Sitzreihe weiter vorne, neben Mitfahrer Christian aus dem Fanclub, der sich für die Rückreise die Ehre gab. Er schlief tief und fest, aufwecken wollte ich ihn nicht, also klappte ich den Rechner zu und schlief. Wie die meisten anderen VfBler, die in Hannover mit dabei waren, auch – \”Wo bleiben die Bilder?\” sollte es also nicht allzu schnell geben.

Nur noch ein einziger Punkt

Die Pause, die wir auf dem Weg gemacht hatten, und den Zwischenstopp, um Mitfahrer Christian daheim abzusetzen, bekam ich gar nicht so richtig mit. Welch völlig abnormale Position ich auf den letzten Kilometern auf der Rückbank eingenommen hatte, hätte ich zu gern mit eigenen Augen gesehen. Quer über drei Sitze, auf dem Rücken liegend, lediglich am Bauch angeschnallt und mit dem Kreuz auf einer Kante unter dem Fenster. Bequem geht irgendwie anders. Halb sechs waren wir dann wieder daheim.

Ein kleiner Blick aufs Restprogramm: Am 33. Spieltag empfangen wir daheim die Wolfsburger, während Braunschweig gegen die Hertha ran muss, Nürnberg hat die Hannoveraner zu Gast und die Hamburger sehen sich dem FC Bayern ausgeliefert. Der 34. Spieltag dürfte punktetechnisch für uns nicht mehr zählbar sein, es geht zum Saisonfinale nach München, wir sollten dann schon durch sein. Die Braunschweiger müssen nach Hoffenheim, die Nürnberger zu ihren Freunden nach Gelsenkirchen und die Hamburger wollen in Mainz die allerallerallerletzte Chance ergreifen.

Am heutigen Sonntag dürfte die Freude unter den VfBlern groß sein, nachdem ein weiterer (fast) perfekter Spieltag die gesamte Konkurrenz verlieren ließ. Rechnerisch fehlt uns nur noch ein einziges Pünktchen, doch die Wahrscheinlichkeit, dass der HSV die Spiele gegen Bayern und Mainz gewinnt, ist gering. Der Blick auf die Tabelle beruhigt somit noch ein weiteres Mal. Und nächste Woche: Kämpfen, Grätschen, Alles geben, Punkt(e) holen und dann: die Krüge hoch!

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