“Wenn es am Ende der Saison um alles geht, ist es dir dann letztendlich auch egal, wie du die Punkte einfährst. Ob euphorisch mit begeisterndem Fußball, oder dreckig und glücklich. […] Tage wie diese sind für mich die wahre Sonnenseite des Lebens.” – das ist genau 161 her. Einst, als unsere weiß-rote VfB-Welt noch in Ordnung war, gewann der VfB das Heimspiel gegen Leverkusen im April 2010 mit 2:1 (0:1). Lang ists her. Einst waren es sonnige Tage fürs sonnige Gemüt. Heutige Realität: Land unter, in Stuttgart und beim VfB.

Wie ich diesen Bericht beginnen soll, weiß ich nicht. Es war ein Tag zum Vergessen. Wut, Enttäschung, Frust, Depression, Unbehagen, Angst, Ärger, Aggression, Niedergeschlagenheit, Trauer, Unglück, Emoionslosigkeit, Zorn, Empörung, Verstörung. Sucht euch euer Lieblingswort und den Begriffen aus, die derzeit das Geschehen um den Verein mit dem Brustring prägen.

Das kurze, wenn auch helle Strohfeuer gegen Gladbach zündelte nicht lang genug, um auf Dauer effektiv zu sein. Es darf bezweifelt werden, ob vor einer Woche die richtigen Schlüsse aus dem Schützenfest gezogen wurden. Es konnte und durfte kein Maßstab für die gesamte Liga sein.

Schon vor einigen Tagen verlor der VfB in Nürnberg, mit einem Mann mehr auf dem Platz kassierte man den Treffer zur 1:2-Niederlage in der Nachspielzeit. Entscheidender Mann: Julian Schieber, der nach Nürnberg abgeschoben wurde, um Spielpraxis zu sammeln. VfB-Transferpolitik. Und es ist nicht einmal im Anstaz so lustig, wie es sich für Außenstehende anhören mag.

Das Wetter spielte schon von vornherein nicht mit, schon am Vormittag regnete es ohne Unterlass – die Prognose lautete “weiterhin trübe”. Im Regen ging es gegen Mittag in Richtung Stuttgart, aufgrund des parallel stattfindenden Cannstatter Wasens neben dem Stadion waren die Parkmöglichkeiten beschränkt und wir fuhren zu dritt, inkl. Felix’ Kumpel, mit der S-Bahn nach Cannstatt, was schon bald meine neue Heimat sein wird.

Menschen, die ins Stadion wollten, mischten sich schier untrennbar mit jenen, die auf den Wasen wollten. Nebenbei bemerkt: Ich finde Frauen mit Dirndl und Männer mit Lederhose gehören auf die Wiesn, aber nicht auf den Wasen. Eine leicht angeseuselte junge Frau im Dirndl klopfte mir hoffnungsvoll auf die Schulter “Ihr gewinnt heute!”, vermutlich hat sie die Angst in meine Augen schon gesehen und wollte mir Hoffnung zusprechen. “Ich hoffe es”, rief ich ihr hinterher, als sie weiterlief, sie antwortete “Ach komm, was ist schon Leverkusen?” und verschwand in der Richtung Wasen strömenden Menschenmenge.

Ununterbrochen prasselte der Regen auf uns nieder, als wir die heilige Strecke vom Cannstatter Bahnhof zum Stadion liefen. Eine große Wasserpfütze am Straßenrand, ein Auto, eine große Welle und pitschnass waren wir – Felix und mich hats erwischt, der Rest der Beutelsbacher schaltete eher und sprang den notwendigen Satz zur Seite. Heute schon gelacht?

Die Treppe am Carl-Benz-Center, die zu jedem Heimspiel der Treffpunkt für die Treuesten der Treuen ist, konnte ein heeres Ziel nicht erfüllen: Sitzmöglichkeit waren durch den stundenlangen Regen nicht gegeben und so sammelte sich der Mob direkt vorm Fahnenraum neben der Treppe.

Ein frischer Wind wehte uns um die Ohren. Und wenn schon, würde der VfB dieses Spiel gewinnen, wäre es mir egal gewesen, durchnässt und durchfroren die Heimreise anzutreten. Zumindest dachte ich das noch vor dem Spiel, wo ich diesen Optimismus herhatte, kann ich mir selbst nicht erklären.

Schnell noch eine Rote verdrückt und vor dem Eingang an der Untertürkheimer Kurve auf den Rest der Leute gewartet, dann ging es hinein. Interessant zu beobachten, wie unterschiedlich die Ordner an den Eingängen mit 2 Päckchen Batterien (á 2×2 Sätze) verfahren. Diesmal wurde ich lächelnderweise durchgewunken, 3 Stadionzeitungen klemmte ich mir unter den Arm, die schon 10 Minuten später unbrauchbar durchnässt waren.

Die Erfahrung, die ich schon beim 1. Heimspiel gegen Dortmund gemacht habe, zeigte sich natürlich auch hier: Bei Regen ist die vordere Hälfte der Untertürkheimer Kurve ungeschützt, die Dachkonstruktion wird im Rahmen des Umbaus zum reinen Fußballstadion erst ganz am Schluss erweitert. In diesem Sinne hoffen wir einfach mal, das es bis zum nächsten Sommer nicht an Heimspielen regnet oder schneit. Wer außer mir diese Vorstellung für fast ausgeschlossen hält, möge bitte die Hand heben. Alles klar, ich wollte nur mal gefragt haben.

Nur die Harten komm’ in Garten. Im Bestreben, gute Sicht aufs Spiel zu haben entschied ich mich für die Abteilung “Wasser marsch” und verbrachte die anderthalb Stunden im Regen, der meine schwarze Regenjacke hinunterfloss auf die Ränge aus Fertigteilen. Nass war meine Hose dank der Autopfütze und des gewitzen Autofahrers ohnehin schon, was sind da schon ein paar Tropfen?

Viele Hoffnungen waren mit dem Comeback unseres französischen Kapitäns Matthieu Delpierre verbunden. Gegen Gladbach wiedergekommen, Tor gemacht, super. Das alleine gab mir ein wenig von dem Glauben zurück, es ginge nach der neuerlichen Niederlage gegen Nürnberg doch wieder bergauf. Das schlechte Wetter hätte mir jedoch eher ein Omen sein sollen. In den ersten paar Minuten gab es nicht wirklich Erfreuliches zu sehen.

Leverkusen machte das Spiel, der VfB trabte hinterher, in aller Gemächlichkeit und Trägheit dieser Welt. Nur eine Frage der Zeit, bis das nach hinten losgeht. Nach etwa 20 Minuten war uns bewusst, welchen Verlauf diese Partie nehmen würde. Ein Doppelschlag mit 2 unmittelbar aufeinander folgenden Gegentreffern ließ den Traum von der Wiedergutmachung zerplatzen wie eine Seifenblase. Recht schnell skandierte man “Aufwachen, aufwachen!!” – ob das etwas nützt?

Nun standen wir da wie begossene Pudel, die Anzeigetafel zeige 0:2 und der Frust der letzten Wochen, der lediglich etwa 1 Woche Sendepause hatte, war wieder an Ort und Stelle. Wenn das hier nur ein Alptraum ist, dann lass mich bitte ganz schnell aufwachen. Es war bittere Realität. Die Regentropfen, die auf mein Gesicht fielen, schienen sofort zu verdampfen, eine derartige Zornesröte ist in mir aufgestiegen.

Den Support stellte ich für die nächsten 10 Minuten komplett ein, wie unter Schock starrte ich einfach nur aufs Spielfeld, außer Stande, selbst angekommene Pässe zu honorieren, die man oberhalb der Kreisklasse ruhig erwarten darf. Doch auch die waren natürlich gegen die Werkself nicht drin. Das Stadion glich einem Pulverfass, jedes weitere negative Ereignis auf dem Feld würde den vor sich hin schwelenden Frust zu Tage befördert. Meine Augen waren geöffnet, doch sahen sie nichs. Zumindest nichts Erfreuliches.

Und auch nach diesen 10 Minuten war alles was ich von mir geben konnte: “Oh Gott!”. Nach einer Notbremse sah unser italienischer Neuzugang Mauro Camoranesi, altgedienter Haudegen und Weltmeister 2006 (ich habs ihnen immernoch nicht verziehen!) die glatt-rote Karte und verließ nach einem Geplänkel mit dem Schiedsrichter und zahlreichen VfB-Spielern das Feld. Eine Stunde in Unterzahl, na das kann ja heiter werden. Und wer eben den Zynismus nicht rausgehört hat, dem ist wirklich nicht mehr zu helfen.

Mit hängendem Kopf ging es in die Halbzeitpause zu meinem Schatz am Eingang des Blocks 74. Er resümmierte folgerichtig: “So ein SCHEISS!”, er hat ebenso Recht wie vor 161 Tagen (“Wir gewinnen das Spiel noch!”). Hoffnungen, as Spiel auch diesmal zu drehen? Fehlanzeige!

Auf dem Weg zurück schaute ich mich um. Die Gesichter um mich herum strahlten auch nicht gerade vor Freude, wer will es uns auch verdenken. Wieder hinaus in den ungemütlichen Regen, zurück zu meinen Jungs, wenigstens einen Teil davon.

7 Minuten in der 2. Hälfte gespielt passierte etwas, was ich für ausgeschlossen hielt: der Anschlusstreffer, in Unterzahl! Zdravko Kuzmanovic traf zum 1:2 und in den nachfolgenden Minuten blühte es wieder, das zarte Pflänzchen der Hoffnung. Welche Ironie, dass der VfB in Unterzahl besser spielte als mit voller Besetzung. Die kurze Phase der Leverkusener Nachlässigkeiten ließ den VfB auf einmal doch noch zu Wort kommen, es waren die einzigen paar Minuten in denen ich dachte, es würde eventuell, mit Glück und Verstand, doch noch etwas werden.

Aber auch diese Vorstellung zerbröckelte schnell wieder in kleine Krümelchen, als eine Viertelstunde später der alte Abstand wieder hergestellt wurde und der von Hannover nach Leverkusen gewechselte Balitsch das 1:3 machte. Es wurde wieder ruhig im Neckarstadion. Der unheimliche Hauch des Abstiegs senkte sich zunehmend auf die baden-württembergische Landeshauptstadt.

Wenige Minuten ein kurzer Jubel, doch das angezeigte Handspiel des Schiedsrichters ließ ihn schnell wieder verstummen. “Zu früh gefreut” ist der passende Ausdruck für den vermeintlichen 2:3-Anschlusstreffer, der – wäre er gegeben worden – das Spiel mit Sicherheit noch zu unseren Gunsten gekippt hätte. Doch wie das nunmal so ist, kann man sich von regulären, aber abgepfiffenen Toren keine Punkte holen. Und allein mit dem Wort “hätte” kann man keine Spiele gewinnen.

Hier war die Moral endültig gebrochen. Leverkusen beschränkte sich darauf, das Ergebnis zu verwalten und hätte locker noch weitere Tore erzielen können. Sie konnten und wollten nicht, wir wollten nicht und konnten schonmal gar nicht, so schien es mir. Die Niederlage war nun unabwendbar, die Minuten des Drucks vor dem 1:3 im Nichts verpfufft, zurück zum miesen Spiel, das die Geduld der Zuschauer auf eine harte Probe stellte.

Zwei Minuten vor Schluss war der Drops dann endgültig gelutscht, das 1:4 setzte der Peinlichkeit auch noch das goldene Krönchen auf. Die Erde möge sich bitte auftun und uns verschlingen. Man erlöse uns von diesem Spiel, der Abpfiff eröffnete ein Pfeifkonzert. Die Mannschaft kam in die Kurve, wurde noch milde beklatscht (warum eigentlich?) und lief mit hängenden Köpfen in die Kabinen. Die einzige Verbindung zwischen Mannschaft und Fans, die einzige Gemeinsamkeit.

Momente wie vor 161 Tagen sind jene, die man definitiv lieber erlebt. Da man es sich jedoch nicht aussuchen kann und mit Herzblut zu seiner Mannschaft steht, macht man auch solche Tage mit. Man geht ins Stadion im strömenden Regen, lässt eine schmerzhafte Pein über sich ergehen, geht frustriert nach Hause um ein oder zwei Wochen später wieder an Ort und Stelle zu sein. Man liebt seinen Verein, gibt alles für ihn, man hofft alles, gibt alles, und ist unerschüttelich in dem Glauben, es zurückgezahlt zu bekommen.

In diesen Zeiten zweifelt man zurecht daran, ob die Mannschaft ein echtes Interesse daran hat, etwas von der Leidenschaft ihrer Fans zu übernehmen. Offensichtlich nicht, und ob es wie alle Jahre wieder spätestens in der Rückrunde besser wird, ist auch nirgends vertraglich festgehalten. Lediglich das Prinzip “Same procedure as every year” lässt mich trotz allem Schmerz noch zuversichtlich sein. Auch letztes Jahr waren wir die meiste Zeit der Hinrunde auf einem Abstiegsplatz, die Saison endete mit einer furiosen Aufholdjagd.

Ob es wieder so wird, weiß ich nicht. Auch damals wäre ich mit dem Nichtabstieg zufrieden gewesen, optimalerweise noch vor der Hertha stehen. Wir bekamen mehr, als wir gedacht hatten. Und hoffen insgeheim auch heute, dass es wieder so sein wird. “Abstiegskampf und ein verlorenes Spiel, und die Mannschaft in Gefahr. Was uns bleibt ist die Erinnerung daran, wie es einst in Cannstatt war.” Gegen Frankfurt werde ich wieder mit dabei sein, auch bei Sturm und Regen. Und ich weiß auch: ihr werdet es auch sein.

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