“Heut ist so ein schöner Tag, la-la-la-la-la, heut ist so ein schöner Tag, la-la-la-la-la” – zum Fliegerlied wurde vergnügt in der Straßenbahn gehüpft, welche uns Richtung Stadtmitte zurückbrachte. Heut ist so ein schöner Tag. Ein Tag, der aus gesundheitlicher Sicht in die Sparte “Kontraproduktiv” zuzuordnen wäre, aber eben auch ein Tag, der bis auf die Tatsache, dass ich mehrmals an meinem Husten zu Grunde gegangen wäre, einfach nur richtig toll war. Dies ist die Geschichte eines fast perfekten Tages in Köln.
Der Besuch des Mannschaftstrainings am vergangenen Sonntag war der endgültige Knock-Out, seitdem laboriere ich an einer Erkältung, insbesondere der schlimme Husten der letzten Tage ist mehr als nervtötend. Wohlwissend, dass es das Klügste wäre, daheim zu bleiben und Tee zu trinken, konnte mich das nicht aufhalten.
Klein Ute vor dem großen Kölner Dom
Das penetrante Piepsen meines Handyweckers beendete meine 4-stündige Schlafphase und läutete den Beginn des Tages ein. 4:30 Uhr, welch unmenschliche Uhrzeit. Nützt aber alles nichts, außerdem freute ich mich ja auf das Spiel! Da Samstags um 5:30 Uhr kaum etwas an Straßenbahnen und Bussen fährt, wenn man es braucht, bin ich das Stück zu Fuß gelaufen, lag richtig gut in der Zeit und setzte mich direkt in den ICE, der mich zunächst zum Flughafen Frankfurt bringen sollte, wo ich umsteigen musste und bereits kurz nach 11 Uhr vormittags in der Domstadt ankam.
Blogger-Kollegen unter sich: Marcel von Brustring und ich
Hinter mir lagen 5 Stunden Fahrt, in denen ich schwerstens mit meinem Husten zu kämpfen hatte. Noch bevor ich mich auf die Suche nach den Schließfächern für meinen Rucksack machte, suchte ich zuerst eine Apotheke. Es muss doch irgendetwas geben, um dem Husten zumindest während des Spiels medikamentös aufs Maul zu geben, bzw. ihn ruhig zu stellen. Man drehte mir für 5,10 € Hustenblocker von Wick an, und als die Pille eingeworfen und das Gepäck verstaut war, gönnte ich mir noch einen Kaffee bei Starbucks und traf mich noch mit Marcel, meinem geschätzten Blogger-Kollegen von Brustring – an der Stelle die herzlichsten Grüße!
Ein vertrauter Anblick, als wir aus der Straßenbahn ausstiegen und Richtung Kölner Stadion liefen. Gut zwei einhalb Jahre ist es her, als ich das erste und letzte Mal in diesem Stadion war, damals zum Freundschafts-Länderspiel gegen Rumänien. Nach einem kurzen Plausch mit Marcels Kumpels war es für mich soweit, den Gäste-Stehblock aufzusuchen, wo die meisten der mitgereisten VfB-Fans schon ihren Platz eingenommen hatten.
Vierte Reihe ganz vorn – eine Weile musste ich suchen, bis ich Kumpel Rouven gefunden hatte. Sein Platz war jedoch mittlerweile so unerreichbar, dass wir uns für die Halbzeitpause verabredeten, zuerst über mir unverständliche Handzeichen, dann doch mit der etwas moderneren Kommunikationsvariante, der SMS. Lange dauerte es nicht, bis mir weitere bekannte Gesichter ins Auge fielen, so auch Kumpel Philipp, welcher sogleich die Treppen hinab eilte, um mich zu begrüßen. Während des Spiels leistete ich ihm und seinem mitgereisten Fanclub 90 Minuten Gesellschaft, es hat eine Menge Spaß gemacht.
Ehe ich mich versah, stand ich auch schon mittem im Gäste-Stehblock und streckte meine Hände in die Höhe, um meinen Verein anzufeuern. Und was meine Lunge angeht, die wollte leider nicht wirklich das, was ich wollte: laut anfeuern, schreien und singen. Ich tat mein Bestes, die Befürchtung, von ein paar Sanitätern heraus geschleift und in die Quarantäne gestellt zu werden, begleitete mich, während ich einen Hustenanfall nach dem anderen bekommen hatte.
Nun war es 15:30 Uhr, endlich wurde das Spiel angepfiffen, auf dass ich so lange gewartet habe. Wiedergutmachung musste her, für das peinliche 0:2 im Hinspiel und für die 1:3-Heimniederlage am vergangenen Wochenende gegen Hamburg. Zudem ging der Blick auch schon ein wenig vorausschauend auf das Spiel gegen Barcelona. Doch davon durften wir uns hier und heute nicht verunsichern lassen.
Zu beachten: der junge Mann mit dem “Cheerleader”-Schal
Besonders viel vom Spiel habe ich nicht wirklich mitbekommen, und wie das so oft ist, wenn man nur wenig sieht und auch die meiste Zeit mit Singen, Arm wedeln, Springen und Schreien beschäftigt ist, gilt die Hauptaufmerksamkeit dem Bemühen, dem Nachbarn nicht auf die Füße zu treten oder die Hand ins Gesicht zu watschen. Zwischendrin das eine oder andere Foto gemacht, nicht nur fürs Archiv.
Alleine die Statistik sprach schon dafür, dass es ein schweres Spiel werden würde. Wir waren leicht angeknackst durch das letzte Spiel, der 1. FC Köln stand unter Zugzwang und musste mal wieder einen Sieg einfahren. Sehr erfreulich, dass wir diejenigen waren, die das bessere Ende für uns entscheiden konnten.
Lange mussten wir wirklich nicht warten. Und wie das nunmal so ist, sieht man nichts, orientiert man sich am Jubel der anderen, gerade wenn man für einen Moment nicht hingesehen hat. Als der gesamte Gäste-Stehblock sich euphorisch in die Arme fiel und ich mich da trotz Husten freudig anschloss, stieg der Optimismus, dass dies ein schöner Tag werden würde. Cacau war es in der 13. Minute, in seinem 1. Spiel nach langer Verletzungspause.
Solange wie wir auf das 1. Tor haben warten müssen, fast genauso lange dauerte es bis zum nächsten Treffer, zuerst den Zweikampf saustark gewonnen, dann ein wunderschöner Schlenzer, unhaltbar ins Eck, ein Traum! Wieder kochte die Stimmung hoch bei den mitgereisten Fans unseres Vereins, und ich stand mittendrin. Torschütze? Wieder Cacau, unser deutscher Nationalspieler. Und ja, es ist schon amüsant: ein Dunkelhäutiger mit Namen Cacau.
Nur sieben Minuten später fasste ich mir an die Stirn, schaute ungläubig zur Anzeigetafel und konnte kaum begreifen, dass dies die Wirklichkeit war. Schon wieder Cacau, absolut unglaublich. Ein unfassbarer Hattrick in den ersten 40 Minuten, so etwas hätte ich trotz aller Hoffnung nicht für möglich gehalten. Im Gästeblock gab es nun kein Halten mehr, es wurde umarmt, geherzt, geschmust, geküsst, geschrien, gesprungen und gesungen.
Nicht einmal der 1:3-Anschlusstreffer vom Kölner Spieler Christopher Schorch kurz vor der Pause konnte unserer Freude Abbruch tun. Dann war auch schon Halbzeitpause, wir waren zufrieden, die Kölner eher weniger, was sie mit einem gellenden Pfeifkonzert lautstark kund tan. Hindurch gequetscht nach unten nahm mich mein Kumpel Rouven auch schon in Empfang, Angst vor meinen Bazillen hatte er dabei offensichtlich nicht. Unter den Augen Hunderter plauderten wir eifrig die ganze Pause durch, bevor wir unsere jeweiligen Plätze wieder einnahmen, lange sollte es ja nicht dauern bis zum nächsten Treffen, dessen bin ich mir ziemlich sicher.
Was auch immer er den trotz den Anschlusstreffers geknickten Kölnern gesagt hat, Ex-VfB-Spieler Zvonimir Soldo hat die richtigen Worte gefunden, um seine Schützlinge für zumindest ein paar Minuten mutig auftreten zu lassen. Nützte nur leider nichts, denn unser geliebter Verein für Bewegungsspiele Stuttgart 1893 e.V. hatte einen Sahnetag erwischt und hatte auf jede, aber auch wirklich jede Kölner Aktion die passende Antwort parat.
Wenn es 2 Spieler gibt, die man bei diesem Spiele hervorheben konnte, dann waren das Jens Lehmann mit zahlreichen weltklasse Paraden und natürlich allen voran Cacau, unsere schwarze Perle. Aus zahlreichen Stuttgarter Chancen wurde zunächst kein Kapital geschlagen, gespielt wurde nun auf das Tor zu unserer Rechten, nur schwer zu erkennen bei all den Köpfen, Schals und Fahnen, die die ganze Zeit die Sicht versperrten.
Gestatten: Philipps linke Hand im Sonnenuntergang
So dauerte es bis zur 70. Minute, bis sich wieder der Stadionsprecher zu Wort meldete, zeitgleich lichteten sich die Reihen im Rhein-Energie-Stadion. Nach einer Traumflanke von Hilbert (wer hätte das vor einem halben Jahr für möglich gehalten?!) brauchte unser von den Domstädtern ungestörter Russenkampfpanzer Pavel Pogrebnyak nur noch seinen Kopf hinhalten und drosch die Kugel zum 4:1 ins Netz. “Das ganze Stadion geht, adé, adé!”, das Amüsement im Gästeblock wurde zusehend besser. Und wenn sich die Vorsänger vor lauter Enthusiasmus das Hemd vom Leibe reißen und auf einmal obenrum nackig vor mir stehen, dann sage ich doch nicht nein und erfreue mich stattdessen. Hallo, schöne, neue Welt.
Es hätte kein 5:1 gebraucht, um den Tag als “gelungen” zu verbuchen, aber wenn sich die Chance bietet, warum auch nicht. Gala-Spieler Cacau begnügte sich nicht mit seinem Hattrick in der 1. Halbzeit, er schoss nur 4 Minuten nach dem 4:1 durch Pogrebnyak das 5:1 und machte den Gästeblock endgültig zum Tollhaus. Alles, was meine Lungen jetzt noch hergaben, schrie ich in die Kölner Kälte hinaus. Es war nicht viel, aber es war alles, was ich geben konnte.
Die letzten Minuten des Spiels waren wie in Trance. Das Geschehen auf dem Spiel wurde zur Nebensache, alles, für das ich hier und jetzt lebte, war dieser Gästeblock an jenem 20. Februar im Jahr 2010. Arm in Arm waren wir eine Einheit, die unser Team besangen und feierten. “Oh wie ist das schön, sowas hat man lange nicht gesehen!” – auswärts haben wir wirklich schon lange nicht mehr so derart souverän ausgesehen.
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Wieder ein erstklassiges Video von www.lostboys99.de
Schluss, Aus, Abpfiff! Es war mehr als ein Auswärtssieg, mehr als ein 5:1, für mich war es ein erster Teilsieg über meinen Aberglauben. Später dazu ausführlich an einer anderen Stelle. Jubelnd lag man sich in den Armen und frenetisch wurde die Mannschaft und vor allem Cacau gefeiert, zu Recht, ein absolutes Wahnsinnsspiel von ihm.
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Noch viele Minuten nach dem Ende der denkwürdigen Partie, die den richtigen Weg ebnete für das Spiel am Dienstag gegen Barcelona, standen Philipp, die Jungs vom Fanclub und ich noch da und warteten, bis sich der Ausgangsandrang etwas gelegt hatte und wir langsam in Richtung Straßenbahnhaltestelle zuliefen, die uns zum Kölner Neumarkt brachte.
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Einen Besuch beim KFC später war es für mich leider soweit, den ersten Teil meiner Heimreise anzutreten. Nachdem ich mich etwas wehleidig von den lieb gewonnenen Leuten verabschiedete, lief ich zurück zum Hauptbahnhof und fuhr weiter nach Dortmund zu meiner langjährigen Freundin Steffi, die ich vor fast 3 Jahren das letzte Mal gesehen habe. Sonntag Abend ging es dann zurück nach Leipzig, wie üblich hustend und keuchend. Ein Königreich für eine Handtasche, die als mobiler Medizinschrank durchgeht.
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Wirklich ein toller Tag mit tollen Leuten, ein tolles Spiel mit einem tollen Ergebnis. Das alles hätte ich verpasst, wenn ich daheim geblieben wäre um meine Erkältung und vor allem den verdammten Husten auszukurieren. Stattdessen fahre ich quer durchs ganze Land, stehe stundenlang im Gästeblock und schreie nach Leibeskräften, obwohl ich kaum noch Luft in den Lungen hatte. Doch genau darum geht es mir, die Leidenschaft auszuleben, die mein Leben ausmacht, seien es auch nicht immer die klügsten und vernünftigsten Entscheidungen, für diesen Verein und alles, was dazu gehört, mit all den Leuten und der ganzen Kultur, dafür gebe ich alles, bis zum letzten Atemzug.
33 Jahre, gebürtig aus Leipzig, seit 2010 wohnhaft in Stuttgart – Bad Cannstatt. Dauerkartenbesitzerin, Mitglied, ehemalige (Fast-)Allesfahrerin und Fotografin für vfb-bilder.de. Aus Liebe zum VfB Stuttgart berichte ich hier von meinen Erlebnissen – im Stadion und Abseits davon.
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