Ich hatte es kommen sehen. Sie hatten um das Gegentor teilweise gebettelt. Es wundert mich nicht, dass es früher oder später fallen musste. Was am Ende wieder übrig bleibt: Der Frust über den Zeitpunkt, als es gefallen war. Wieder einmal in der Schlussphase. Wieder einmal hergeschenkt. Wieder einmal wichtige Punkte liegen lassen. Direkt nach dem Abpfiff war zumindest die Erleichterung da, dass man sich kein zweites einfing. Lieber ein Punkt als gar keine. Doch lieber drei als einer \” es waren doch nur noch zwei Minuten.

Wenn es am Ende aber trotzdem nicht reicht, werden wir uns wehmütig zurück denken und uns fragen, wie es hätte laufen können, oder sogar müssen. So viele Punkte, die man nach einer Führung aus der Hand gab, ganz zu schweigen von den liegen gelassenen Zählern in den letzten zehn Minuten, die Sorgen um den VfB reißen einfach nicht ab. Woche für Woche zittern wir, hoffen wir und verzweifeln wir.

Wie unheimlich gut da der Heimsieg gegen Freiburg tat. Trotz größten Drucks hielt man Stand und kassierte kein Gegentor, der VfB traf sogar ein zweites Mal. Der Fluch schien gebrochen. Es sind nicht zwangsläufig die vielen Gegentore, die man (meist spät) kassiert, vieles scheiterte einzig und allein auf der anderen Seite: an der Chancenverwertung. “Wer das Tor vorne nicht macht…” – kaum ein anderer Verein weiß das besser als wir Stuttgarter.

Wieviele Chancen braucht ihr denn noch?

Alle Kraft, die ich habe, alles saugt der Abstiegskampf in dieser Höllensaison aus mir heraus. Und während alles andere unfreiwillig und notgedrungen liegen bleiben muss, stelle ich mir ein weiteres Mal die Frage: sind all diese Mühen und das Leiden es wirklich wert? Bei jedem Spiel sind wir dabei, stecken unheimlich viel Geld herein, opfern unsere Freizeit und unsere Urlaubstage, schreien uns die Seele aus dem Leib, nur, um uns am Ende wieder zu fragen: Das kann doch nicht schon alles gewesen sein, oder?

Ich war wirklich gewillt, den einen Punkt in Gladbach für das anzunehmen was er war: nämlich immernoch besser als eine Niederlage. Die Konkurrenz spielte für uns und alle Mannschaften hinter uns verloren. Natürlich hätte man sich mit einem Sieg weiter absetzen können. Die meisten wären im Vorfeld der Partie mit einem Remis zufrieden gegeben. Fragt man die VfB-Fans nach der Partie, herrscht ebenso Einigkeit: \”Nicht so\”. Die eigene Nachlässigkeit und Schlafmützigkeit, gepaart mit dem Liegenlassen der größten Chancen, so kannst du keine Spiele gewinnen.

Vier Spiele sind es nun noch, davon lediglich drei, in denen mit viel Kampf und Leidenschaft der eine oder andere Punkt noch drin ist. Wo sollen die Punkte denn herkommen, wenn es die Mannschaft immer wieder schafft, sich das, was sie sich vorne mutig aufgebaut haben, es sich mit dem eigenen Hinterteil wieder einreißen. Ich bin ratlos. Ich weiß nicht, was der Mannschaft helfen kann. Die Uhr tickt, bald ist es vorbei, für die Einsicht, etwas tun zu müssen, ist es dann zu spät.

Entspanntes Touri-Programm in Holland

\”Lach doch mal!\” sagte Felix und stubste mich gegen die Schulter. Die Anspannung begleitet mich auf all meinen Wegen, auch zum touristischen Programm im Vorfeld des Auswärtsspiels. Früh am Morgen begann die Reise, völlig übermüdet nach einer viel zu kurzen Nacht, setzte sich die Fahrgemeinschaft ein weiteres Mal in Weinstadt-Beutelsbach in Bewegung. Das Ziel: Mönchengladbach. Aber erst einmal sollte es nach Holland gehen. In Roermond, kurz hinter der deutsch-niederländischen Grenze nahe Gladbach verlebten wir eine entspannten Tag.

Doch spätestens, als wir zurück nach Deutschland fuhren und auf dem Parkplatz vor dem Stadion parkten, war sie endgültig da, die Panik und die Angst, dass es auch heute nicht reichen würde. Viele waren dem Aufruf gefolgt, in rotem Trikot oder Shirt anzureisen, was für ein tolles Bild es doch geben würde, wenn der ganze Gästeblock in Rot erstrahlt. Einen wichtigen Schritt in Richtung Klassenerhalt machen, das wäre so unheimlich schön.

Es war eine entspannte Atmosphäre vor dem Stadion, ungeachtet der nicht gerade einfachen Wegeführung. Wer auf dem normalen Parkplatz parkt, kommt zwangsläufig an den Gladbacher Fans an der Nordkurve vorbei. Alles blieb ruhig, keinerlei Pöbeleien waren zu vernehmen, als wir um den Borussia-Park herum liefen zum Gästeblock. Dort trennten sich die Wege unserer Fahrgemeinschaft, Felix und ich machten uns gleich auf zur Eingangskontrolle.

Erinnerungen ans letzte Mal

Ein steter Wechsel zwischen heißer Sonne und kühlem Wind prägte diesen Fußballnachmittag. Dem Wind entgingen wir im Stadion, also Jacken aus und voller Stolz das rote Shirt präsentieren. Ein toller Anblick, der sich uns bot, einheitlich rot, mit nur ganz wenigen Ausnahmen. An den Eingängen wurden kleine Flugblätter verteilt, \”Heute Choreo!\” war darauf zu lesen. Sei unsere Profi-Mannschaft auch manchmal der ersten Liga nicht würdig, die Fanszene ist es auf jedem Fall.

Gladbach wird für mich immer Ursprung eines Ohrwurms sein. Die Erinnerungen waren noch da, an letzte Saison, als Roel Brouwers mit einem Eigentor für unseren Auswärtssieg sorgte und wir prompt die Tormelodie der Gladbacher auf die Schippe genommen hatten \” was ein lustiges, amüsantes und prägendes Erlebnis. Das \”Deb Dab Deb Dadadadadab\” ging mir wochenlang nicht aus dem Kopf. Nach einer mehr als mäßigen Hinrunde tat es damals richtig gut.

Mit dem Unterschied, dass das Duell zuletzt weit weniger Brisanz hatte. Es war erst der zwölfte Spieltag, genug Zeit, um das Ruder noch umzureißen. Wir warteten lange, wir warteten vergebens. Am Ende landete der VfB auf Platz 13, ließ die missglückte Bundesligasaison aber mit dem Einzug ins DFB-Pokalfinale vergessen machen. Für Gladbach würde es nun im Kalenderjahr 2014 um den Einzug ins internationale Geschäft gehen \” für uns ums nackte Überleben im Oberhaus.

Mit 4.000 Roten am Niederrhein

Stand man sich im Jahre 2011 noch mit weichen Knien im tiefen Sumpf des Tabellenkellers gegenüber, so gelang es der Borussia, die richtigen Schlüsse aus dem Abstiegskampf mitzunehmen. Sie trafen Entscheidungen, deren Früchte sie nun ernten. Der VfB widerrum muss mit den bitteren Konsequenzen leben, durch gewisse Fehlentscheidungen, die damals getroffen worden. Bitter, das tatenlos mit ansehen zu müssen, dass es mit den zur Verfügung stehenden Mitteln auch einen ganz anderen Verlauf hätte nehmen können.

Innerlich verbittert verabschiede ich mich leise von tollen Jahren des Europapokals. Doch lähmt mich die Angst vor einem Abstieg mit jedem Tag mehr. Immer dann, wenn man sich denkt \”Endlich haben sies begriffen!\”, so folgt im nächsten Spiel ein weiterer Schlag in die Magengrube. Wir sehr das alles an unseren strapazierten Nerven nagt, muss ich mit Sicherheit nicht gesondert erwähnen. Ob ich die einzige bin, für die ein Abstieg nichts ins bekannte Weltbild passen will, würde mich dennoch interessieren.

Die Minuten bis zum Anpfiff vergingen, die Stimmung war gut. Ein ordentlicher Auswärtsmob hatte sich auf den Weg gemacht, 4.000 Stuttgarter im 400 Kilometer entfernten Mönchengladbach. Während die weiß-roten Fahnen verteilt und die Mundlöcher des Gästeblocks sorgfältig abgeklebt wurden, versuchte ich mich in Ablenkung und schwätzte unter anderem mit Sandro, der auch hier wieder mit dabei war. Ein weiterer Versuch, eine neue Serie zu starten, auf die wir seit November vergeblich warten.

Packen wirs an!

Es war soweit, der Gästeblock erstrahlte mit hunderten Brustringfahnen, dazu die nahezu einheitliche rote Färbung der Oberbekleidung, und das wichtigste Motto der letzten und auch nächsten Tage prangte schließlich am Oberrang: Kampf bis zum Schluss. Ein tolles Bild, was wir hier abgegeben hatten. Wie so oft in dieser Saison, als der Anhang des VfB mit tollen Choreographien und tollen Auswärtsauftritten auf sich aufmerksam machte.

Mit Hoffnung, aber auch mit Sorge blickte ich durch die vielen Brustringfahnen hindurch aufs Spielfeld. \”Nur noch 90 Minuten überstehen!\” sagte ein Bekannter neben mir und Sandro, ein weiterer Beweis für das angekratzte Nervenkostüm des VfB-Anhangs. Sie begannen mutig und engagiert, gut zu wissen, dass sie die Partie beim rechten Schopfe packen. Gladbach ist natürlich in dieser Saison ein anderes Kaliber als die ebenfalls abstiegsbedrohten Freiburger am vergangenen Wochenende.

Wenn wir nicht wüssten, was bereits schon hinter uns liegt, würde alleine der Blick auf die Statistik genügend Zuversicht geben: Gladbach liegt uns, sowohl daheim als auch auswärts. Dann aber denkst du sofort an all die Spieltage, an denen du alleine schon in dieser Spielzeit mit breiter Brust das Stadion betreten hast, mit hängendem Kopf wieder heraus getrottet bist und dich gefragt hast, wie das denn nur passieren konnte.

Mit Schall und Rauch zur frühen Führung

Sie soll endlich vorbei sein, diese verdammte Spielzeit, die uns allen den letzten Nerv raubt. Einzige Voraussetzung: der VfB möchte dann bitte über dem Strich stehen. Bisher sah es ganz gut aus, was der VfB hier darbot. Freude und Optimismus wollten sich dennoch nicht in ihrer überschwänglichsten Form zeigen, freuen können und sollten wir uns erst dann, wenn das Spiel nach 90 plus X Minuten tatsächlich zu Ende ist. Vorher ist nichts, aber auch wirklich gar nichts sicher, was so schön drapiert auf dem glänzenden Silbertablett vor uns steht.

Während die meisten Gladbacher auf den Tribünen sich noch beschwerten, dass es keinen Elfmeter gab, als Raffael im Strafraum zu Fall kam, leuchtete der Gästeblock bereits orange-rot auf. Eine kleine Pyro-Aktion an diesem 30. Spieltag. Ein paar Bengalos, ein bisschen Rauch, nichts schlimmes, schön anzusehen. Gerade hatte sich der Qualm gelegt, da erregte ein Spielzug unserer Mannschaft plötzliches Aufsehen. Huch! Auf einmal jubelten alle. Das 0:1 für den VfB.

Wer hats gemacht? Völlig egal, dachte man sich in dem Moment. Es war die Flanke auf Timo Werner, die zunächst verunglückt schien, aber derart unvorteilhaft aus Gladbacher Sicht zurück in den Strafraum kam, wo unser neu erstarkter Daniel Didavi bereit stand und Marc-André ter Stegen keinerlei Chance ließ. Erleichterung und Jubel, grenzenlose Begeisterung bei den Mitgereisten.

Die frühen Freuden des Stuttgarter Anhangs

Sie machten das richtig, richtig gut \” man konnte seinen Augen kaum glauben. Die Furcht war groß, von den derzeit starken Gladbachern erwartet in die Schranken gewiesen zu werden, mit Glück ein Remis, ein kleines Wunder würde es brauchen, um hier drei Punkte mitzunehmen. Ein kurzer Blick zur Anzeigetafel reichte mir, ein jedes Mal, wenn ich mir für einen Moment nicht sicher war, ob ich das hier tatsächlich erlebe. Da stand die Null, dahinter stand die Eins. Gut so, Jungs, jetzt weitermachen!

Es war einer der besten Auswärtsauftritte der letzten Monate. Geschlossen, laut und aufopferungsvoll, von der ersten Reihe des Stehblocks bis hoch zum Oberrang. Kein Schimpfen, kein Bruddeln, einfach nur singen, klatschen, hüpfen, einfach alles geben bis zum (möglicherweise bitteren) Ende. Solange es rechnerisch noch möglich ist, werden wir kämpfen. Und wenn es uns den letzten Nerv kostet.

Wie schwer es dennoch ist, sich nach all den niederschmetternden Erlebnissen dieser Spielzeit wieder aufzuraffen, für etwas, was einem so unheimlich viel bedeutet und einem mitunter so wenig zurück gibt, zeigt sich in diesen schweren Monaten. Stets zwischen der Hoffnung, es ginge nun aufwärts und der bedrückenden Erkenntnis, dass nach schlechten Leistungen der Klassenerhalt in astronomische Weiten entfernt scheint, so suchen wir stets den Halt in unserer Kurve, geben uns einander Hoffnung, stehen zusammen, feiern zusammen und trauern zusammen.

Die nächste Zitterpartie

Die Partie wird nach dem Spiel gegen Freiburg die nächste Zitterpartie. Nach einer guten halben Stunde wurde das Spiel ruppiger, mit Daniel Schwaab, Carlos Gruezo und Timo Werner waren nach 26 Minuten bereits drei Akteuer mit Gelb verwarnt. Ob wir das Spiel noch in voller Mannschaftsstärke erleben dürfen oder ob ein kapitaler Bock wie einst gegen Dortmund den Weg zur Niederlage ebnen würde, war die Frage, mit der man sich ebenfalls auseinander setzen musste.

Sie taten, was sie konnten. Sie bissen und schenkten keinen Millimeter her, und wenn es ein Gladbacher doch schaffte, durchzubrechen, so war Ulle da, wo er sein musste. Dass er kurz vor der Pause nicht nach einer Dreifachchance durch Max Kruse, Juan Arango und Patrick Herrmann nicht schon hinter sich greifen musste, war stark gemacht. Da gabs auch einen anerkennenden Batscher von Georg Niedermeier, mit dem er kurz vor dem Zittersieg gegen Hamburg aneinander geraten war.

Macht doch einfach mal etwas aus all den Chancen, die euch gegeben sind! Würde man aus all den Gelegenheiten, die sich dem VfB Woche für Woche bieten, etwas zählbares machen, so wären wir seit Wochen unserer ärgsten Probleme ledig. Ein herausgelaufener Torwart, ein heran eilender Martin Harnik, und dennoch kein zweites Tor. Gut geschossen, aber eben auch gut gehalten. Oh Schmerz, das Herz, wie soll man so etwas nur jede Woche aushalten, ohne daran kaputt zu gehen?

Das Hadern mit der Chancenverwertung

Es fühlte sich gut an, auswärts eine tolle Stimmung zu erzeugen und zu erleben. Waren die letzten Auswärtsspiele in Nürnberg und Bremen auch supporttechnisch keine besondere Augenweide, so freute es einen hier in Gladbach umso mehr. Wir wissen, wie unheimlich wichtig es sein kann, dass die Jungs mitbekommen, dass wir für sie da sind und ihnen beistehen, auch in der schwersten Stunde. Auch die Sitzplätze neben und über dem Gästestehblock beteiligten sich rege, es sollte immer so sein, auch daheim im Neckarstadion, wo von der Haupttribüne oft nur Schimpftiraden und Pfiffe zu vernehmen sind.

Wir könnten schon längst durch sein. Hätte, hätte, Fahrradkette. Ohne jeden Zweifel: auch dieses Ding hätte wie schon der Versuch von Martin Harnik drin sein müssen. Wieder lief Marc-André ter Stegen raus, Timo Werner stand alleine vor ihm. Junge, mach was Gscheits! Sekundenbruchteile liefen nahezu in Zeitlupe vor meinem Auge ab. Komm schon, mach ihn, mach ihn, MACH IHN! Durchstecken, vorbeilegen, rüber auf Daniel Didavi, egal wie, egal wer. Schockstarre auf beiden Seite. Der Gladbacher Keeper blieb Sieger.

Im Nachgang betrachtet hätte der VfB das Spiel hier Minuten vor Ende der offiziellen Spielzeit in der ersten Hälfte die Partie vorentscheiden können, höchst unwahrscheinlich, dass wir uns das noch hätten nehmen lassen. In nahezu jeder Partie gibt es Szenen, die das Spiel hätten zu unseren Gunsten kippen können, Alexandru Maxim gegen Frankfurt, Christian Gentner gegen Braunschweig, und so weiter und so fort.

Verdiente Pausenführung

Wenn man doch nur vorher wüsste, wie entscheidend solche Sekunden sein können. \”Dann macht man die Tore eben anders\” schien lange Zeit das entspannte Ziel der Mannschaft zu sein. Bis sie merkten, dass auch das nicht funktioniert. An Ibrahima Traoré lief das Spiel unterdessen weitgehend vorbei. Wen wundert es auch, steht sein Abgang doch bereits fest, mit ziemlich großer Sicherheit wird er zur Borussia wechseln. Eine Zwickmühle: schießt er den VfB hier zum Klassenerhalt und versaut sich dadurch die Möglichkeit aufs internationale Geschäft?

Mit lautem Applaus verabschiedeten wir die Jungs in die Pause, den hatten sie sich redlich verdient. Ein kleines Lächeln huschte ich über meine Lippen, gefolgt von aufgepusteten Backen. Ohne das zweite Tor wird es wieder Zittern bis zum Ende. Als ob ich es geahnt hätte. Ein Gefühl hatte ich am frühen Morgen beim Aufstehen nicht, im Gegensatz zur Niederlage im Heimspiel, die ich schon genau so und auch in der Höhe hatte kommen sehen. Ich lächelte trotzdem, dachte mir \”Scheiß drauf\” – lange dauerte es nicht und daraus wurde \”Scheiße!\”.

Erst einmal verschnaufen, Kräfte sammeln, eine bebende Motivationsansprache in der Kabine und einfach so weitermachen wie in der ersten Halbzeit, einzig und allein das Tor darf der VfB noch ein paar mal treffen, um meinem Puls etwas gutes zu tun. Wir sehr man sich nach jenen langweiligen Spielen sehnt, in denen zu Beginn der zweiten Halbzeit bereits 3:0 steht und man sich keine Sorgen mehr machen muss. Wie unheimlich emotional das 2:0 gegen Dortmund zelebriert wurde, das alles bedeutet nichts, wenn du am Ende die Nerven nicht bei dir hast.

Das Betteln um das Gegentor

Der Ball rollte wieder und der VfB bettelte zu Beginn des zweiten Durchgangs geradezu um das Gegentor, dem beherzten Eingreifen von Sven Ulreich verdankten wir viel in diesem Moment. Auch in der zweiten Hälfte setzte sich der tolle Support des mitgereisten Anhangs unvermindert fort, immer wieder kamen die zahlreichen Brustringfahnen zum Einsatz, manchmal ein wenig zum Leidwesen des einen oder anderen Zuschauers, der vom Spiel nicht mehr viel mitbekam. Ein notwendiges Opfer.

Auch von der anderen Seite des Stadions kam eine sehenswerte Unterstützung daher, viele Fahnen und durchaus akustisch bemerkbar, ein solider Auftritt der Gladbacher Nordkurve. Ich kann nachvollziehen, wie sich die Fans auf der anderen Seite fühlen: es geht um den Europapokal, und dennoch liegt man daheim zurück. Ich wünschte, es wäre umgedreht. Dass wir diejenigen wären, die aus eigener Kraft die vorderen Plätze erreichen könnten und bei ihren Fans nur Hoffnung und Zuversicht schüren statt Angst und Verbitterung.

Wie viel Zeit vergehen wird, bis wir den VfB wieder im europäischen Ausland unterstützen dürfen, wird sich zeigen. Bestenfalls greifen wir nächstes Jahr erneut an. Und schlimmstenfalls wird der Ausflug nach Rijeka für viele Jahre der letzte gewesen sein. Man solle dann einfach zu den Bayern gehen, bekomme ich nicht selten gesagt. Dort sind regelmäßige Erfolge fest einkalkuliert, im Gegensatz zum VfB, der immer wieder Mal ein Schatten seiner selbst ist.

Jetzt bloß nicht nachlassen!

Eine Stunde war gespielt, wie zu erwarten reichte die Puste vom Torschützen Daniel Didavi für mehr nicht aus, mit Ansage wurde er ausgewechselt. Moritz Leitner ersetzte ihn im Mittelfeld, good luck, Mo! Die Zeit verging, die Unruhe stieg. Macht doch endlich mal dieses gottverdammte zweite Tor! Wir könnten schon längst durch sein! Sie standen gut und machten das ordentlich, doch wenn das zweite Tor nicht fällt, flattern am Ende wieder die Nerven, das hätten sowohl Trainer als auch Mannschaft ganz genau wissen müssen. Immer wieder schrien wir sie nach vorne.

Nur noch zwanzig Minuten. Gas geben, Jungs! Timo Werner war platt, die Kraft reichte auch bei ihm nicht, das intensive Spiel kostete unheimlich viel Energie. War man sich jedoch vor der Partie sicher, Huub Stevens würde als frische Kraft den emsigen und schnellen Alexandru Maxim bringen, so sah man sich getäuscht. Für ihn kam Vedad Ibisevic, der erstmals in dieser Saison auf der Bank sitzen musste. Gemischte Gefühle.

Ob ihm dieser Denkzettel gereicht hat, um aus seinem kleinen Loch wieder heraus zu kommen? Auf seine Tore sind wir doch so sehr angewiesen! Ich vernahm einen Hauch von Unruhe im Block, immer wieder sah ich, wie der eine oder andere nervös zur Anzeigetafel schaute. Die ominöse 75. Minute rückte stetig näher, jene schicksalhafte Phase, die unsere Punkte wie ein schwarzes Loch verschluckt, als hätte sie es nie gegeben. Ein fortwährender Alptraum, den wir schon viel zu oft durchleben mussten.

Die große Angst vorm Fluch

Raffael, Max Kruse und Juan Arango \” mit größer werdenden Sorgen blickte ich aufs Spielfeld. Jeder Ballverlust, jede vergebene Gelegenheit, jeder Fehlpass, es trieb mir den Angstschweiß auf die Stirn. Das sie das eine oder andere Mal sträflichst alleine gelassen wurden, trieb einen fast in die Verzweiflung. Da wird es schwer, nicht wieder an den Fingernägeln zu kauen, wie ich es sechs Jahre lang praktiziert hatte \” lange bevor ich mein Herz an den Fußball verlor, der so schön und so grausam sein kann.

Die heißeste Phase der Partie hatte begonnen. So spannend, dass man eigentlich nicht hinsehen will, aber auch nicht wegschauen kann. Jetzt endlich das zweite Tor machen und alles wäre in Butter, das Spiel mit großer Sicherheit gewonnen und der Abstand zum Abgrund noch ein kleines Stück größer. Sie stemmten sich dagegen, wollten um jeden Preis vermeiden, dass es wieder passiert. Die Fohlen rannten an, teilweise verzweifelt, teilweise glücklos, wenn stets ein Bein oder ein Kopf einer unserer Jungs dazwischen war.

Nur noch drei Minuten. Christian Gentner war unterwegs, begleitet von den Hoffnungen der 4.000 Stuttgarter, die dem VfB aus nah und fern gefolgt waren. Ein perfekter Schuss ins Glück, das wäre es jetzt. Zentimeter trennten ihn vom Strafraum, als ihn ein Borusse von den Füßen holte. Freistoß, 18 Meter vor dem Tor. Sandros Bekannter neben mir konnte nicht hinsehen und drehte sich kurzerhand um, mit dem Rücken zum Spielfeld. Nichts wollten wir lieber sehen als das eine Tor, was er nicht mit eigenen Augen gesehen hätte.

Und täglich grüßt das Murmeltier

Moritz Leitner, Vedad Ibisevic und Ibrahima Traoré standen bereit. Irgendwie drauf zimmern, irgendwie versenken, von mir aus mit einem Eigentor, wie letzte Saison. Sie berieten sich ganz ruhig und konzentriert. Der zukünftige Gladbacher sollte es machen, Moritz Leitner und Vedad Ibisevic zogen sich zurück. Gespanntes Warten, eine halbe Ewigkeit war dieser Strahl von einem Schuss in der Luft. Mitten ans Lattenkreuz. Nein, Nein, Nein! Das darf nicht sein!

Es weckte noch einmal die letzten Kräfte bei all jenen, die n den letzten Minuten des Supports ein wenig leiser geworden waren, noch einmal nach vorne, mit aller Gewalt, mit aller Macht, nur noch wenige Minuten, dann haben wirs doch schon, lasst euch jetzt nicht hängen! Cacau machte sich bereit, während Gladbach noch einmal anrannte. Die Flanke kam von Max Kruse, vor dem ich die ganze Zeit schon warnen wollte. Er fand den Kopf von Juan Arango. Ausgleich. Eine Minute vor dem Schluss.

Sie sangen \”Deb Dab Deb Dadadadadab\” – nur leider auf der völlig falschen Seite. Ich hatte erwartet, dass es wohlmöglich kommen würde \” nur der Zeitpunkt war ein ums andere Mal entscheidend. So spät, dass du nicht mehr antworten kannst. So bitter, dass du völlig verunsichert ist. So enttäuschend, dass sich die Stille wie das dunkle Tuch des Todes über den rot gefärbten Gästeblock legte.

Warum nur immer wieder wir?

Es war zu spät. Wie so häufig in den letzten Monaten. Statt dem Hoffen, wie gegen Freiburg ein spätes Tor gegen jede Regel zu erzielen, machte sich nur die große Angst breit, sogar noch ein zweites Gegentor zu kassieren. Viel fehlte dazu nicht, und nach all dem, was wir schon sehen mussten, es wäre nicht einmal überraschend gewesen. \”Wenigstens nicht verloren\” auf der einen Seite – \”Aber nicht so!\” auf der anderen Seite. Am Ende war man sich dann doch irgendwie einig: zu wenig im Abstiegskampf.

So viel Engagement und Leidenschaft, erst jetzt zeigt sich das wahrlich kämpferische Gesicht unserer Mannschaft, die lange Zeit mitunter arrogant, naiv und lustlos agierte. Ein paar mehr dieser Spiele wie heute, und wir hätten… ach, ihr wisst schon. Die Häme und den Spott konnten sich die Gladbacher Fans natürlich nicht verkneifen. Sie haben offenbar im Kampf ums internationale Geschäft vergessen, wo sie 2011 standen: hinter uns, als Tabellenletzter. Ob es andersrum auch anders wäre, weiß ich nicht.

Fakt ist nur: der VfB hat hier zwei enorm wichtige Punkte liegen lassen. So richtig wusste ich nicht, was ich denken oder tun sollte? Trotzdem applaudieren, es war immerhin eine sehr gute Leistung gewesen, die sie hier gegen einen Champions League Anwärter gezeigt hatten? Oder doch lieber beide Arme weit ausbreiten, mit leeren Blick auf die Jungs schauen und Ihnen klar machen, dass es wieder (gefühlt) leere Hände sind, mit denen wir nun nach Stuttgart zurückkehren müssen.

Applaus gabs trotzdem

Ich entschied mich, wie die meisten, für ersteres. Wohlwollender Applaus, \”Weitermachen\” wollte man ihnen damit sagen. Kein Pöbeln, kein Pfeifen. Bei dem einen oder anderen steckte wohl auch der Schock noch zu tief in den Gliedern, als das man hier hätte schon neue Energie zum Bruddeln schöpfen können. Mit dem Daumen zeigten die Jungs nach oben, bevor sie wieder in der Kabine verschwanden. Felix kam herbei gelaufen, ich sah ihn das erste Mal wieder, seit sich unsere Wege wie jede Woche aufs Neue vor dem Spiel getrennt hatten.

Er nahm mich fest in den Arm, obwohl ich zu diesem Zeitpunkt tatsächlich sogar noch dankbar war, dass uns ein weiteres \”Deb Dab Deb Dadadadadab\” aus der Lautsprecheranlage erspart geblieben war. Die Mannschaft kam noch einmal raus, zum Auslaufen, ein jedes Mal applaudierte man ihnen \” eine bedeutende Geste in dunklen Zeiten. Um mich herum sammelten die Leute die ausgeteilten Fahnen ein, der Block leerte sich, wir folgten erneut als eine der letzten.

Langsam liefen wir los. Ein wenig mit hängenden Köpfen, ein wenig mit einer kleinen Resthoffnung, dass mit der Leistungssteigerung der letzten Wochen auch im schweren Restprogramm noch Punkte geholt werden können. Wie schon vor der Partie blieb es auch hier ruhig, frei von jeglichen Anfeindungen. Einfach nur schnell weg hier. Eine Weile verharrten wir noch auf dem Parkplatz, bei dem aufkommenden Abfahrtsstau kommen wir ohnehin kaum weiter.

Nervöses Rechnen

Ein weiteres Mal rechneten und überlegten wir, was der VfB nun mit seinem Restprogramm anzufangen vermag, oder vielmehr, was realistisch noch zu erwarten ist. Schon längst musste man sich von jenen Spielen verabschieden, in denen drei Punkte fest einkalkuliert sind. Die gibt es schon seit einer Weile nicht mehr. Ein Sieg gegen Schalke würde definitiv benötigt werden, um nicht bis zum letzten Spieltag bibbern und zittern zu müssen.

Um alle Bilder noch auf der Rückfahrt am Laptop zu sichten zu bearbeiten, reichte der Akku leider nicht. Zwar besitze ich einen Zweitakku, weiß aber leider nicht mehr, wo ich ihn hingeräumt hatte. Ich arbeitete, soweit ich konnte, es war schon spät Abends, als mir der Saft ausging. Schließlich klappte schließlich ich das technische Gerät auf meinem Schoß zu, verstaute es vorsichtig in der Tasche und schlief sofort ein.

Für einen Moment träumte ich vom vorletzten Spieltag, an dem sich der VfB mit einem 3:1 gegen Wolfsburg ans rettende Ufer schleppt und entspannt nach München reisen kann. Im Schlaf lächelte ich ein wenig, atmete leise und erwärmte mich an dem Gedanken, wie es sein würde, nach dieser Höllensaison endlich durch zu sein. Ein Schlagloch weckte mich schließlich sehr unsanft. Es ist eben doch noch nicht vorbei.

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