Schmunzelnd saß ich schräg auf dem roten Klappstuhl und blickte über die kühle Betonmauer in Richtung Cannstatter Kurve, die sich schon zu großen Teilen geleert hatte. Die Strapazen des Tages haben sich durchaus gelohnt. Und ich gebe zu, diese neue Perspektive hatte durchaus auch etwas für sich, auch wenn ich mich bereits freue, wieder in den Stehblock zurück zu kehren. Und so nahm ich mir meine Krücken und ächzte die Treppenstufen zurück nach draußen.

5 Stunden zuvor. Es war nicht gerade leicht, ruhig zu bleiben. Ein besonderes Spiel, in mehr als einer Hinsicht. Das erste post-operative Stadionerlebnis seit meiner Knie-Operation vor etwas mehr als 2 Wochen. Dadurch verpasste ich das 5:0 daheim gegen Berlin, mir blutet auch noch heute das Herz. Nun bin ich wieder da, wenn auch noch nicht ganz so mobil wie ich es gerne wäre.


Danke für das Bild, Jonas!

Noch bin ich auf 2 Krücken und einer bewegungslimitierenden Knieschiene angewiesen, die mich in meiner Freiheit noch etwas einschränken. Aber noch ein Spiel zu pausieren, kam für mich nicht in Frage. Und da ich mich noch nicht auf das Abenteuer Stehblock einlassen kann, wenn ich noch nicht zu 100% wieder fit bin, entschieden wir uns, für das Spiel gegen die ungeliebten Südbadener aus Freiburg 2 Karten auf der Haupttribüne zu holen. Eine neue Erfahrung, für uns beide.

In jedem Falle wollte ich den Menschenmassen entgehen, unausweichlich war also der Plan, so früh wie es nur geht die Sitzplätze in der 1. Reihe des Blocks 5a einzunehmen, nahe der Untertürkheimer Kurve. Wir stopften alle benötigten Utensilien, inklusive Kamera, in einen Rucksack und machten uns auf den Weg zum Cannstatter Bahnhof, wo wir in den Bus stiegen. Noch ist eine derart weite Strecke für mich eine Zumutung, ich möchte kein Risiko eingehen.

Durchaus gechillt, mit dem Bus zu fahren. Sonst laufen wir ja immer die 20 Minuten zu unserem Wohnzimmer. Wenn auch mit leicht aufsteigender Aggression, es waren Freiburger Fans mit an Bord, die sich nicht gerade zu benehmen wussten. Aber was will man von Badensern eigentlich erwarten. Das heutige Spiel als “Derby” zu bezeichnen, ist sicher ebenso nicht richtig wie im Falle von Hoffenheim, dennoch kann man sagen, dass diese Partie erhöhtes Polizeiaufgebaut und hitzige Stimmung zu Tage förderte.

Am Wasen stiegen wir aus und liefen die letzten Meter zu Fuß. Immer wieder musste ich eine Pause machen, die letzten 2 Wochen auf Krücken waren anstrengend für Hände, Oberarme und Schultern. Erst in diesen Tagen darf ich das operierte linke Bein mehr belasten und für die Vollbelastung trainieren, seit der Operation war ich es nun schon gewohnt, alles was über 20 Kilo geht, über die Krücken und das gesunde Bein abzufangen, eine allzu oft schmerzhafte Angelegenheit. Doch die Tatsache, wieder ins Stadion zu können, ließ mich ein weiteres Mal die Zähne zusammen beißen. Es waren ja nur noch ein paar Meter.

Für ein Treffen mit Freunden reichte die Zeit nicht. Zu viel Angst hatte ich davor, in dichtes Gedränge zu geraten wo die Wahrscheinlichkeit eines Remplers oder Sturzes schlimme Konsequenzen hätte haben können. Man ließ mich gütigerweise an einem der Tore durch, das normale Drehkreuz wäre auch etwas viel abverlangt. Der erste Teil war geschafft, die nächste Hürde stellte die schier endlose Treppe zum Block hinauf dar. Eine gefühlte Ewigkeit später wollte ich nur noch den Gedanken verdrängen, wer schon alles auf den seitlichen Handlauf im Aufgang gepackt hat.

Oben angekommen bot sich mir eine tolle Aussicht. Meine Freunde und Bekannten aus der Cannstatter Kurve fassen dies um Himmels Willen bitte nicht als Heuchlerei und Verrat an, aber es hatte etwas für sich, hier oben zu stehen und alles überblicken zu können. Wenn es auch nicht von langer Dauer war, denn die nächste Treppe wartete bereits. Die Strecke, die ich von draußen hinaufsteigen musste, musste ich jetzt wieder nach unten laufen zur 1. Reihe des Blocks, die für dieses eine Spiel unser Platz sein sollte.

Treppensteigen ist anstrengend, der Oberschenkel zwickte und ich war froh, dass ich mich wieder setzen konnte. Auch vor der Operation hatte ich nie eine besonders gute Kondition, so schnell schlapp zu machen widerstrebt mir allerdings dennoch in höchstem Maße. Ein bisschen mehr Beinfreiheit hätte es hier unten gerne sein dürfen, ich musste schräg sitzen. Der ältere Herr und sein erwachsener Sohn konnten die Plätze leider nicht mit uns tauschen, denn der ältere Herr hatte diesen Platz aus dem selben Grund wie ich: Gehprobleme.

Ein Blick auf die Uhr und ein tiefer Seufzer. Noch anderthalb Stunden bis Anpfiff, um diese Uhrzeit stehen wir normalerweise noch draußen mit unseren Freunden vom Fanclub und trinken vielleicht noch etwas, bevor wir uns knapp eine Stunde vor Beginn des Spiels auf den Weg zu unserem Stammplatz im Stehblock machen. Langsam füllte sich das Stadion, es war interessant, das zu beobachten. Der Gästeblock indes war schon gut gefüllt, hier und da ein paar badische Flaggen, auf der Cannstatter Kurve füllten sich die flachen Betonstufen zwischen den Wellenbrechern.

So langsam begann der Part, den ich normalerweise vom Stehblock aus verfolge, mit mehr oder weniger großem Interesse: die Stadionshow. Stoisch wird dieser Part emotionslos vorgetragen und mit Emotionslosigkeit zur Kenntnis genommen. Auch das Maskottchen Fritzle kann einem wirklich manchmal leid tun, gerade dann, wenn es auf der Haupttribüne noch an kleinen Zuschauern in den ersten Reihen mangelt. Er hat schwer damit zu kämpfen, gute Laune zu machen. Er teilt das Schicksal von vielen Maskottchen in der Bundesliga: bei den aktiven Fans hat er es schwer.

Noch hatten wir jede Menge Platz bei uns in der 1. Reihe. Ich packte die Trinkpäckle aus, die wir bei fast jedem Spiel mit dabei haben, und stellte sie auf die Mauer vor mir. Mein Telefon klingelte, auf dem Display stand der Name meiner lieben Kollegin Ann, ebenfalls VfB-Fan, Teil unseres betriebsinternen VfB-Kompetenzteams und selbsternannte Styleberaterin der Mannschaft. Nanu, wie kommts? Da hätte ich eigentlich auch von selbst drauf kommen können. Wie sich herausstellt, hat sie mich beobachtet und winkte mir zu, vom Oberrang direkt über mir.

Damit war sie nicht die einzige, auch mein langjähriger Kumpel Jonas, mit dem ich vor fast 4 Jahren in der Untertürkheimer Kurve mein erstes Heimspiel erlebte, entdeckte mich bereits zuvor und machte auf sich aufmerksam mit Winken und dem fotografischen Festhalten dieses Moments, der mich nebst 2 roten Krücken sitzend in der 1. Reihe der Haupttribüne zeigt. Daneben Felix, rauchend, wie so oft. Ich grinste vor mich hin \” stets mit der Hoffnung, es am Ende des Spiels noch immer zu tun.

Auch Marc, Gründer und Betreiber der Seite vfb-bilder.de (und damit mein “Chef” in Sachen VfB-Fotos), war am Start und winkte mir zu. Neben ihm ein guter Freund von ihm \” Treppenwitz des Tages: sowohl ich in der 1. Reihe des Unterrangs als auch Jonas, ebenfalls Fotograf, im Oberrang drückten im selben Moment in Richtung Marc auf den Auslöser, als die beiden genüsslich Schokoriegel mampften. Omnomnom.

Nun konnte es auch wirklich langsam losgehen. Während die Plätze und Reihen um uns herum weitgehend leer blieben, füllte sich das Stadion zusehendst, durchaus mit berechtigten Zweifeln, ob dieses Spiel ausverkauft sein würde. In den letzten Wochen und Monaten war dies nur selten der Fall, nichtmal zum DFB-Pokal-Spiel gegen Bayern München war volle Bude, und ich sollte Recht behalten: nur 46000 Zuschauer haben an diesem wohl temperierten Samstag Nachmittag den Weg in unser Stadion gefunden.

Ich war zusehendst nervös, wie bei jedem Spiel. Wir haben aktuell weder etwas mit dem Abstieg noch mit den internationalen Plätzen der Tabelle zu tun, ein wenig Mut machender Gedanke. Solange es nicht so übel läuft wie letzte Saison, sollte eigentlich alles gut sein, dachte ich. Doch Mittelmäßigkeit ist kein Grund zur Freude. Nach dem 5:0 gegen Berlin verlor der VfB vor einer Woche ziemlich deutlich mit 2:4, wo es zwischenzeitlich 0:4 stand, mit 3 Toren nach Eckbällen. Was ist nur mit dem VfB passiert, der vor gar nicht allzu langer Zeit noch international spielte.

Kurz vor halb 4, die Aufregung stieg, die Einlaufmusik spielte, die Mannschaften kamen heraus. Tick-tick-tick-tick-tick-tick \” unaufhörlich tickte der Auslöser meiner Kamera, die mich an diesem Tag mit herrlichen Fotos bedachte. Manege frei für das Baden-Württemberg-Duell. Gegen einen Ausgang wie im Hinspiel hätte ich sicher nichts einzuwenden, wir waren dabei als wir in Freiburg mit 2:1 gewannen.

Schiedsrichter Wolfgang Stark pfiff die Partie an, die mir sicher noch eine ganze Weile im Gedächtnis haften bleiben wird. Nach nicht einmal 2 Minuten ertönte schon die Hupe via Anzeigetafel, die uns anzeigt, wenn in den parallelen Spielen ein Tor fällt. Währenddessen passierte bei uns in den ersten 10 Minuten nicht viel, bis auf eine knappe Abseitsposition von Shinji Okazaki, der gegen Hannover ein Traumtor machte, und zwei Fouls im Strafraum, einer auf jeder Seite \” ohne Absicht, ohne Elfmeter, korrekt entschieden.

Auf dem Feld war derzeit noch nicht viel los, stattdessen schaute ich verstohlen sehnsüchtig zu unserer Kurve, wo Tausende von Fans synchron hopsten, klatschen und sangen. Wir stehen normalerweise relativ am Rand in Richtung Haupttribüne, mit meine 1,59m sehe ich normalerweise nicht viel von dem, was der harte Kern in den Blöcken 34 und 35 abliefert, es war schön, das ganze auch einfach mal beobachten zu können.

Ein schnelles Tor würde gut tun und den Freiburgern hoffentlich gleich ein bisschen den Zahn ziehen. Ob die Mannschaft in der Lage ist, aus den Fehlern in Hannover zu lernen, sollte sich noch zeigen. Es war die 12. Minute, als ich meine ersten Jubelschreie von der Haupttribüne ausstieß. Martin Harnik, wer sonst? Ein tolles Zusammenspiel von ihm und Neuzugang Vedad Ibisevic und zugegebenermaßen auch ein wenig Glück im Abfälschungswinkel des Freiburger Torwarts führte zum 1:0, die Kamera rauchte förmlich, die Freude war riesengroß.

Fürs erste war ich ein bisschen beruhigt. Verständlich, wenn einem die Anzeigetafel zeigt, dass man mindestens ein Tor mehr geschossen hat als der Gegner. Wir alle wissen aber natürlich auch, dass ein schnelles 1:0 in der 12. Minute nicht unbedingt das Ergebnis nach 90 Minuten sein muss. Es war an den Jungs, dieses Ergebnis zu halten, besser noch zu erhöhen, und die Wiedergutmachung zu leisten, die sie uns reumütig versprochen haben.

Der neue Blick von der Haupttribüne ließ mich tolle Fotos machen, und die Kurve gab ihr Bestes. Diese Perspektive erlaubte es mir, auch mal ungewöhnliche Motive ins Auge zu fassen, selbst Zufälle auf dem Spielfeld waren hilfreich. Doch das alles wäre am Ende nur halb so schön, wenn am Ende des Tages keine 3 Punkte zu Buche stehen würden. Also hoffte und glaubte ich unentwegt an einen guten Ausgang dieses Spiels, dass am Ende klarer ausgehen sollte, als es zwischenzeitlich der Fall war.

Noch ahnte ich nicht, in welche Richtung die Partie kippen würde. Nachdem es kurz vor dem Spiel noch leicht nieselte und die Sorge um einen Regenschauer, der uns in der 1. Reihe garantiert mit Breitseite erwischt hätte, war berechtigt. Das Unwetter zog weiter, der Himmel riss langsam sogar auf und schickte die ersten paar Sonnenstrahlen runter aufs Stadion.

Ein erleuchtender Augenblick, offensichtlich auch für den sträflichst allein gelassenen Martin Harnik, der auf der Außenbahn zum Strafraum rannte, flankte und Shinji Okazaki in den Ball hineinrauschte. Der Japaner lag am Boden, mit schmerzverzerrtem Gesicht. Er schlug mit seinem Bein an den Pfosten. Doch all der Schmerz scheint ihm nichts ausgemacht zu haben, denn: der Ball war im Tor.

Das war das 2:0, und die Angst, dieses kleine Derby zu verlieren, rückte in ganz weite Ferne. Ich tat mich zwar schwer mit der Beweglichkeit, aber Pöbeln in Richtung Gästeblock war für mich jederzeit im Bereich des Machbaren. Die mitgereisten Gäste aus dem Süd-Westen waren alles andere als erfreut, machten ihrem Unmut Luft und bekamen von den heimischen Fans trotzdem nicht mehr als ein abwertendes Schmunzeln. Große Klappe, nichts dahinter.

Beide Tore fielen vor der Untertürkheimer Kurve direkt vor meiner Nase, selten habe ich eine derart gute Sicht auf die personifizierte gute Laune gehabt. Wenn es nach mir ginge, hätten die Jungs auf dieser Seite gerne noch ein paar Tore schießen können. Etwas mehr als 20 Minuten hätten sie dazu noch Gelegenheit, danach verzichtete ich gerne auf Gegentore auf dieser Seite des Spielfelds.

Mit einem 2:0 im Rücken sollte man meinen, dass der Gegner fast schon keine Lust mehr hat aufs Fußballspielen und dass die eigene Mannschaft mit vertretbarem Aufwand das Ergebnis verwaltet oder noch einen drauflegt. Nie hätte ich gedacht, dass gerade dann die Phase anbrechen würde, die meine Hoffnung auf einen Sieg ins Wanken bringen sollte.

Ich erinnere mich nicht mehr, welche Gazette es war, doch vor dem Spiel betitelte eine Webseite einen Vorbericht zum Duell mit “Bringt sich der VfB wieder selbst um die Ecke?” – ein kleiner Seitenhieb in Richtung letzter Woche, als wir 3 Gegentore nach 3 Ecken bekamen. Jede Ecke für die Freiburger ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. Nur die Optimisten unter uns glaubten, dass dieser große Schwachpunkt binnen einer Woche ausgemerzt sein würde. Doch wir waren machtlos. Ecke für Freiburg, direkt vor der Cannstatter Kurve.

Es ist ja nicht so, als hätte man es nicht geahnt. Offenbar haben sie nichts gelernt. Da stieg der Freiburger Fallou Diagne einfach nach oben und köpfte vorbei an Sven Ulreich in das an beiden Pfosten ungedeckte Tor. Hallo, gehts noch? Wie kann man nur so dumm sein und aus den Ereignissen der letzten Woche nicht das geringste lernen? Es ist anmaßend, die Arbeit eines Trainers in Frage zu stellen, ich selbst könnte es nicht besser, aber was gedenkt Bruno Labbadia eigentlich, dagegen zu unternehmen? Da wäre ich überaus gespannt. Das 3:1 als direkte Antwort wäre ja äußerst hilfreich und nervenberuhigend gewesen. Doch mich fragt natürlich wieder mal keiner.

Es waren beunruhigende, beängstigende, frustrierende und erschreckend schwache Minuten, die wir uns hier anschauen mussten. Wenn du mit genug Leidenschaft dabei bist, geht es nicht darum, dass du eines schönen Samstags ins Stadion gehst und dich emotionslos berieseln lässt. Nein, du wirst Teil der Mannschaft, Teil des Stadions, alles, was dein Verein fabriziert, beeinflusst auch dich selbst. Ob es Freude, Kampf oder Frust ist, man teilt es. Und gerade war es die Angst, die einen durchfuhr.

Über eine Viertelstunde lang mussten wir mit ansehen, wie Freiburg immer mutiger und frecher wurde, das Spiel drohte zu kippen. Jeder Eckball für Freiburg trieb mir den Angstschweiß auf die Stirn, allzu oft war der Ball beim Gegner, das gefiel mir ganz und gar nicht. Es erinnerte mich ans Hinspiel, als Freiburg nach dem 1:2-Anschlusstreffer kurz vor Schluss noch mutig auf den Ausgleich drängte. Die Abwehr wankte, der Puls raste. Wir dagegen bekamen im Sturm nicht mehr wirklich viel hin.

Wäre der Halbzeitpfiff doch nur der Schlusspfiff gewesen, dachte ich mir, als es ohne weiteres Tor in die Pause ging. Ein wenig durchatmen und runterkommen, das war jetzt genau das Richtige. Ich legte mein operiertes Bein hoch, quer über den Nachbarsitz, mit dem Rücken zur Untertürkheimer Kurve. Dass sich Jonas hinter mir anschlich, hatte ich gar nicht bemerkt, Felix sah ihn und begrüßte ihn herzlich. Er blieb in der Pause und für die 2. Halbzeit bei uns, auch für ihn ein neues Gefühl. Man schwätzte ausgelassen über das Spiel und natürlich meinen gesundheitlichen Zustand. So vergingen die 15 Minuten auch ziemlich schnell.

Was die 2. Halbzeit bringen möge, niemand konnte es voraussagen. Und niemand weiß, was passiert wäre, wenn der Freiburger Jan Rosenthal nur 3 Minuten nach Wiederanpfiff den Ball reingemacht hätte. Es war eine dieser vielbeschworenen 1000%igen Torchancen. Es war schwerer, diesen Ball an den Pfosten zu schießen nach dieser zugegeben schönen Flanke von Cedrick Makiadi, aber der Freiburger schaffte es. Zu unserem Glück, alle bekamen einen riesen Schreck. Solche Momente eignen sich auch prima zum panischen Hyperventilieren.

Danach war erstmal Zeit zum Durchatmen, es passierte nicht wirklich viel für die nächsten 15 Minuten. Zur Abwechslung gab es auch mal einen Eckball für den VfB, der in letzter Zeit nicht gerade viel Reden von sich machte durch Tore nach Standards. Tamas Hajnal, der meist die ruhenden Bälle ausführt, stand bereit an der Eckfahne. Was danach geschah wird in Erinnerung bleiben als eines der kuriosesten Tore der letzten Zeit. Ich drückte den Auslöser meiner Kamera in dem Moment, als Vedad Ibisevic hochstieg und den Ball Richtung Tor köpfte. Das hätte es doch eigentlich schon sein können, sein müssen?

Wie es dazu kam, dass nicht er sondern Abwehrspieler Khalid Boulahrouz als Torschütze zum 3:1 gefeiert wurde, sah ich später am Abend erst in der Sportschau. Unser neuer Stürmer, der kurz vor Transferschluss aus Hoffenheim kam, köpfte den Ball an den Rücken des Niederländers, der ihm noch eine andere Richtung verpasste und über dem völlig verdutzten Freiburger Keeper im Netz einschlug. Hätte Khalid nicht dort gestanden, wäre der Gegner an den Ball gekommen und wir hätten weiter zittern müssen. Und so feierten wir erneut. Sachen gibts.

Gerade knapp 5 Minuten später, die nächste Angriffswelle. Man muss unseren Jungs wohl hoch anrechnen, dass sie sich mit dem 3:1 nicht zufrieden gaben. Mit nach wie vor großem Torhunger sah Keeper Oliver Baumann wieder das Unheil auf sich zukommen. Vedad Ibisevic köpfte, die Tormelodie spielte. Ein Blick Richtung Tor ließ uns allerdings stutzen, wo sich sonst die Spieler zum jubelnden Haufen versammeln, passierte nichts. Die Musik brach ab. Wo viele ein Tor gesehen haben, scheiterte der Bosnier nur wenige Zentimeter neben dem Tor.

Die Uhr tickte für uns, wo wir in den letzten Monaten nur allzu oft zittern mussten, machte ich mir zu diesem Zeitpunkt nur noch wenige Sorgen, dass dies hier doch noch ein böses Ende nehmen könnte. Noch 10 Minuten mit 2 Toren Vorsprung, da sollte doch durchaus der Sieg drin sein. Die Abwehr hielt, eine beruhigende Beobachtung. Dennoch war es schwer, den Willen der Freiburger zu brechen. Nach wie vor versuchten sie, mit ihren Mitteln dagegen zu halten und die Niederlage abzuwenden. Sie bewiesen Mut, das muss man ihnen lassen.

Ohne die zwingende Notwendigkeit, noch ein Tor zu schießen, schaute ich wohlwollend dabei zu, wie es wieder in Richtung Cannstatter Kurve ging. Es ging schnell, schön und einfach, warum nicht immer so? Tamas Hajnal und Martin Harnik waren erneut auf dem Weg nach vorn, der Ungar tunnelte den Gegner und der Österreicher brauchte nur noch einzuschießen, ein herrliches Tor durch ungarisch-österreichische Co-Produktion. Der Freiburger Gästeanhang verstummte endgültig, während der Rest des Stadions wie aus dem Häuschen war.

Die letzten Minuten brachte man dann auch noch irgendwie rum, ohne besondere Vorkommnisse. Abpfiff, Jubel, Heiterkeit. Eine Welle mit der Kurve, wohlwollendes Klatschen und die unausgesprochene Hoffnung, dass dies nicht nur ein Strohfeuer ist. Schnell verschwanden die Mannschaften wieder in der Kabine, auch das Stadion leerte sich schnell. Nicht, dass mich das bei der Haupttribüne wundern würde. Ich freute mich sogar darüber, denn so konnte ich schneller als geplant den einverleibten Eistee wieder loswerden.

Ich verabschiedete mich von Jonas, während Felix schon vorgelaufen war um noch meine 2. Kamera abzuholen, die wir einem Freund ausgeliehen hatten. Langsam machte ich mich auf den Weg, Felix kam mir wieder entgegen und wir trafen noch weitere Freunde, die uns begleiteten und die mir Gesellschaft leisteten, als ich vor der Schleyerhalle auf Felix wartete, der nochmals vorlief um sein am Schlachthof geparktes Auto zu holen. Es zog sich hin, Stau und Straßensperre, das übliche Verkehrschaos, begünstigt durch die vielen Samstagsveranstaltungen, eine Mischung aus Fußball, Boxen, Volleyball und Konzert.

Nach minutenlangem erschöpfenden Warten sammelte er mich ein, wir verabschiedeten uns von unseren Freunden und wir machten uns auf den Heimweg. Das letzte Mal sind wir mit dem Auto vom Stadion zurückgefahren, als ich mit blauen statt roten Krücken unterwegs war: nach dem Europa League Spiel daheim gegen Lissabon vor einem Jahr, kurz nachdem es mir die Kniescheibe rausgehauen hatte und damit die ganze Knie-Geschichte erst anfing.

Es hatte wirklich etwas für sich. Etwas neues, anderes, aufregendes. Dennoch kann ich mir nicht vorstellen, auf Dauer einen Platz auf der Haupttribüne einzunehmen, zu sehr gewöhnt bin ich an die Fankurve. Doch die fotografische Freiheit und die gute Sicht, nunja, das wird mir fehlen. Ob wir im Heimspiel gegen Kaiserslautern erneut Sitzplätze nehmen, ist ungewiss \” je nachdem, wie fit ich mich schon fühle. Aber erstmal werd ich von diesem Sieg noch zehren, ein tolles Erlebnis und halbwegs eine Entschädigung für das verpasste 5:0 gegen Berlin.

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